IT in Transport und Verkehr/Integratives Abwicklungssystem

Zuegiger Datentransfer macht das Luftfracht-Handling flotter

09.02.1996

Kommt die Fracht aus dem Ausland, ist in den meisten Faellen zunaechst einmal der Zoll involviert, bevor eine Ladung vom Spediteur oder vom Kunden uebernommen werden kann. Anfang der sechziger Jahren, als das Aufkommen an Luftfracht noch bescheidene Ausmasse hatte, wickelten die Luftverkehrsgesellschaften ihre Ladungen noch selbst in den eigenen Flughafenbueros ab. Aber mit stetig wachsendem Cargo-Aufkommen und durch den Einsatz groesserer Flugzeuge wurden neutrale Dienstleister notwendig, die Lager und Manpower zur Verfuegung stellen, um die Abwicklung der schnellen Fracht zu verbessern.

Eine Vielzahl von Sendungen, permanente Verfuegbarkeit im 24-Stunden-Betrieb, unterschiedliche Ansprechpartner (Airlines, Zoll, Spediteure und Privatkunden) und der Wettlauf gegen die Zeit stellen hohe Anforderungen an die zentrale Datenverarbeitung und -kommunikation.

Die Luftfracht-Umschlag-Gesellschaft mbH (LUG) in Frankfurt loest die Aufgaben heute hardwaretechnisch mit einer RS/6000 Modell 590, die mit einer zweiten Maschine als Back-up ueber HAMCP-Software gekoppelt ist. Etwa 30 Terminals und 35 Drucker sind im Einsatz. Die Haelfte der Drucker ist nicht bei LUG, sondern bei den wichtigsten Airlines auf dem Flughafengelaende und bei Spediteuren installiert, so dass die Auslieferungsantraege dort sofort per Standleitung oder Datex-P ausgedruckt werden, ohne dass eine Verzoegerung im Kommunikationsweg auftritt.

Als zentrale Software dient LUG AS (= Abwicklungssystem), eine Applikation, die von MLC in Ratingen unter AIX entwickelt wurde. Zur kompletten Koordination des Informations- und Warenflusses gehoert neben dem Wareneingang und -ausgang auch die Integration der Lagerhaltungsdaten, das komplette Rechnungswesen und der Datenaustausch beziehungsweise die Datenkonvertierung mit den Partnern (EDI). Die Datenhaltung erfolgt in einer Informix-Datenbank. Das System wurde in der Realisierungsumgebung JAM geschrieben und verfuegt ueber komfortable Bedienelemente wie Fenstertechnik, rollierende Masken, Pop-up-Submasken.

Fuer Karl-Heinz Kotzian, den EDV-Leiter der LUG, war die Umstellung von der urspruenglich eingesetzten IBM S1 auf RISC-Maschinen der logische Einschnitt, um auch softwaretechnisch das System auszubauen: "Eine Uebernahme von Daten war fuer uns vorrangiges Thema, denn das manuelle Abtippen von Flugmanifest-Daten bedeutet neben dem Zeitfaktor ja auch eine moegliche Fehlerquelle. Auf der anderen Seite der Kommunikationsrichtung moechten wir natuerlich auch mit unseren Kunden nicht mehr nur per Fax oder Telefon reden, sondern gleich die Informationen weitergeben."

Damit rueckte der Elektronische Datenaustausch (EDI) in den Mittelpunkt des Pflichtenhefts, eine Aufgabe, fuer die sich die MLC, Gesellschaft fuer Management, Logistik und Communication, als Partner anbot. Das Haus hatte den reinen Kommunikationsteil ("die Steckdose") schon fuer andere Flughafenandiener realisiert und konnte mit "Edisys" ein EDI- und Konvertierungsprodukt in die Gesamtapplikation integrieren. Die zeitliche Abwicklung des Gesamtprojekts dauerte zirka zwei Jahre. Das sicherte der LUG einen Vorsprung gegenueber anderen Flughaefen und Anbietern, bei denen die Frachtabwicklung heute meist noch immer ueber Medienbruecken ablaeuft.

