Ziehe ich nach London um, weil ich Karriere machen möchte, oder sind mir meine Freunde wichtiger? Spare ich 200 Euro pro Monat fürs Alter oder fliege ich auf die Bahamas? Möchte ich mit meinem Partner Kinder kriegen oder ist mir meine Unabhängigkeit wichtiger? Mit solchen Fragen, bei denen wir uns entscheiden müssen, werden wir in unserem Leben zunehmend konfrontiert. Es ist eine Illusion, anzunehmen, alles sei zugleich möglich.
Sich zu entscheiden, das fällt vielen Menschen schwer. Denn: Wenn wir uns für etwas entscheiden, müssen wir andere Möglichkeiten verwerfen. Das können wir nur, wenn wir wissen, was uns wichtig ist. Sonst fassen wir zwar viele Vorsätze, doch ein, zwei Tage später sind sie vergessen. Unsere Vorsätze sind nicht in einer Lebensvision verankert.
Hinzu kommt: Was in unserem Leben wirklich wichtig ist, ist nie dringend. Es ist zum Beispiel nie dringend, joggen zu gehen. Es wäre aber gut für unsere Gesundheit. Und es ist nie dringend, sich Zeit für ein Gespräch mit dem Partner zu nehmen. Es wäre aber wichtig für die Beziehung.
Weil die wirklich wichtigen Dinge nie dringend sind, schieben wir sie oft vor uns her. Oder wir hegen die Illusion: Wenn ich alles schneller erledige, habe ich auch dafür Zeit. Die einzige Konsequenz: Wir führen zunehmend ein Leben im High-Speed-Tempo. Und irgendwann stellen wir resigniert fest: Nun führe ich zwar ein noch ge-füllteres Leben, aber kein erfülltes Leben.
Herausforderung: die Balance im Leben wahren
Eine solche Schieflage ist kein Einzelschicksal. Immer mehr Menschen plagt das Gefühl: Mein Leben ist nicht im Lot. Eine Ursache hierfür ist: Bezogen auf ihre berufliche Laufbahn haben die meisten Menschen eine klare Perspektive – zum Beispiel: „Ich will Marketingleiter werden.“ Anders sieht es in den Lebensbereichen „Sinn/Kultur“, „Körper/Gesundheit“ und „Soziales Leben“ aus. Hier fehlen uns häufig klare Ziele.
In der Alltagshektik übersehen wir zudem oft, dass die vier Lebensbereiche in einer Wechselbeziehung stehen. Deshalb verliert, wer zum Beispiel den Bereich „Berufliches Leben“ längerfristig überbetont, auf Dauer neben seiner Lebensfreude, auch seine Leistungskraft. Denn:
Wer krank ist, kann weder sein Leben in vollen Zügen genießen, noch ist er voller Leistungskraft.
Wer einsam ist, ist weder „quietsch-vergnügt“, noch kann er seine volle Energie auf seinen Job verwenden.
Wer in einer Sinnkrise steckt, ist weder „lebensfroh“, noch sehr leistungsfähig. Denn hinter allem Tun steht die Frage: Was soll das Ganze?
Wenn wir ein erfülltes Leben führen möchten, müssen wir also für die rechte Balance zwischen den vier Lebensbereichen sorgen. Hierfür benötigen wir eine Vision von unserem künftigen Leben. Denn heute werden viele Anforderungen an uns gestellt, die sich nur bedingt miteinander vereinbaren lassen. Das werden berufstätige Mütter bestätigen. In den meisten höher qualifizierten Jobs sind unregelmäßige Arbeitszeiten normal. Für berufstätige Mütter bedeutet dies: Sie können nicht mehr täglich beispielsweise Punkt 16 Uhr das Büro verlassen. Was sollen sie aber tun, wenn der Kindergarten um 16 Uhr schließt? Noch ein Beispiel: Vielen Vertriebsmitarbeitern von Unternehmen fällt es zunehmend schwer, regelmäßig private Termine wahrzunehmen. Denn immer wieder dauert ein Kundentermin länger als geplant. Also sind (Interessen-)Konflikte programmiert.
