47 Prozent aller Jobs gefährdet

Abschied vom Humankapital

09.01.2015
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Automatisierten Journalismus

Das Gleiche gilt für eine andere Branche. Deren Tätigkeit ist sogar in Grundgesetzen oder Verfassungen als unantastbar kodifiziert: der Journalismus. Nicht nur US-amerikanische Zeitungen experimentieren mit der automatisierten Nachrichtengenerierung. Auf der re:publica 2014 referierte der Datenjournalist Lorenz Matzat zum Thema Roboterjournalismus und stellte Beispiele aus der Praxis vor.

Schon vor fünf Jahren gab es Projekte wie "Stats Money", entwickelt an einer Universität. Das Programm schrieb automatisiert über Softball- und Baseballspiele. Die Firma Narrative Science hat einen Algorithmus entwickelt, der im US-Magazin "Forbes" einen Blog über Marktentwicklungen verfasst. Ebenfalls ein großer Spieler am Markt für automatisch erstellte Texte ist die US-Firma Automated Insights.

Hierzulande treten in diesem Metier Unternehmen wie Aexea und Text-on.de auf. Gründer und geschäftsführenden Gesellschafter von Text-on.de ist Cord Dreyer. Der arbeitete früher bei Nachrichtenagenturen wie dpa, dpa-AFX und dapd - ist also ein Profi. Auf dem European Newspaper Congress 2014 in Wien stellte Dreyer sein Projekt vor. Der Algorithmus von Text-on durchsucht weltweit rasant wachsende Datenbanken auf Informationen. Die Fundstücke werden nicht nur klassischen Medien, sondern auch Unternehmen und Verbänden angeboten. Inhalte lassen sich aus Zahlenmaterial ziehen und in Form leichter konsumierbarer Texte aufbereiten.

Da Deutsch nicht unbedingt eine einfach zu lernende Sprache ist - das gilt auch für Maschinen beziehungsweise Software -, arbeitet Text-on hier mit Wissenschaftlern des Fraunhofer-Instituts zusammen. Ziel ist es, eine menschliche Sprachbildung nachzuempfinden. Auf dem Weg zu einem automatisierten Journalismus hat Text-on einen Prototypen entwickelt, der Meldungen aus der Sportbranche, und hier der Fußball-Bundesliga, produziert. Wie Dreyer sagt, sind Narrative Science und Automated Insights Vorbilder für die Text-on-Aktivitäten.

Ebenfalls auf dem Eurpean Newspaper Congress stellte Johannes Sommer, Geschäftsführer der Retresco GmbH, sein Projekt vor. Sommer war als Journalist bei der "Südwest Presse Online" tätig. Dort leitete er etwa den Bereich Digitale Medien. Retresco verspricht, Redaktionstätigkeiten zu automatisieren - mit dem Effekt, dass Rechner zu Medienschaffenden werden.

Automatisch zusammengestellt

Der Retresco-Algorithmus sucht dabei im Netz sowie in anderen Quellen Themen und Begriffe, um sie semantisch auszuwerten. Die aggregierten Inhalte werden automatisch zusammengestellt und verbreitet.

Retresco bewirbt seine Lösung damit, dass Inhalte kundenspezifisch aufbereitet werden könnten. So ließen sich Themenseiten für Medien genauso gestalten wie beispielsweise Leserbriefseiten, bei denen Antworten auf die Fragen automatisch erzeugt werden.

Wer glaubt, dass die Verlage und Medienschaffenden gegen automatisierte Inhaltsgenerierung Vorbehalte hätten, der sollte sich die Medien-Kundenliste von Retresco durchlesen: "N24", "FAZ.net", "Rheinische Post Digital", "Augsburger Allgemeine" und "Südwest Presse Online" bedienen sich der Dienste der Sommer-Company.

Datenjournalist Matzat reflektierte bei seinem re:publica-Vortrag auch über das Buch "The Second Machine Age" der am Massachusetts Institute of Technology (MIT) forschenden Professoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee. Sie hatten sich Gedanken über die Folgen für den Arbeitsmarkt und die Gesellschaften gemacht, wenn verschiedene Technologien zusammenfinden und daraus Synergieeffekte erwachsen, die einen enormen Entwicklungsschub erzeugen.

Matzat gab sich illusionslos: Die Betroffenen würden "natürlich nicht andere tolle Jobs bekommen". Es sei nicht auszuschließen, dass sie zumindest zum Teil in prekären Arbeitsverhältnissen landeten oder gar keine Jobs mehr fänden. Das sei "die Schattenseite dieser ganzen Automatisierung".

47 Prozent aller Jobs gefährdet

Welche Auswirkungen die fortschreitende Automatisierung haben und welche Berufsgruppen betroffen sein könnten, haben der Wirtschaftswissenschaftler Carl Benedikt Frey und der Informatiker Michael A. Osborne, beide in Oxford tätig, herausgearbeitet. Sie nennen den Automatisierungstrend "Computerisation". Die Effekte dieser Computerisation auf die Arbeitswelt untersuchten sie im September 2013 anhand von 702 Berufsfeldern in den USA. Sie wollten wissen, wie viele Jobs durch Computertechniken überflüssig zu werden drohen.

Das Ergebnis stimmt nachdenklich: 47 Prozent aller Beschäftigten in den USA sind laut der Studie der beiden britischen Wissenschaftler bedroht. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" zitiert diesbezüglich den Direktor für Arbeitsmarktpolitik in Europa am Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), Werner Eichhorst. Der trat den vor allem in Deutschland verbreiteten Befürchtungen entgegen, Arbeitsplatzautomatisierung könne massenhaft Jobs kosten: "Man kann sich auch täuschen, aber ich denke, wir müssen keine Angst vor Robotern haben."

Geteilte Meinungen

Allerdings erwähnt das Frankfurter Blatt auch die Untersuchung des Washingtoner Pew Research Center. Es hatte mehr als 2500 Analysten, Hochschullehrer und Wissenschaftler aus Internet-Unternehmen zu dem Thema befragt. Einigkeit herrschte vor allem in einem Punkt: Innerhalb der kommenden zehn Jahre würden Roboter und künstliche Intelligenz "das alltägliche Leben transformieren".

In Bezug auf die Folgen für die Arbeitsplätze gehen die Meinungen der Befragten allerdings stark auseinander. Fast die Hälfte der Umfrageteilnehmer (48 Prozent) glaubt, für "Massen von Menschen" werde auf dem Arbeitsmarkt kein Platz mehr sein. 52 Prozent der Befragten vertreten dagegen die Ansicht, die Menschen würden sich auf die veränderten Verhältnisse einstellen und in neue Arbeitsfelder drängen.