Catharina van Delden im CW-Gespräch

Wie Crowdsourcing sich lohnen kann

10.11.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Todsünden beim Crowdsourcing

CW: Gibt es Todsünden, die man nicht begehen sollte, wenn man von Crowdsourcing profitieren will?

Van Delden: Oh ja. Wenn ein Unternehmen Crowdsourcing nicht als echten Dialog versteht, sondern nur als Marketing-Gag oder als Werkzeug, um Aufmerksamkeit zu erregen, geht es schief. Es gibt eine Menge Beispiele, wie so etwas in die Hose gehen kann. Immer wieder wird dazu das Beispiel von Henkel mit seinem Pril-Projekt zitiert. Es ist absolut wichtig, dass Unternehmen wirklich hinter dem Konzept stehen. Wenn einer von beiden, das Unternehmen oder die Community, nicht mitzieht, funktioniert das Modell nicht.

Ein Problem entsteht auch, wenn die gewählte Crowdsourcing-Plattform nicht sicher ist. Es gab den Fall des Limonadenherstellers Mountain Dew. Der wollte für eine Apfellimonade einen neuen Namen kreieren lassen. Doch die Software wurde gehackt, und das Abstimmungsergebnis lautete: "Hitler did nothing wrong". Sie mussten die Aktion vom Netz nehmen. Man sollte also auf Software setzen, die sicher ist und die Abstimmungsbetrug verhindert.

Übrigens muss man auch auf die Rechteverwertung und -übertragung genau achten. Community-Mitglieder müssen klar wissen, dass das Unternehmen die Ideen später kommerziell nutzen will.

Henkels PR-Desaster

Der Konsumgüterkonzern Henkel suchte via Facebook für sein Premium-Spülmittel Pril einen neuen Slogan und ein neues Design. Der Erfolg war zunächst groß: Mehr als 30.000 Vorschläge wurden von den Nutzern eingereicht. Dumm nur, dass der meistfavorisierte Vorschlag nicht so recht ins bisherige Pril-Image passte. Das Etikett war nämlich nicht blumig und frisch. Vielmehr zierte ein hingekrakeltes Hähnchen das Cover samt Aufschrift „Schmeckt lecker nach Hähnchen!“

Foto: Gow27 - shutterstock.com

Der Vorschlag gewann mit weitem Abstand vor dem zweitplatzierten. Daraufhin setzte Henkel eine Jury ein, die zunächst eine Vorauswahl aus den Vorschlägen treffen sollte, ehe dann eine öffentliche Abstimmung folgen durfte. Diese Zensur führte in der Community zu heftigem Unmut. Henkel leistete sich dann noch einen Fauxpas: Bei einem weiteren Vorschlag für die Pril-Edition („Mit leckerem Brezelduft“) stimmte auf einmal die Zahl der abgegebenen Zustimmungen nicht mehr. Spätestens damit war das PR-Desaster für Henkels Crowdsourcing-Projekt perfekt.

CW: Kommt es vor, dass jemand aus der Community am kommerziellen Erfolg einer Crowdsourcing-Aktion beteiligt werden will?

Van Delden: Es gibt ja Plattformen wie in den USA "Quirky", die Teilnehmer an den Verkaufserlösen beteiligen. Die vertreiben allerdings die Produkte auch selbst. Quirky entwickelt Produkte für den Hausgebrauch und vertreibt sie über den eigenen OnlineShop.

Vorrangig ist aber, dass die Community ernst genommen werden will. Als wir uns Anfang 2010 gründeten, haben wir uns gefragt, was wohl die Community motivieren wird, an einer Crowdsourcing-Aktion teilzunehmen. Wir hatten zunächst selbst zugekaufte Produkte via Crowdsourcing weiterentwickelt: Senf, die "Badebombe" und Salatdressing. Vertrieben wurden sie über unseren eigenen Online-Shop. Wir dachten, es sei fair, die Community finanziell an den Erlösen zu beteiligen. Die Badebombe hatten wir für ungefähr sechs Euro eingekauft und für zehn Euro verkauft. Ein Euro je Produkt sollte an die Community ausgezahlt werden, der Rest war für die Deckung unserer Kosten gedacht.

Und was passierte? Die Leute hat die Bezahlung überhaupt nicht interessiert. Wir hatten sie angeschrieben und nach ihren Paypal-Daten gefragt, damit wir ihnen einen Beitrag überweisen konnten. Die haben nicht einmal reagiert. Aber sie haben sich bitter beschwert, dass sie die Produkte nicht bekommen, an denen sie mitentwickelt hatten. Wir haben ihnen geantwortet: "Mit dem Geld, das wir Dir überweisen wollen, kannst Du Dir zehn von den Produkten kaufen." Ergebnis? An einer Bezahlung war niemand interessiert, sondern an dem Produkt selbst.

Diese Erkenntnis deckt sich mit vielen Studien aus der Psychologie. Mitarbeiter lassen sich viel mehr motivieren, wenn Unternehmen die Voraussetzungen schaffen, dass sie ihren Job besser machen können. Das motiviert sie mehr als ein höheres Gehalt.

Gartners Crowdsourcing- Vorhersage

Gartner lehnte sich 2013 bezüglich der Potenziale von Crowdsourcing weit aus dem Fenster: Bis 2017 werden demnach mehr als die Hälfte aller Konsumgüterhersteller 75 Prozent ihrer Produktinnovationen und Forschungs- und Entwicklungskapazitäten aus Crowdsourcing-Projekten beziehen.