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Salesforce.com: Die Plattform ist der Service

24.07.2007
Lindsey Armstrong, Co-President Emea bei Salesforce.com, erläutert im Gespräch mit CW-Redakteur Martin Bayer, warum Entwickler künftig einfach im Netz programmieren können.

CW: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Neuerungen, die Salesforce.com mit dem jüngst vorgestellten Sommer-Release herausgebracht hat?

ARMSTRONG: Das wichtigste ist für uns die Evolution der Idee – von Software-as-a-Service über Applications-as-a-Service bis hin zu Plattform-as-a-Service. Mit der integrierten Entwicklungsumgebung Apex hat Salesforce.com sein Angebot komplettiert. Jeder, egal ob Partner oder Kunde, kann künftig Anwendungen entwickeln, die dann auf der Salesforce.com-Plattform gehostet werden. Die Plattform wird in Zukunft der Service sein.

CW: Wie funktioniert das?

ARMSTRONG: Wir bieten eine softwarelose Programmierumgebung. Jeder, der mit Java arbeiten kann, wird auch mit der Salesforce.com-Umgebung zurechtkommen und neue Applikationen bauen können.

CW: Da es sich um eine proprietäre Umgebung handelt, sind die Entwickler aber mit ihren Anwendungen an die Salesforce.com-Plattform gebunden?

ARMSTRONG: Es entsteht Code, der für die Salesforce.com-Plattform geschrieben ist. Die Anwendungen bauen auf unseren Programmierstandards auf, nutzen unsere Programmiersprache und werden auf unserer Plattform betrieben.

CW: Müssen die Entwickler eine Gebühr zahlen?

ARMSTRONG: Die Gebühren sind sehr niedrig. Es handelt sich um eine Art Runtime-Lizenz.

CW: Was sind die Vorteile für die Entwicklungspartner?

ARMSTRONG: Die Entwicklung funktioniert einfach und schnell. Außerdem benötigen die Entwickler keine eigene Infrastruktur. Jede Anwendung, die auf dieser Basis entwickelt wird, ist eine Mehrmandanten-Applikation. Die Vorteile sind: keine Kompatibilitätsprobleme, sofortige Upgrades, automatische Versionskontrollen und vieles mehr. Diese Dinge bedeuten für die Entwickler in herkömmlichen Entwicklungsumgebungen meist einen großen Aufwand. Diese Last hat Salesforce.com den Kunden und Partnern abgenommen.

CW: Wie eng sind die Apex-Applikationen mit den Salesforce.com-Applikationen verknüpft?

ARMSTRONG: Das hängt von der jeweiligen Applikation ab. Hier muss man unterscheiden. Einige der auf Apex entwickelten Anwendungen integrieren sich automatisch in die Salesforce.com-Systeme, andere haben jedoch gar nichts mit Customer-Relationship-Management (CRM) zu tun und benötigen daher keine Integration.

CW: Wie sieht es mit der Integration in Software außerhalb der Plattform aus?

ARMSTRONG: Fast alle CRM-Nutzer benötigen irgendeine Art von Integration. Viele binden die SaaS-Umgebung an Enterprise-Resource-Planning-Lösungen (ERP) im Backend an, beispielsweise SAP oder Oracle. Täglich laufen rund 100 Millionen Transaktionen über unser System. Rund die Hälfte davon sind API-Calls (API = Application Programming Interface), also Aufrufe von außerhalb der Salesforce.com-Welt. Unsere CRM-Programme sind also von Haus aus tief integriert in andere Systeme.

CW: Wie funktioniert diese Integration?

ARMSTRONG: Wir bieten vorgefertigte Integrationsmodule an, die die Kunden zudem noch selbst ausbauen und modifizieren können.

CW: Was kosten diese Module?

ARMSTRONG: Die Nutzung der Integrationsbausteine ist in der monatlichen Miete inbegriffen.

CW: Verfolgt Salseforce.com Pläne, das eigene Produktportfolio über das CRM hinaus auszubauen?