Check per Funk beim Ladungseingang

Lange bevor das Flugzeug in Frankfurt landet, kann die Zentrale DV der LUG bereits alle Frachtdaten empfangen. Aus dem SITA-Netz, das alle Airlines weltweit nutzen, werden die sendungsbezogenen Informationen der AWB (Airway-Bill) im EDI-Standard CIMP (Cargo Interchange Message Procedure) an die LUG uebermittelt und in einem als Kommunikationsrechner vorgeschalteten PC empfangen. Dort werden in dem EDI-Konverter die Daten in das benoetigte Inhouse-Format umgesetzt und an den Host weitergegeben. Das LUG AS kann ueber alle vorherrschenden Standards, natuerlich auch ueber "Edifact", Sendungs- oder Flugdaten mit den an der "Cargo Community" beteiligten Partnern austauschen, sowohl direkt per Standleitung als auch ueber VAN-Anbieter wie beispielsweise das Telebox-400-System.

Ist die Ladung in der "Aufbruchhalle" eingetroffen, in der die zu konsolidierten Grosssendungen gebuendelten und in Flugcontainern verpackten Ladungen auseinandersortiert werden, findet ein Online-Check statt: Statt noch wie vor kurzem anhand einer Papierliste den Wareneingang auf Vollstaendigkeit und Unversehrtheit abzuhaken, bestaetigen die Mitarbeiter nach der Sichtpruefung jetzt mit mobilen Funkterminals den korrekten Wareneingang. LUG hat bereits acht LXE-Terminals im Einsatz, die alle auch mit Barcode-Lesern ausgestattet sind. Anhand der AWB-Nummer, die unter anderem einen Code fuer die Fluggesellschaft enthaelt, sind alle Informationen des Flugmanifests, etwa auch Warenbezeichnung, Gewicht und Verpackung, verfuegbar. Treten Unstimmigkeiten auf, kann der Mitarbeiter die korrigierte Information direkt per DFUE an den Kunden, also die Luftverkehrsgesellschaft, melden.

Bisher war es so, dass erst die komplette Ladung eines Flugs aufgebrochen werden musste, bevor der naechste Schritt folgen konnte: Wenn ein Jumbo 80 bis 100 Tonnen Fracht einfliegt, kann das dauern. Heute wird jede Teilsendung online quittiert, und diese Daten werden unmittelbar danach an das System "Alfa" des Zolls weitergeleitet, waehrend die Warenkontrolle der Flugladung im Lager weitergeht. Dadurch ist, so DL-Leiter Kotzian, heute eine Abfertigungszeit von zwei bis fuenf Stunden moeglich, vom Wareneingang ueber die Zollabwicklung bis zur Ausgabe an den Spediteur oder Empfaenger. Die frueher notwendigen Checklisten in Papierform gibt es im Lager nicht mehr.

Ueber den Barcode-Leser geben Mitarbeiter die Nummer der intern verwendeten LUG-Paletten ein, auf der die Sendung dann ins Zollager weitertransportiert werden. Jeder AWB wird jetzt zur weiteren Identifikation im Lager eine Palettennummer zugeordnet. Frueher gab es hierbei schon einmal Fehler, wenn in der lauten und betriebsamen Lagerhalle versehentlich Zahlendreher in der Ziffernfolge eingegeben wurden. Ein weiterer sinnvoller Schritt waere das Einlesen der AWB-Nummer per Barcode von den Aufklebern auf der Verpackung. Dies scheitert zur Zeit an der fehlenden Standardisierung: Viele Airlines arbeiten noch nicht mit Barcode-Labels, und wo sie schon verwendet werden, sind sie nicht einheitlich.

An drei Identifikationspunkten wird die auf den Paletten plazierte Sendung in das vollautomatische Hochregallager uebergeben. Ein zweiter festinstallierter Barcode-Leser ueberprueft am I-Punkt noch einmal die Sendung und haelt Gewicht, Kontur sowie Einlagerungszeit jeder Palette fest. Waehrend die Sendung vollautomatisch im menschenleeren Lager einsortiert wird, gesteuert von einer Demag-Lagerverwaltung auf zwei DEC-VAX-Servern 3300, erhaelt das uebergeordnete LUG AS ueber eine Schnittstelle ebenfalls alle relevanten Lagerdaten. Die Bestandsfuehrung verknuepft jede Sendung mit einem festen Platz innerhalb des Zollagers, wobei unterschiedliche Lagerformen, Stellplatz- und Palettengroessen beruecksichtigt werden. Ein Informationssystem gibt umfassende Auskunft darueber, was sich wo befindet.

