802.11n: Worauf beim Kauf zu achten ist

27.03.2008
Die neuen 802.11n-WLAN-Produkte versprechen Datenübertragungen von bis zu 300 Mbit/s. Wir sagen Ihnen, was Sie bei der Auswahl berücksichtigen müssen, um wirklich Formel-1-Speed im Funknetz zu bekommen.

Seit der CeBIT Anfang März sind die schnellen 802.11n-WLANs keine Zukunftsmusik mehr. Ganz real hat fast jeder Networking-Hersteller - egal ob aus dem Enterprise- oder dem Consumer-Segment - mittlerweile eines der neuen Geräte im Programm, die zumindest in der Theorie Bruttotransferraten von bis zu 300 Mbit/s beziehungsweise 600 Mbit/s versprechen. Das Angebot reicht dabei vom klassischen Thin oder Thick Access Point - landläufig auch vereinfacht als dumm oder intelligent bezeichnet - über WLAN-DSL-Router, Wireless Bridges etwa für Spielekonsolen, Repeater oder Multimedia-Boxen bis hin zum Streamen von HD-Content.

Im Vergleich zu den heute üblichen WLAN-Standards 802.11 g und a wartet 802.11n unter günstigen Umständen mit einem rund sechsmal höheren Datendurchsatz auf. Die angegebenen Werte dienen allerdings nur zur Orientierung und können in der Praxis stark variieren.
Im Vergleich zu den heute üblichen WLAN-Standards 802.11 g und a wartet 802.11n unter günstigen Umständen mit einem rund sechsmal höheren Datendurchsatz auf. Die angegebenen Werte dienen allerdings nur zur Orientierung und können in der Praxis stark variieren.

Die Produktvielfalt kann jedoch über eines nicht hinwegtäuschen: Die entsprechende IEEE-Norm 802.11n, in der die technischen Feinheiten für die schnellen WLANs definiert werden, befindet sich immer noch im Entwurfsstadium - neudeutsch Draft. Derzeit aktuell ist der Draft 3.x, in Produkten kommt meist der Draft 2.0 zum Einsatz. Branchenkenner rechnen aber bereits für Mai mit einer neuen Version, dem Draft 4.0. Hier geht es weniger darum, neue Geschwindigkeitsdimensionen zu erschließen, als vielmehr um Feinarbeit an der technischen Basis zur Verbesserung der Interoperabilität.

In der Frage, wann mit der endgültigen Version gerechnet werden könne, sind sich die Hersteller nicht einig: Während D-Link noch Ende 2008 mit der Verabschiedung des Standards rechnet, kalkuliert Konkurrent Netgear erst für Mitte 2009 damit. Trotz dieser Unsicherheit beteuern diese und andere Anbieter, dass sich die heute verkauften 802.11n-Produkte nach dem Draft 2.0 später problemlos aufrüsten lassen. "Das ist mit einem Firmware-Upgrade machbar", versichert Mike Lange, Leiter Business Development bei D-Link. Und Änderungen an der Hardware, ergänzt Patrick Lo, Chairman und CEO von Netgear, brauche der Anwender bei der endgültigen Standardversion nicht zu befürchten. Laut Lo gehe es bei den jetzigen Diskussionen nur noch darum, inwieweit und in welcher Form das schnelle 802.11n-WLAN auch in Consumer Electronic wie Handys, Kameras etc. Einzug halte.

Hier lesen Sie …

  • worauf Sie beim Kauf von 802.11n-Equipment IhrAugenmerk richten sollten;

  • welche Fallen im Kleingedruckten der Datenblätter lauern;

  • warum die Frage des unterstützten Frequenzbandes so wichtig ist;

  • was bei der Migration zu beachten ist;

  • wo Fallstricke beim Einsatz in Unternehmen liegen.