ARMSTRONG: Neben CRM bieten wir Lösungen für Service und Support sowie Marketing an. Wir haben außerdem eine Reihe von vertikalen Lösungen in unserem Programm, beispielsweise für Financial Services. In Zukunft wird es noch weitere vertikale Lösungen von Salesforce.com geben. Ein Großteil unseres Branchen-Know-hows stammt allerdings von unseren Partnern.

CW: Wie kann ein Partner sicher sein, dass Salesforce nicht genau die gleiche Applikation entwickelt wie er selbst?

ARMSTRONG: Der große Unterschied zu den On-Premise-Anbietern ist der, dass die Unternehmen im SaaS-Umfeld viel enger zusammenarbeiten. Die Weiterentwicklung der gesamten Plattform erfolgt in enger Kooperation mit den Partnern und Nutzern. So lassen sich Kollisionen in der Entwicklung neuer Appikationen frühzeitig vermeiden. Unterstützt wird das beispielsweise durch das Portal, das mit der neuen Version bereits in der Plattform integriert ist.

CW: Wird der Wettbewerb durch die SaaS-Initiativen von Microsoft und SAP härter?

ARMSTRONG: Wenn Firmen wie SAP und Microsoft im SaaS-Umfeld aktiv werden, bedeutet das zunächst eine Bestätigung unseres Modells. Eine andere Frage ist jedoch, ob diese Firmen hier Erfolg haben werden. Wir glauben nicht, dass SAP und Microsoft bestehen können. SaaS ist zweierlei – ein Geschäftsmodell und Technik. Wenn ein Kunde sich ein traditionelles Softwaresystem zulegt, bindet er sich auf viele Jahre an den Hersteller. In unserem Geschäft geht es aber um die unmittelbare Zufriedenheit des Kunden. Salesforce.com muss kontinuierlich sicherstellen, dass der Kunde mit dem Angebot zurechtkommt. Das Geschäftsmodell zu wechseln ist sehr schwierig.

CW: Wie sehen Sie die neue Konkurrenz durch Telekommunikationsanbieter und Web-Hoster, die ebenfalls in Sachen SaaS aktiver werden?

ARMSTRONG: Wir begrüßen jeden, der diesen Markt betritt. Je mehr Applikationen verfügbar sind, desto mehr Auswahl haben die Nutzer, und desto stärker wird die Akzeptanz von SaaS. Vor drei oder vier Jahren war diese Idee noch fast unbekannt. Heute sagen Analysten von Gartner, SaaS werde in nicht allzu langer Zeit 40 Prozent des gesamten Softwaregeschäfts ausmachen. Je mehr Anbieter mitmachen, desto besser für uns und für jeden im Markt. Um SaaS dahin zu bringen, wo es die Kunden gerne hätten, braucht es Tausende wenn nicht Zehntausende von verschiedenen Applikationen.

CW: Verlieren die Kunden da nicht den Überblick?

ARMSTRONG: Unsere Plattform bietet die nötige Struktur. Derzeit gibt es auf Basis von Apex 650 Applikationen. Nutzer können über das Portal nach bestimmten Funktionen suchen.

CW: Wenn Kunden verschiedene Applikationen nutzen, müssen sie sich aber auch mit vielen unterschiedlichen Anbietern herumschlagen. Ist das ein Problem?

ARMSTRONG: Wir arbeiten an einer Funktion namens "Appstore", die ähnlich funktioniert wie Paypal innerhalb von Ebay. Der Kunde hat nur Salesforce.com als Ansprechpartner. Dahinter stehen die verschiedenen Softwareanbieter, von denen er seine Services bezieht. Vorgänge wie beispielsweise Abrechnungen laufen über eine Instanz. Ich gehe davon aus, dass diese Funktion mit dem Herbst-Release ausgeliefert wird.

CW: Das betrifft aber nur Fragen des Bezahlens. Was ist mit Problemen, die Kunden mit der Software an sich haben?

