Vorstandschef von Pierer unter Beschuß

Wegen Halbleitermalaise fliegt Siemens in Turbulenzen

31.07.1998

Ein Sprecher der Siemens AG dementierte jedoch, daß sich die Bayern "in den nächsten Monaten nahezu komplett aus dem Geschäft mit billigen Speicherbausteinen zurückziehen" - so hatte der "Spiegel" berichtet. Dem Artikel zufolge ist zunächst geplant, die Werke in Taiwan und Essonnes, Frankreich, an Partner wie die IBM abzutreten. Lasse sich solch ein Plan nicht realisieren, sei ein Rückzug auf breiter Front die ultima ratio.

Vorausgegangen waren Äußerungen sowohl des Siemens-Chefs selbst als auch des Siemens-Finanzvorstands Hans-Joachim Neubürger vor Finanzanalysten: Beide hatten laut "Spiegel" gesagt, Kapazitätsanpassungen, die im Zuge der Restrukturierung von Siemens überlegt würden, könnten auch die Schließung einzelner (Halbleiter-)Werke bedeuten.

Josh Waiblinger, Analyst bei der BHF-Bank in Frankfurt am Main, hält einen Abschied aus der Speicherchip-Produktion für wenig ratsam: "Damit müßte Siemens ja auch alle bisherigen Verluste aus diesem Segment abschreiben." Und die sind nach Berechnungen von Peter Hassler, Analyst bei der Bayerischen Vereinsbank, erheblich. In den 90er Jahren habe Siemens "mindestens zehn Milliarden Mark" Verlust mit dem Halbleiter-Abenteuer eingefahren.

Außerdem, resümiert Waiblinger weiter, müßten die Bayern wegen des momentan stark defizitären Geschäfts im Falle einer Veräußerung des DRAM-Speichersegments eher noch zuzahlen. Würde von Pierer dennoch den Kahlschlag wagen, fielen unter anderem in den beiden erst vor einigen Monaten eröffneten Werken Richmond, Virginia, und North Tyneside, Großbritannien, sowie in Taiwan und Frankreich über 1000 Arbeitsplätze weg.

Neben dem Halbleitergeschäft sind die privaten Kommunikationssysteme, die Verkehrstechnik sowie die Sparte Energieerzeugung/KWU weitere Sorgenkinder der Siemens AG. Diese vier Geschäftsbereiche tragen ein Drittel zum Gesamtumsatz des Konzerns bei. Der Bereich Verkehrstechnik etwa werde den Vorjahresverlust von 177 Millionen Mark 1997/98 noch erhöhen, sagte von Pierer.

In einem zehn Punkte umfassenden Restrukturierungsprogramm soll deshalb nicht nur der Halbleiterbereich kritisch nach Verbesserungspotential durchforstet werden. Siemens plant ferner Akquisitionen, will Problemgebiete bereinigen, neue Arbeits- gebiete aufstellen, die Kapitalstruktur verbessern und die Kapitalbindung reduzieren. Auch ein Börsengang in den USA ist geplant.

Wegen der eher mäßigen Geschäftsergebnisse haben die beiden führenden Rating-Agenturen Standard & Poors und Moodys ihre Bewertungen für Siemens gesenkt oder planen dies zumindest. S&P teilte mit, das Rating für die Verbindlichkeiten und erstrangigen Schulden des Konzerns und seiner Tochtergesellschaften werde von "AA plus" auf "AA" gedrückt. Auch Moodys überlegt, sein Bonitätsurteil über erstklassige Verbindlichkeiten von Siemens herabzustufen.

S&P-Analystin Susanna Trostdorf erklärte die Rückstufung von Siemens gegenüber der CW unter anderem mit der zunehmenden Diskrepanz zwischen fehlender Profitabilität und erzielten Umsätzen (siehe Kasten). Auch sei in den kommenden Jahren zu befürchten, daß sich die momentan noch starke finanzielle Position von Siemens wegen einer anhaltend schwachen Firmenvorstellung verschlechtern werde. Zudem könnten sowohl die Profitabilität als auch der Überschuß nach Abzug aller Unkosten (Cash-flow) im Zuge weiterer Restrukturierungsmaßnahmen sinken.

Keiner der Analysten wollte Gerüchte bestätigen, denen zufolge von Pierers Position im Hause Siemens bereits so stark gefährdet sei, daß seine Demission anläßlich der nächsten Hauptversammlung nicht auszuschließen sei. Intern soll der Vorstandsvorsitzende nach diesen Spekulationen dermaßen unter Beschuß stehen, daß wichtige Entscheidungen nicht mehr von ihm, sondern von anderen Vorstandsmitgliedern gefällt würden.

Unsicher scheint derzeit auch die Zukunft einer Vereinbarung, die die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG (SNI) mit Acer Ende April 1998 aushandelte. Die hundertprozentige Siemens-Tochter wird zum 1. Oktober gemeinsam mit den Geschäftsfeldern Private und Öffentliche Kommunikation (PN und ÖN) dem Siemens-Geschäftsbereich Information und Kommunika- tion (I+K) einverleibt. Die Augsburger PC-Fertigung soll an den taiwanischen Computerhersteller verkauft werden. Acer würde der Absichtserklärung zufolge dann für SNI PCs fertigen, die von den Münchnern vertrieben werden.

Das Abkommen sollte Mitte dieses Jahres unter Dach und Fach sein. Allerdings haben sich einige Probleme ergeben, die einem reibungslosen Abschluß der Vereinbarung im Wege stehen. So müssen noch Vertriebsfragen zwischen den beiden Unternehmen geklärt werden. Auch über die Fortführung finanzieller Ansprüche und betrieblicher Leistungen der betroffenen 2000 Mitarbeiter des Augsburger PC-Werkes sei das letzte Wort bisher nicht gesprochen. Ein Sprecher von Acer drückte die Hoffnung aus, daß der Pakt nun bis Ende Juli oder Anfang August wasserdicht gemacht werden könne.

Ergebnis nach neun Monaten

Siemens konnte in den neun Monaten bis Ende Juni 1998 den Umsatz gegenüber dem Vorjahreszeitraum zwar um 15 Prozent auf 81,9 Milliarden Mark erhöhen. Das bereinigte Konzernergebnis nach Steuern nahm jedoch gleichzeitig nur um fünf Prozent auf 1,78 Milliarden Mark zu. Von Pierer räumte ein, das erhoffte Renditeziel für das Jahr 2000 - nämlich 8,5 Prozent des eingesetzten Gesamtkapitals nach Steuern zu verdienen - sei nur noch unter der Voraussetzung zu erreichen, daß sich die Gewitterwolken am Halbleitermarkt wieder verzögen. Allein für diesen Bereich erwartet von Pierer in diesem Geschäftsjahr (Ende: 30. September 1998) einen Verlust von über einer Milliarde Mark.