Zukunft der IP-Netze: Die Latency-Falle

19.09.2006
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Analyse der Traffic-Typen

Möglich wird dies durch eine junge Entwicklung, die Deep- Packet-Inspection-Technologie (DPI). Sie versetzt Provider allmählich in die Lage, in Echtzeit zu erkennen, welchen Verkehr die Anwender über ihre Netze transportieren - also ob sie gerade surfen, Mails abrufen, Skype nutzen, per VoIP telefonieren oder per P2P Daten austauschen. So ist Matt Jones, CEO von Cloudshield - sein Unternehmen baut DPI-Geräte - davon überzeugt, dass viele Netzanbieter angesichts von steigendem P2P-Verkehr oder DDoS- Attacken gar nicht mehr in der Lage sind, ihren professionellen Kunden eine Quality of Service (QoS) zu garantieren.

Mit Appliances wie der CS-2000 können Provider ihren IP-Verkehr in Echtzeit analysieren und selbst in verschlüsselten Datenströmen unerwünschten Traffic erkennen.
Mit Appliances wie der CS-2000 können Provider ihren IP-Verkehr in Echtzeit analysieren und selbst in verschlüsselten Datenströmen unerwünschten Traffic erkennen.

"Im Rahmen der Prototyp-Tests hat sich zur Überraschung vieler unserer Kunden herausgestellt, dass der P2P-Anteil in ihren Netzen mittlerweile bei über 70 Prozent liegt", ergänzt Paul Hoffmann, Vorstand der GTEN AG in Ismaning und deutscher Cloudshield-Partner. Sowohl Jones als auch Hoffmann sind deshalb davon überzeugt, dass in Zukunft nicht mehr die ein- fache Bandbreite tarifiert wird, sondern der darauf aufsetzende Mehrwertdienst in Form von Managed Services. Dies könnten etwa Firewall-Dienste sein oder aber einfach nur bessere Serviceklassen für VoIP oder Echtzeit- anwendungen wie R/3. "Dies ist ein Trend, den wir bereits heute bei einigen Carriern in Europa beobachten", so der Cloudshield-CEO, "wir sprechen also nicht über eine Entwicklung, die erst in zwei bis drei Jahren kommt."

Ähnlich schätzt man die Situation auch bei der israelischen Allot Communications ein. Das Unternehmen, das Systeme zum Management von Breitbandnetzen produziert, spricht bereits von der "Quality of Experience" (QoE) als dem neuen Qualitätsparameter für IP-basierende WANs. Grob vereinfacht soll er für die Anwender standortübergreifend dieselbe Reaktionszeit bei Anwendungen sicherstellen, als wenn sie im lokalen Netz arbeiten. Auch Frank Pieper, Managing Director bei AT&T Deutschland, ist davon überzeugt, dass professionelle Kunden bald mehr Geld bezahlen müssen, wenn sie einen besseren, qualitativ abgesicherten Transport ihrer Daten wünschen und sich nicht mit dem Standardservice des Internets begnügen.

Netze nicht ausgelastet

Nach Ansicht der im VATM organisierten deutschen Netzbetreiber zwingt die heute verfügbare Bandbreite aber noch nicht zu überstürzten Maßnahmen. "Die Netze sind deutlich unter 100 Prozent ausgelastet, so dass noch Luft drin ist. Ferner versprechen technische Entwicklungen einen weiteren Zuwachs an Bandbreite", fasst Wolfgang Heer, Pressesprecher beim VATM, die Stimmung unter den Mitgliedern zusammen. Allerdings schließen die hier organisierten TK-Unternehmen nicht aus, dass es künftig ein zweigleisiges Tarifmodell geben könnte: eine Flatrate für Consumer und kleinere Geschäftkunden, während Großkunden eher service- beziehungsweise nutzungsorientiert tarifiert werden, je nachdem, ob sie das Netz etwa zur Datenspeicherung oder für den Sprachverkehr nutzen. Letztlich dürfte die Bandbreite künftig von den Providern verstärkt als Managed Service mit unterschiedlichen Serviceklassen vermarktet werden.