ARMSTRONG: 90 Prozent der Probleme, mit denen ein klassischer Helpdesk konfrontiert wird, betreffen nicht die Applikation an sich, sondern die Tatsache, dass bestimmte Teile des Systems nicht reibungslos zusammenarbeiten. Nach dem Motto: Ich habe eine neue Version von Microsoft installiert, und danach funktioniert die Hälfte meiner Software nicht mehr. Das passiert in der SaaS-Welt nicht, weil die einzelnen Applikationen von vornherein in der Plattform integriert sind. Anwendungs-Support spielt deshalb nur eine untergeordnete Rolle. Hier dreht es sich meist um Fragen, wie die Software zu bedienen ist. Das ist aber im Grunde keine Support-Angelegenheit sondern betrifft die Schulung der Nutzer.

CW: Wie viel Training benötigen die Nutzer denn?

ARMSTRONG: Wie viel Training braucht man, um mit Google oder Amazon zurechtzukommen? Praktisch gar keines. Das ist es, worum es in der SaaS-Welt geht: Wir nehmen das Wissen, das die Anwender bereits haben, und bauen darauf unsere Business-Applikationen auf. Bei den SaaS-Anbietern gibt es keine Call-Center, in denen Tausende von Helpdesk-Mitarbeitern damit beschäftigt sind, Nutzerprobleme zu lösen. Das ist der Schlüssel, warum das System so effizient und einfach zu bedienen ist. Google bringt seine Software alle zwei Monate auf den neuesten Stand, ohne dass die Nutzer von dem Upgrade etwas bemerken.

CW: Die Salesforce.com-Software ist stark standardisiert. Wie passt das mit den individuellen und komplexen Prozessen in vielen Großunternehmen zusammen?

ARMSTRONG: Auf Basis der Apex-Plattform wird es auch Applikationen für die Anforderungen großer Unternehmen geben. Außerdem werden Konzerne in der Lage sein, auf Basis von Apex ihre eigenen Lösungen zu entwickeln, die genau auf ihre Belange passen – und sie brauchen nicht einmal eigene Hardware, um die Anwendungen selbst zu betreiben. Bei vielen Firmen wachsen die Zahl der Applikationen und damit auch die Probleme der IT-Organisation. Der überwiegende Teil des Budgets muss darauf verwendet werden, den Betrieb der Anwendungslandschaft aufrechtzuerhalten. Nur ein geringer Teil steht für Innovationen zur Verfügung. Wenn es nun gelingt, einen Großteil der benötigten Applikationen als Service zur Verfügung zu stellen, dann bringt das den Organisationen viele Vorteile.

CW: Gerade im europäischen beziehungsweise deutschen Markt sehen bislang nur wenige Kunden diese Vorteile. Was wollen Sie tun, um hierzulande mehr Kunden für das Modell zu begeistern?

ARMSTRONG: Es ist weniger das Problem, an den Markt heranzugehen. Das SaaS-Modell ist sehr schnell erwachsen geworden. Den Analysten von Gartner zufolge wächst das SaaS-Geschäft mittlerweile in Europa schneller als in den USA. Was ich bereits gesagt habe: Gerade wenn neue Player das SaaS-Geschäft suchen, tut das dem gesamten Markt gut – auch in Europa. Wir gehen davon aus, dass sich der europäische Markt in der nächsten Zeit deutlich schneller entwickelt als der amerikanische.

CW: Warum glauben Sie das?

ARMSTRONG: Der Schlüssel dazu ist wieder die Plattform. Unternehmen können damit ihre Geschäfte schnell international ausbauen. Ein Beispiel: Ein Handelsunternehmen, das früher nur in Großbritannien aktiv war, konnte sein Geschäft mit Hilfe der Salesforce.com-Plattform und der darauf laufenden Applikationen zügig erweitern. Heute macht diese Firma 80 Prozent des Umsatzes in Nordamerika. Die Anwender entwickeln ihre Applikationen für einen globalen Markt. Die ganze Welt steht ihnen offen.

CW: Trotzdem wird das Modell gerade in Deutschland vom Mittelstand noch nicht angenommen.

