Asymmetrischer Gang und bipedale Abstützungsdauer

Was iPhone und Apple Watch beim Gehen messen

05.12.2023
Von 
Halyna Kubiv ist Content Managerin bei der Macwelt.
Die 10.000-Schritte-Marke beruht wie bekannt auf einem Marketing-Trick, die Apple Watch und das iPhone messen jetzt noch mehr Parameter.
Das iPhone misst längst deutlich mehr als nur die Anzahl der täglichen Schritte.
Das iPhone misst längst deutlich mehr als nur die Anzahl der täglichen Schritte.
Foto: Maridav - shutterstock.com

Eine der wahrscheinlich hartnäckigsten Mär im Fitness-Bereich ist wohl, dass man am Tag rund 10.000 Schritte machen muss, um gesund und fit zu bleiben. Die Apple Watch und das geeignete iPhone zählen zwar Schritte, die Sie in der Health-App unter "Aktivität" finden, doch die Anzahl war nie ein Parameter für Trainings oder Fitness. Die drei berühmten Ringe zeigen eher Aktivitätskalorien, Trainings-Minuten und Stehzeiten der Nutzer pro Tag.

Seit iOS 14 und watchOS 7 zeigt die Gesundheits-App deutlich mehr Auswertungen rund um gegangene Schritte, doch von dem einfachen Aufzählen der ersten Pedometer sind diese weit entfernt. Mit der neuen Gesundheitskategorie "Mobilität" stellt Apple Nutzern, App-Entwickern und Forschern jede Menge neue Daten zur Verfügung, die die Beweglichkeit des Nutzers bewerten und auf seine Gesundheit und Fitness schließen sollen.

Das eigene Gangprofil - asymmetrischer Gang und bipedale Abstützungsdauer

Wir laufen pro Tag einige Tausend Schritte, den wenigsten ist jedoch bewusst, welche komplexen Vorgänge unser Körper dabei ausführt, um sich im Raum fortzubewegen. Um diese komplexe Metrik zu digitalisieren, hat Apple 2020 neue Auswertungen in seiner Health-App vorgestellt. Wir sprechen über die Bedeutung der beiden Begriffe mit Professor Dr. Andreas Imhoff, dem Chefarzt in der Abteilung für Sportorthopädie an dem Klinikum rechts der Isar der TU München.

Die beiden Metriken - der asymmetrische Gang und die bipedale Abstützungsdauer - hängen eng zusammen und geben in etwa das Bewegungsbild eines Menschen wieder. Unter normalen Umständen - also beim Gehen, nicht beim Joggen - ist ein Drei-Punkte-Gang üblich, heißt, der Mensch belastet zunächst seine Ferse, rollt dann über die äußere Fußwölbung ab und der Fuß wird vorne belastet - zunächst der kleine Zeh, zuletzt der große. Das gleiche, nur spiegelverkehrt, spielt sich beim anderen Fuß ab.

Im Idealfall ist dieses Abrollen gleichmäßig und symmetrisch. Unregelmäßigkeiten weisen laut Dr. Imhoff darauf hin, dass der Körper eine Schwachstelle seines Bewegungsgerüstes kompensiert und Belastungen anders verlagert. Hier kommt die Auswertung des asymmetrischen Gangs ins Spiel: In der klinischen Umgebung wird der Patient zunächst bei Bewegung beobachtet, teils auch auf Video aufgenommen. Apple liefert hier wohl die Auswertungsdaten seines Bewegungs- und Beschleunigungssensors, die einen Wert in Prozent berechnen.

Die bipedale Abstützungsdauer hängt damit auch eng zusammen: Je länger der Mensch beim Gehen das Gleichgewicht auf einem Bein halten kann, umso fitter ist er. Muss er sich schneller mit dem anderen Bein wieder abstützen, ist das wie beim asymmetrischen Gang ein Hinweis auf ein Problem.

Apple rechnet den Wert für die bipedale Abstützungszeit in prozentuale Dauer um, in welcher sich beide Beine beim Gehen auf dem Boden befinden. Je niedriger dieser Wert ist, desto besseres Gleichgewicht hat der Nutzer. Die Normalwerte liegen zwischen 20 und 40 Prozent. Bei Sportlern können beide Metriken laut Prof. Dr. Imhoff auf die mögliche Leistungsfähigkeit hinweisen, denn das beste Training bringt nichts, wenn die Grundlagen der Bewegung nicht stimmen, dabei können der asymmetrische Gang und bipedale Abstützungsdauer wertvolle Einblicke liefern.

Aber auch abseits vom Leistungssport sind solche Metriken für Physiotherapeuten wertvoll: Verschlechtert sich über die Jahre das Gangbild, kann man immer noch nach Ursachen suchen und diese beseitigen. "Die Ausrede, jemand sei zu alt, gilt nicht mehr", so Dr. Imhoff, denn in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren sind auch Leistungssportler immer älter geworden. Nur in den wenigsten Fällen gibt man sich damit ab, meistens findet man bei der Untersuchung konkrete strukturelle Probleme, die sich auch beheben lassen.