Verschiedene Interpretationsansätze

Auf den ersten Blick klingt die Erklärung einleuchtend, allerdings stellt sich dann die Frage, wieso sich die IT-Industrie wegen solcher Lappalien nicht schneller auf einen finalen Standard einigen kann. Lange räumt ein, dass es aus IT-Sicht einen wichtigen strittigen Punkt gibt: Welche Frequenzbänder muss 802.11n-Equipment unterstützen? Einer der Vorteile der neuen Technik ist, dass 802.11n sowohl das 2,4- als auch das 5-Gigahertz-Frequenzband nutzen kann. Die bisherigen 54 Mbit/s schnellen Standards 802.11g und a waren jeweils nur für ein Frequenzband definiert. In der Industrie scheiden sich hier die Geister. Ein Teil der Hersteller ist der Meinung, ein Gerät müsse nur ein Frequenzband unterstützen, während andere die Meinung vertreten, ein 802.11n-Produkt müsse sowohl den 2,4- als auch den 5-Gigahertz-Bereich beherrschen. In der zweiten Gruppe gibt es darüber hinaus zwei Interpretationsansätze: Für die einen funkt ein "echtes" 802.11n-Device in beiden Frequenzbändern gleichzeitig (concurrent). Andere dagegen halten es lediglich für erforderlich, dass der Benutzer am Endgerät zwischen 2,4 und 5 Gigahertz wählen (switchable) kann.

Der Leidtragende dieses Verwirrspiels ist der Anwender: Er muss beim Kauf höllisch aufpassen, denn für alle drei Interpretationsarten finden sich entsprechende Produkte im Handel. So räumt etwa Netgear-CEO Lo ein, dass sein Unternehmen derzeit nur Ein-Band-Produkte im Programm hat. Und bei manchem Dual-Band-Gerät ist ein Blick ins Datenblatt nötig, um zu erkennen, ob es sich um eine switchable oder concurrent Version handelt.

Geschwindigkeitsrelevante Unterschiede

Diese feinen Unterschiede sind für den Anwender in der Praxis unter den Aspekten Störanfälligkeit und Geschwindigkeit relevant. Vor allem User, die Wert auf ein stabiles Funknetz legen, sollten unbedingt zu einem Gerät greifen, das auch das 5-Gigahertz-Band unterstützt. Dieser Frequenzbereich ist hierzulande nicht so überfüllt wie das 2,4-Gigahertz-Band, so dass ein reibungsloser WLAN-Einsatz eher gewährleistet ist. Anders sieht es dagegen im 2,4-Gigahertz-Bereich aus: In Ballungszentren kommen sich hier schon einmal bis zu 16 Funknetze ins Gehege, ganz zu schweigen von anderen störenden Funkquellen wie Mikrowelle und Co.

Das Gedränge in diesem Bereich hat laut D-Link-Manager Lange eventuell noch eine andere Konsequenz: Um die Rückwärtskompatibilität zu Funknetzen nach dem b- und g-Standard zu gewährleisten, dürfen die 802.11n-Netze eventuell nur 20-Megahertz-Kanäle verwenden, was ihre Transferrate auf 150 Mbit/s beschränken würde. Die vollen 300 Mbit/s wären dann nur im 5-Gigahertz- Frequenzbereich garantiert. Das letzte Wort ist hier aber in Sachen Standardisierung noch nicht gesprochen. Besitzt der User ein Dualband-fähiges Gerät, das zudem den concurrent Modus beherrscht, dann sind auf dem Papier sogar Transferraten von bis zu 600 Mbit/s realisierbar, wenn sich die Übertragungsraten aus dem 2,4- und 5- Gigahertz-Band addieren. Entsprechende Modelle können für den Anwender noch aus einem anderen Grund interessant sein. Auf diese Weise lassen sich etwa alte 802.11b- und g-Netze sowie 802.11n-WLANs physikalisch trennen, erklärt Lo.

Transferraten in der Praxis

Allerdings sollten sich potenzielle 802.11n-Nutzer von den Geschwindigkeitswerten nicht täuschen lassen. Sie spiegeln lediglich die Bruttogeschwindigkeiten wieder, die unter günstigen Bedingungen zu erreichen sind. Davon gehen dann noch der Protokoll-Overhead sowie interne Daten für die Funknetzsteuerung ab. Realistisch kann der Anwender laut Lo und Lange dann am Ende eine nutzbare Übertragungsrate von 100 bis 150 Mbit/s erwarten. Im Gespräch räumen beide Manager noch mit einem weiteren Trugschluss auf: Die 802.11n-Netze offerieren von Haus aus keine bessere Quality of Service (QoS) als die Vorgängergenerationen, sind also nicht automatisch besser für Anwendungen wie Voice over WLAN geeignet. "Aufgrund der höheren Transferraten funktioniert das Streaming von hochauflösenden Videoinhalten jetzt ohne Probleme", so Lo, "die QoS sind aber fast die gleichen wie bei den älteren WLAN-Standards."

