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Fiorinas Abgang: Zu machtversessen und ungeliebt?

10.02.2005
Einen Tag nach dem überraschenden Rauswurf von HP-Chefin Carleton Fiorina ziehen Analysten eine Bilanz ihrer sechsjährigen Amtszeit.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Es ist gerade mal 24 Stunden her, dass Hewlett-Packards Finanzvorstand Robert Wayman an alle HP-Mitarbeiter eine E-Mail verschickte, die mit dem dürren Satz begann: "Das HP-Board verkündigt am heutigen Morgen, dass Carly Fiorina als Chairman und CEO zurückgetreten ist - mit sofortiger Wirkung."

Nach den in solchen Fällen üblichen Danksagungen an die Chefin, deren Lebenslauf schon nach wenigen Minuten aus dem Intra- und Internet verschwand, beeilte sich Wayman zu betonen, dass sich an der unter Fiorina eingeschlagenen Strategie des Unternehmens nichts ändern werde. Wohl aber wolle man dafür sorgen, dass deren Ausführung beschleunigt und verbessert wird.

Diese Aussagen wiederholten sowohl der Finanzchef, der als Interims-CEO agiert, als auch das Board-Mitglied Patricia Dunn, die als so genannter Non-executive Chairman fungiert, später vor Analysten und vor der Presse.

Damit machten die Verantwortlichen von HP sofort nach dem Ende der Ära Carleton Fiorina noch einmal klar: Entgegen den immer wieder geäußerten Forderungen aus Analysten- und Aktionärskreisen denkt das neunköpfige Board nicht daran, die Ausrichtung des Unternehmens gravierend zu ändern und dieses in zwei oder gar mehrere Teile zu zerschlagen. Bereits seit Fiorinas Ankündigung am 20. September 2001, man werde mit Compaq fusionieren, hatte es Diskussionen innerhalb des Unternehmens, noch mehr aber in Fach-, Analysten- und Finanzkreisen gegeben, ob es nicht Sinn gebe, die Imaging- and Printing-Division aus dem Konzern herauszulösen und als eigenständiges Unternehmen zu führen. So werde der Wert beider Unternehmen gesteigert. Mit der Erklärung vom gestrigen Tag sind solchen Überlegungen ein Riegel vorgeschoben - zumindest von offizieller Seite.

In den weiteren Äußerungen von Wayman und Dunn schwang implizit eine Kritik an Fiorina mit: Die Ausführung der Firmenstrategie müsse verbessert werden und hierzu, so Dunn, brauche es andere Fähigkeiten und Kompetenzen - andere, als Fiorina sie zu bieten hatte, schwang da unausgesprochen mit.

Stimmen: Zu machtbewusst

Erste Stimmen von Marktbeobachtern benennem das Problem deutlicher, das HP seit Fiorinas Eintritt 1999 gewärtigte: Andy Butler, Research Vice President bei Gartner, sagte, Fiorina habe mit dem viel beschworenen "HP Way", der für ein fast familiäres Miteinander der HP-Angestellten stand, zu schnell und zu harsch aufgeräumt. Butler meinte, "dieser HP Way war ein wundervolles Relikt der Vergangenheit", das früher oder später jeder HP-Verantwortliche hätte überdenken müssen. Fiorina aber habe viel zu hart mit einer lieb gewonnenen Unternehmensaura aufgeräumt. "Geliebt hat sie deshalb niemand im Konzern."

Genau dieser Mangel an Zustimmung und Rückendeckung im Konzern warf ein weiteres Problem auf: Fiorinas Machtbewusstsein machten es der durchsetzungsfähigen, jugendlich wirkenden Frau offensichtlich schwer, Verantwortlichkeiten zu delegieren. "Wer mit dem Machtanspruch antritt, die Posten des CEO, Chairman und President in Personalunion ausfüllen zu wollen, den muss die Belegschaft lieben", sagte Butler.

Weder aber liebten die Mitarbeiter Fiorina, noch zeichnete diese sich durch die Begabung aus, den richtigen, ihren Aufgaben gewachsenen Managern, Verantwortung zu übertragen. Ted Schadler, Analyst von Forrester Research, sieht in dieser Schwierigkeit einen wesentlichen Grund für das Scheitern der meistzitierten Managerin der Welt: "Nachdem sie über 80 Geschäftseinheiten von HP auf drei zusammenschmolz, hat es Fiorina nicht geschafft, geeignete Manager zu finden, die diese Riesenbereiche führen konnten." Das mag daran gelegen haben, so Schadler, dass die demissionierte HP-Chefin "nie eine große Firma vom Zuschnitt einer HP geleitet hat".

Der Forrester-Analyst moniert, Fiorina habe keine Organisation mit klaren Zuordnungen von Verantwortlichkeiten und keine transparenten Zuständigkeiten geschaffen.