Eine solche digitale Bewertung des eigenen Gangbildes findet der Sportorthopäde sinnvoll. Denn die wenigsten trainieren unter Beobachtung eines Trainers oder bei laufender Kamera. Dr. Imhoff erwartet, dass in der Zukunft weitere Apps und Gadgets auf den Markt kommen, die solche Auswertungen liefern.

Etwas selbstlos hat er uns noch den letzten Tipp verraten: Die meisten schmerzbedingten Besuche beim Orthopäden lassen sich vermeiden, wenn man sich in einem guten Schuhgeschäft ausgiebig über künftige Lauf-, Wander- oder wie auch immer geartete Sportschuhe beraten lässt und eine Video- oder Ganganalyse in Anspruch nimmt.

Neben der Schrittmenge kann ein iPhone ab iPhone 8 messen, wie lang die einzelnen Schritte sind, wie schnell der Nutzer sich auf einer ebenen Fläche fortbewegen kann, wie symmetrisch oder asymmetrisch sein Gang ist und wie lange der sich beim Gehen auf beide oder auf ein Bein stützt.

Diese einzelnen Auswertungen können auf die Mobilität des Nutzers schließen, bei einer Verletzung beispielsweise, wie schnell sich der Patient erholt und regeneriert und im hohen Alter, wie selbstständig der Mensch sein kann.

Bei der Schrittlänge kann man beispielsweise auf die Langzeitmobilität schließen: Je längere Schritte ein Mensch macht, desto mehr Kraft und Gleichgewicht benötigt er dabei. Krankheiten und zunehmender Alter können sich auf die Schrittlänge auswirken, sodass die Schritte kürzer werden.

Aus dem Gang auf die Gesundheit schließen

Ähnlich verhält es sich mit dem Gehtempo: Je schneller ein Mensch geht, desto gesünder und fitter sollte dieser sein. Mit dem Alter kann sich das eigene Gehtempo verlangsamen. Tritt eine solche Verlangsamung plötzlich auf, kann dies auf weitere gesundheitliche Veränderungen hinweisen. Das iPhone kann die beiden Parameter automatisch aufzeichnen, wenn man das Gerät ungefähr in Taillenhöhe trägt und eine konstante Zeit über einen ebenen Boden geht.

Laut Apple wertet das iPhone nicht jeden Spaziergang aus, nur bestimmte Einheiten, wenn sich der Nutzer mit konstanter Geschwindigkeit auf einer ebenen Oberfläche bewegt. Diese gleichmäßigen Spaziergänge werden über eine bestimmte Dauer überwacht und ausgewertet, die Ergebnisse sieht der Nutzer in der Health-App.

Ein weiterer Parameter, der auf diesen Berechnungen beruht, ist die Schätzung des 6-Minuten-Gehtests. Wie weit ein Mensch in sechs Minuten gehen kann, schließt auf seine körperliche Belastbarkeit, je höher die Werte bei diesem Test, desto besser können die Werte bei Herz-, Atem-, Kreislauffunktionen sein.

Das Problem ist nur, dass diese Tests meist in den Krankenhäusern durchgeführt werden. Dazu haben die Ärzte keine Referenzgrößen, sagen wir, von Verletzung, um die aktuellen Ergebnisse dieses Tests in einen Kontext zu setzen. Ein iPhone ab iOS 14 und iPhone 8 wird die Health-App anhand der realen Daten diese Vorhersagen in regelmäßigen Abständen erstellen.

Wer noch die Apple Watch trägt, sieht in der Mobilitätszusammenfassung weitere Parameter: die Geschwindigkeit beim Treppensteigen auf- und abwärts, VO22 Max und der bereits beschriebene 6-Minuten-Gehtest. Die Geschwindigkeit beim Treppensteigen ist nur der Apple Watch Series 5 vorbehalten, die restlichen Auswertungen kann die Apple Watch Series 4 und neuer erstellen.

Neue Metriken für Läufer

Seit watchOS 9 im vergangenen Herbst hat Apple zwei zusätzlichen Metriken hinzugefügt, die sich explizit auf die Mobilität beim Laufen konzentrieren. Die Bodenkontaktzeit wird in Millisekunden bemessen und soll aussagen, wie lange jeder Fuß den Boden beim Laufen berührt. Je kürzer diese Zeit, desto besser. Eine verlängerte Bodenkontaktzeit kann auf eine falsche Lauftechnik hinweisen, bislang musste man dabei auf eine Profi-Analyse mit Video-Aufnahmen setzen.

Auch neu ist die vertikale Oszillation beim Laufen, diese Metrik weist auf die Höhenunterschiede des Körpers beim Laufen. Je stärker sich der Körper beim Joggen auf und ab bewegt, desto mehr Energie muss der Läufer dabei aufwenden.

Wird diese Bewegung durch eine geäderte Fußsetzung oder weitere Mechanismen reduziert, wird auch das Laufen effizienter. Eine zu starke vertikale Bewegung beim Laufen wirkt sich belastender auf Muskeln und Sehnen. Auch in dieser Hinsicht lohnt es sich, diese Metrik im Auge zu behalten. Der geschmeidigere Lauf kann Sportverletzungen verhindern. (Macwelt)