Weniger Access Pointserforderlich

Eine Erklärung dafür, warum sich das Gerücht einer höheren QoS in Verbindung mit 802.11n hartnäckig hält, könnte darin liegen, dass die Technik mit einer besseren Funkausleuchtung aufwartet. Bei gleicher auszuleuchtender Fläche, so eine Faustregel, werden bei 802.11n rund 25 Prozent weniger Access Points benötigt als bei einem Funknetz mit klassischer g-Technik. "Bei einer Campus-Vernetzung konnten wir so die Zahl der Funkknoten von 40 auf 30 reduzieren", berichtet Lange aus der Praxis. Allerdings ist es mit einer einfachen Installation der neuen Access Points am Platz der alten nicht getan. Um die Vorteile in der Praxis zu realisieren, rät Netgear-CEO Lo zu einer genauen Analyse der räumlichen Gegebenheiten und ihrer Auswirkungen auf die Funkverbreitung. Warum dies notwendig ist, erklärt Lange: "Bei 802.11n spielen wir wie beim Billiard quasi über die Bande." Oder anders ausgedrückt, die Funkwellen erreichen einen Empfänger nicht nur auf einem direkten Weg, sondern per Reflexion auf mehreren Wegen, wodurch sich die Bitfehlerhäufigkeit reduziert. "In ersten Tests wurden für 802.11n teilweise enttäuschende Transferraten gemessen, weil die Geräte lediglich mit direktem Sichtkontakt aufgestellt wurden", führt Lange aus. Um ihre volle Geschwindigkeit auszuspielen, seien sie auf brauchbare Reflexionen angewiesen.

Solide Funknetze dank MIMO

Verursacher dieses Effekts ist die MIMO-Technik (Multiple Input, Multiple Output), die mittlerweile ein fester Bestandteil der 802.11n-Spezifikation ist. Um zu verhindern, dass die Vorteile der angesprochenen Mehrwegeausbreitung durch destruktive Interferenzen zunichtegemacht werden, sieht der Standard mehrere Antennen vor. In der Regel sollen die 802.11n-Geräte über drei Antennen gleichzeitig senden und empfangen. Dabei sagt aber die reine Zahl noch nichts über die im Betrieb erzielbaren Geschwindigkeiten aus. "Strahlen alle Antennen in die gleiche Richtung", so warnt Lo, " stören sich die Signale gegenseitig." Deshalb sei es wichtig, dass die Antennen verstellbar sind, was für die meisten Stummelantennen zutrifft. Im Betrieb sollten die Antennen also nicht direkt parallel zueinander ausgerichtet sein, sondern voneinander wegzeigen. Bei Leistungsproblemen hilft eventuell auch ein Spielen mit verschiedenen Antennenpositionen. Lo selbst ist stolz darauf, dass sein Unternehmen sogar das Kunststück geschafft hat, bis zu acht Antennen in einem Gerät zu integrieren. Hierzu habe Netgear ein neues Meta-Material verwendet, das es erlaube, winzigste Antennen auf einer Oberflächenstruktur zu realisieren. Auf diese Weise könne man die Antennen enger nebeneinander platzieren und dennoch ein unterschiedliches Abstrahlverhalten erreichen. "Dieser Mehraufwand bringt uns eine bessere Performance ein", glaubt Lo.

Unwägbarkeiten gibt es bei einer Umstellung auf 802.11n jedoch nicht nur auf der Funkseite. Sowohl im professionellen als auch im privaten Umfeld ist es nicht mit der Investition in das Wireless-Equipment getan - meist ist auch ein Umbau des Backends erforderlich. Bereits ein einfacher Zahlenvergleich verdeutlicht das Problem: Mit Nutzdatenraten von 100 bis 150 Mbit/s sprengen die 802.11n-Access-Points schnell die Kapazität der weit verbreiteten Fast-Ethernet-Strukturen. Diese bewältigen unter sehr günstigen Umständen um die 70 Mbit/s. Will der Anwender die Funktechnik ausreizen, dann muss er auf Gigabit Ethernet aufrüsten.