Fusion mit Compaq war richtig

Butler wie Schadler aber vertreten unisono die Meinung, der Zusammenschluss mit Compaq im Jahr 2002 sei richtig und strategisch nötig gewesen. Fast schon tragisch, dabei natürlich nicht von Fiorina zu verantworten, ist in diesem Zusammenhang, dass die ehemalige HP-Chefin den Merger einen Tag vor dem Attentat auf die Zwillingstürme des New Yorker World-Trade-Center bekannt gab. Mit diesem brutalen Anschlag ging die Weltwirtschaft in die Knie - und HP hatte ein zusätzliches Problem, das nicht vorhersehbar war.

"Compaq und HP konnten aber beispielsweise nicht getrennt im PC-Geschäft überleben", sagte Schadler. Butler wie sein Forrester-Kollege vertreten die Ansicht, dass die Fusion zwar schwierig und problembehaftet war. Sie hätte aber auch wesentlich holpriger über die Bühne gehen können. Beide sagen, es zähle zu den großen Verdiensten Fiorinas, dass sie die Bedeutung einer umfänglichen, diversifizierten Produktpalette immer betont habe. Butler meinte sogar, "Carleton Fiorina ist ein geradezu unglaublich visionärer Mensch - vielleicht ist sie sogar zu visionär."

Fusion mit Compaq "eine extrem schlechte Entscheidung"

Ganz anders allerdings beurteilt Andreas Zilch von TechConsult den Abgang der HP-Frontfrau. Seiner Meinung nach hat Fiorina sich "null Verdienste" um HP gemacht. Sie sei verantwortlich für die "sehr schlechte Stimmung im Unternehmen". Das Betriebsklima bei HP sei heute so schlecht, dass darunter "die Produktivität und die Zufriedenheit der Beschäftigten leiden, was sich wiederum signifikant auf die Geschäftstätigkeit des Unternehmens auswirkt".

Die Fusion mit Compaq sei eine "extrem schlechte Entscheidung" gewesen. Zilchs Ansicht nach war der Merger " nicht sehr logisch". Nur theoretisch hätte der Firmenzusammenschluss klappen können. "Wenn im Ergebnis aber der Umsatz verdoppelt wurde, der Gewinn sich aber nicht verändert hat", dann könne man nicht von einer gelungenen Fusion sprechen.

Zilch konzediert allerdings, dass auch das Management unter Fiorina und das HP-Board Verantwortung für die unbefriedigende Situation der weltweiten Nummer zwei im Computergeschäft tragen würden. "Nicht nur im strategischen, auch im operativen Bereich wurden Fehler gemacht." Die Integration der PC-Produktlinien von HP und Compaq etwa sei die reinste Katastrophe gewesen. Monatelang habe es hier nur Schwierigkeiten gegeben, seien darüber die Handelspartner erheblich verunsichert und verärgert worden.

Aufsplittung des Unternehmens?

Anders als HPs Führung unter Interims-CEO Wayman sieht man etwa bei den Unternehmensberatern von Ovum die Zukunft von Hewlett-Packard. Während Wayman an der Geschäftsstrategie nichts geändert wissen will, sagt Douglas Hayward, Senior Analyst bei Ovum: "Wir glauben, dass HP nicht nur einen neuen CEO benötigt, sondern auch eine neue Ausrichtung." Das Unternehmen habe ein breites Produktportfolio, dessen Einzelteile nicht zusammen passen. Um dieses Problem zu lösen, bedürfe es nicht nur einer anderen Führung, sondern auch einer veränderten Firmenstrategie.

Die Profitabilität der verschiedenen HP-Divisionen (Imaging and Printing zusammen mit PC, Enterprise Business, Service, Financing) hinke erheblich hinter der von Unternehmen hinterher, die einen konzentrierten Best-of-breed-Ansatz haben, sagte Hayward.

Unzweifelhaft verfüge HP über gute Produkte und Dienstleistungen. Fiorina habe es aber versäumt, Hardware, Software und Services so zu verschränken, dass sie zusammen bessere Geschäftsergebnisse produzierten, als wenn sie alle in Einzelgesellschaften ausgelagert werden würden (spin-off).

Insbesondere habe es HP bis heute nicht geschafft, gewinnträchtige Bande zwischen seinen Produktlinien und seiner Dienstleistungssparte zu knüpfen - ein Vorgehen, das IBM mit viel Erfolg vorführt. Ein Verfahren, das etwa auch Accenture mit seinen Beratungungs- und Outsourcing-Services exerziert.

HPs Board-Mitglied Patricia Dunn hatte auf diese Problematik explizit verwiesen, als sie sagte, HP müsse es schaffen, "zwischen den unterschiedlichen Produktportfolios eine bessere Wertschöpfung zu erzielen".

Ovum-Analyst Hayward sagte, HP habe nicht sehr viele Alternativen: Entweder das Unternehmen schaffe es, solche Cross-Selling-Aktivitäten zum Erfolg zu verhelfen. Oder das Unternehmen müsse sich eben doch von solchen Geschäftsbereichen trennen, die nicht zu Umsatz- und Profitsteigerungen beitragen würden. "Für diesen Fall schlagen wir von Ovum vor, gleich mit dem PC-Geschäft anzufangen", sagt Hayward. (jm)