Mittlerweile hat das Zollsystem "Alfa" den Eingang der Daten quittiert, und eine entsprechende Meldung vom Rechenzentrum ist auf der anderen Seite des Flughafens bei LUG eingetroffen. Die Systeme sind per HfD verbunden. Damit wird der Ausdruck des Auslieferungsantrags angestossen, in vielen Faellen eben wie eingangs erwaehnt, direkt in den Bueros der Airlines oder auch bei Sammelsendungen direkt beim Spediteur, also bei den Kunden der LUG. Jetzt ist - per Amtsstempel - die Freigabe durch den Zoll gefragt, der Medienbruch dadurch unumgaenglich: In dreifacher Ausfuehrung teilen sich LUG und der Zoll das Papier, die obere Haelfte ist amtlich, die untere enthaelt Vermerke fuer die Abholung bei LUG.

Kommt der Abholer, meist ein Spediteur, an die LUG-Rampe, wird die Airway-Bill-Nummer von dem Auslieferungsantrag per Barcode eingelesen, die vollautomatische Auslagerung initiiert und gleichzeitig auch eine Information ueber Infrarot an einen Gabelstaplerfahrer gegeben; der kann auf einem Display ablesen, welche Ware er abzuholen und nach der Kontrolle an welche LKW-Rampe zu fahren hat. Im Vergleich zu frueheren Zeiten laeuft so der gesamte Importprozess wenn auch nicht papierlos, so doch mit weit weniger Papierkrieg ab als frueher.

Datentechnisch stehen jetzt noch zwei Schritte an: Natuerlich zum einen der Ausdruck der Rechnungen, denn wie jede Dienstleistung wird auch das Zollager nach einem Entgeltsatz abgerechnet, der hauptsaechlich das Gewicht der Sendung beruecksichtigt und nach einer gewissen entgeltfreien Frist auch Lagermiete umfasst. Da alle Daten in der Applikation verfuegbar und die Entgeltsaetze hinterlegt sind, ist das Rechnungschreiben heute ein automatisierter Prozess, der problemlos an den festgesetzten Stichtagen ablaeuft. Mit einem Grosskunden, der Spedition Panalpina, kommt auch die Rechnungsstellung bereits per EDI ohne Papier aus. Zum anderen muessen die Auslieferungsantraege gemaess Zollbestimmungen fuer fuenf Jahre archiviert werden - heute nicht mehr in Ordnern, sondern abgefilmt (wegen der rechtsverbindlichen Unterschrift) auf Mikrofilm, wo man sie weit schneller wiederfindet als frueher in Bergen von Aktenordnern.

Waehrend im Moment einige Anpassungen an das Alfa-System durchgefuehrt werden, die aufgrund neuer EU-Regelungen als zusaetzliche Nachricht notwendig wurden, wuenscht sich Kotzian als naechsten Schritt die Anbindung weiterer Spediteure an das LUG AS. Bislang koennen erst drei grosse Speditionen ueber Datex-P Nachrichten direkt mit LUG austauschen. "Viele Empfaenger warten dringend auf ihre Luftfracht, und so muessen wir oft telefonisch Auskunft ueber den aktuellen Status einer Sendung geben. Es ist vorgesehen, dass weitere Spediteure direkt auf unsere sendungsbezogenen Informationen zugreifen koennen."

Und was zeigt die Praxiserfahrung? Klappt der Echtzeitbetrieb mit diesem Abwicklungssystem im rauhen Lageralltag genausogut wie von den Logistikern konzeptioniert? Kotzian: "Wir haben bislang noch keinen Ausfall gehabt."

*Dieter Michel ist Fachjournalist in Bochum.

Das Unternehmen

Am Frankfurter Flughafen sorgt fuer den Grossteil aller zu verzollenden Importe die Luftfracht-Umschlag-Gesellschaft mbH (LUG), die heute mit 220 Mitarbeitern etwa 8000 Tonnen Luftfracht monatlich durch ihr Lager schleust. Mit den Tochterfirmen SVL GmbH (die Initialen stehen fuer Stauen, Verpacken, Lagern) und Tradeport (gemeinsam mit der Flughafen AG betrieben) expandiert das Unternehmen im Umfeld der Frachtdienstleistungen, zukuenftig mit Laegern im neuerschlossenen suedlichen Flughafenbereich auch in den Exportsektor.

Kurz & buendig

Standards, insbesondere EDI stehen im Mittelpunkt dieser Anwendung, die sich durch einen besonders durchgaengigen Datenaustausch zwischen den zahlreichen Beteiligten an dieser schnellen Frachtart auszeichnet. Papier faellt kaum noch an, wenn aber, wie beispielsweise bei den Rechnungen, so ist das Verfahren weitestgehend automatisiert. Es waeren weitere Standards wuenschenswert, etwa bei den Aufklebern der Verpackung. Noch nutzen nicht alle Airlines Barcode-Labels.