ARMSTRONG: Deutschlands Mittelstand ist dort das Rückgrat der Wirtschaft. Das zweite Standbein ist der Export, in dem auch gerade die Mittelständler sehr aktiv sind. Nehmen Sie beide Dinge zusammen: Wenn ein Mittelständler seine Geschäfte international ausrichten will, gibt es kein besseres Werkzeug als die Apex-Plattform, um seine Applikationen entsprechend auszurichten. Apex öffnet diesen Unternehmen den Zugang zu einem weltweiten Markt.

CW: Allerdings haben gerade die kleinen und mittelgroßen Firmen hierzulande sehr enge Beziehungen zu ihren Softwarelieferanten und Systemhäusern. Es dürfte Salesforce.com schwerfallen, diese Beziehungen aufzubrechen.

ARMSTRONG: Ich denke nicht, dass es darum geht, diese Beziehungen aufzubrechen. Wir haben selbst über 1150 Partner in Deutschland, die genau das Gleiche tun. Wir wollen uns fortentwickeln und dabei alle unsere Partner mitnehmen. Wir pflegen unser Ökosystem. Hier braucht jeder den anderen. Salesforce.com braucht die Partner: einmal um die Lösungen bei den Kunden zu implementieren, und zum anderen, um Applikationen zu entwickeln. Wir können und wollen nicht alles selbst machen.

CW: Welche Rolle spielt die Kooperation mit Google in diesem Ökosystem?

ARMSTRONG: Diese Kooperation ist sehr wichtig für Salesforce.com. Die Kombination unseres Angebots mit Google Adwords bringt unseren Kunden Vorteile. Auch wir profitieren davon. Über drei Viertel unserer Kampagnen laufen über Suchmaschinen-Marketing. Hier können wir exakt verfolgen, welchen Erfolg welche Aktion bringt. Wir können schnell reagieren und etwas ändern. Das Tool lässt sich außerdem sehr leicht bedienen. Gerade für kleine Unternehmen, die in diesem Umfeld nicht sicher sind, ist das ideal. Sie können exakt messen, wie viele Klicks und wie viel Umsatz mit einer bestimmten Werbeaktion verbunden sind. Durch die Verknüpfung mit dem Salesforce.com-System lässt sich genau verfolgen, welche Abschlüsse direkt mit welcher Anzeige verbunden sind. Das wird auf lange Sicht die Suchmaschinenwerbung verändern. Es geht nicht mehr allein um die Klicks. Erfolg wird nicht durch die Zahl der Klicks gemessen, sondern durch den Umsatz.

CW: Google versucht ebenfalls, seine SaaS-Geschäfte auszubauen. Entsteht damit nicht auch eine gewisse Konkurrenz?

ARMSTRONG: Wir arbeiten zusammen. Salesforce.com nutzt selbst eine ganze Reihe von Google-Tools wie beispielsweise die Tabellenkalkulation. Google bietet eine dynamische Umgebung, und das ist genau das, was die Nutzer wollen. Die Anwender wollen ihre Dokumente nicht an viele Leute schicken und am Ende nicht mehr wissen, welche Version nun die richtige ist. In einer SaaS-Umgebung gibt es nur noch eine Version, eine wahre Instanz und nichts anderes. Das ist eine neue Ära der Softwarenutzung.

CW: Was sind in dieser neuen Ära die nächsten Schritte, die Salesforce tun muss?

ARMSTRONG: Die Plattform weiter ausbauen und den Anwendern die Ideen erklären, die dahinterstecken: Platform-as-a-Service. Unsere Konkurrenten bemühen sich zurzeit, den Begriff SaaS und dessen Auswirkungen auf das eigene Geschäft für sich zu klären. Wir haben das bereits vor langer Zeit getan und verstanden, wie man SaaS betreibt. Nun geht es darum, das ganze System auszubauen und viele tausend Anwendungen auf den Markt zu bringen. Das werden wir mit Hilfe unserer Plattform in Angriff nehmen.