Problemfall Powerover Ethernet

Eine andere Überraschung wartet auf den User dann noch in Sachen Energieversorgung. Gerade im professionellen Umfeld hat sich die Versorgung der WLAN Access Points per Power over Ethernet eingebürgert, da hier nicht so strenge Vorschriften einzuhalten sind wie beim Verlegen elektrischer Leitungen. Die kostensparende Energieversorgung per LAN hat jedoch einen Haken: Im Standard 802.3af ist lediglich eine maximale Leistungsaufnahme von 15,4 Watt definiert. "Wir haben damit kein Problem", sagt Netgear-CEO Lo. Hier profitiere das Unternehmen davon, momentan nur Single-Band-Access-Points anbieten zu können, die weniger Energie verbrauchen. Problematisch wird es jedoch bei WLAN-Equipment, das gleichzeitig im 2,4- und 5-Gigahertz-Band funkt. Dann reichen, nach allgemeinem Stand der Technik, die 15,4 Watt nicht mehr aus, um die Funkknoten mit Energie zu versorgen. Was von verschiedenen Herstellern bislang als Problemlösung angeboten wird, kann im besten Fall als Workaround bezeichnet werden: So muss sich der Nutzer etwa mit einer schlechteren MIMO-Leistung (geringere Abdeckung, reduzierter Durchsatz) oder einem Single-Band-Betrieb (reduzierter Durchsatz) zufriedengeben. Alternativ kann er den Abstand eines Access Points zum PoE-Switch reduzieren oder ihn gleich mit mehreren Ethernet-Anschlüssen verbinden. Cisco hat auf diese Problematik deshalb mit einer proprietären PoE-Erweiterung namens ePoE reagiert, um die Stromversorgung für 802.11n per LAN sicherzustellen. Das Ei des Kolumbus will man dagegen bei Siemens Enterprise Communications entdeckt haben. Mit Ingenieurskunst sei es dem Unternehmen gelungen, für seine Access Points "AP3610" und "AP3620" durch ein cleveres Hardwaredesign den Energiebedarf auf 15 Watt zu begrenzen - selbst im uneingeschränkten Dual-Band-Betrieb. Auch D-Link-Manager Lange glaubt, dass die Produkte seines Hauses mit der von POE bereitgestellten Leistung auskommen.

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  • 1853649: Cisco: Mehr Strom für 802.11n-WLANs;

  • 1853302: Siemens bringt Turbo-WLAN-Standard 802.11n Manieren bei.

  • COMPUTERWOCHE-Wiki 802.11n: wiki.computerwoche.de/doku.php/comm/ ieee_802.11n;

  • COMPUTERWOCHE-TV: Turbo-WLAN im Test.

Viele WLAN-Controller stoßen an ihre Grenzen

Noch eine versteckte Kostenfalle bei der Umstellung auf 802.11n wartet auf Anwender, die ihre Funknetze als WLAN-Switching-Infrastruktur verwirklicht haben. Viele der verbauten WLAN-Controller verkraften mit ihrer Rechenpower die schnellen Turbo-Access-Points nicht. Konnte ein Gerät beispielsweise in einem 802.11g-Netz noch zehn Funkknoten steuern, so bewältigt es eventuell nur noch zwei 802.11n-Access-Points. Hier ist also vor einer Migration genau zu prüfen, ob die eingesetzten Controller für die neue Technik fit sind. Eventuell empfiehlt sich aber auch ein anderer Migrationspfad: Unified Access Points, wie sie beispielsweise D-Link im Programm hat, können auch als Fat Access Points ohne zentrale Switching-Infrastruktur eingesetzt werden, so dass die Anschaffung neuer Controller entfällt, da Administration und Konfiguration direkt im Funkknoten erfolgen. Ist später die 802.11n-Infrastruktur groß genug, dass unter Verwaltungsaspekten ein Umstieg auf das Switching geboten ist, können diese Funkknoten per Firmware-Upgrade in Thin Access Points umgewandelt werden.