- 16 Lebensmotive
Das Reiss Profile ist ein Diagnoseinstrument für menschliche Motivation. Basis ist ein standardisiertes psychologisches Testverfahren, das von Professor Dr. Steven Reiss entwickelt wurde. Ergebnis war die Theorie der 16 Lebensmotive, die die individuelle Motiv- und Antriebsstruktur der Persönlichkeit beschreibt: - Macht
Das Lebensmotiv Macht gibt Auskunft darüber, ob jemandem das Führen/Verantworten oder eher das Übernehmen von Dienstleistung wichtig ist. - Teamorientierung
Das Lebensmotiv Teamorientierung macht eine Aussage darüber, wie jemand seine Beziehungen in den Aspekten Autonomie oder Verbundenheit zu anderen Menschen gestaltet. - Neugier
Das Lebensmotiv Neugier macht eine Aussage darüber, welche Bedeutung das Thema "Wissen" für jemanden im Leben hat und wozu er Wissen erwerben möchte. - Anerkennung
Das Lebensmotiv Anerkennung macht eine Aussagen darüber, durch "wen" oder durch "was" jemand sein positives Selbstbild aufbaut. - Ordnung
Die Ausprägung im Lebensmotiv Ordnung zeigt an, wie viel Strukturiertheit oder Flexibilität jemand in seinem Leben benötigt. - Sammeln/Sparen
Das Lebensmotiv Sammeln/Sparen kommt in seiner evolutionären Entsprechung aus dem "Anlegen der Vorräte". Die Ausprägung zeigt an, wie viel es jemandem emotional bedeutet, Dinge zu besitzen. - Ziel-/Zweckorientierung
Bei dem Lebensmotiv Ziel-/Zweckorientiertheit geht es darum, ob jemand nach Prinzipientreue strebt oder eher zweckorientiert ist. - Beziehungen
Bei dem Lebensmotiv Beziehungen wird die Bedeutung von sozialen Kontakten dargestellt. Hierbei spielt die Quantität der Kontakte eine entscheidende Rolle. - Familie
Das Lebensmotiv Familie gibt Auskunft darüber, welche Bedeutung das Thema Fürsorglichkeit, bezogen auf die eigenen Kinder, für jemanden hat. - Status
Dem Lebensmotiv Status geht es um den Wunsch, entweder in einem elitären Sinn "erkennbar anders" oder aber unauffällig und wie die anderen zu sein. - Rache/Kampf
Bei dem Lebensmotiv Rache/Kampf geht es insbesondere um den Aspekt des Vergleichens mit anderen. Dazu gehören auch die Themen Aggression und Vergeltung einerseits sowie Harmonie und Konfliktvermeidung andererseits. - Schönheit
Schönheit als Lebensmotiv gibt Auskunft über die Bedeutung von Sinnlichkeit, Erotik, Naturverbundenheit, Kunst, Design, Kreativität etc. im Leben eines Menschen. - Essen
Das Lebensmotiv Essen fragt nach der Bedeutung, die Essen als Selbstzweck für jemanden hat, d.h. wie viel der Genuss an Essen zu der Lebenszufriedenheit beiträgt. - Körperliche Aktivität
Das Lebensmotiv körperliche Aktivität fragt nach der Wichtigkeit, die körperliche Aktivität (Arbeit oder Sport) für die Lebenszufriedenheit hat. - Emotionale Ruhe
Das Lebensmotiv emotionale Ruhe kann auch mit emotionaler Stabiliät umschrieben werden und fragt nach der Bedeutung stabiler emotionaler Verhältnisse für die Lebenszufriedenheit und Leistungsfähigkeit.
Zeitmanagement ist keine Lösung
Für solche Konflikte bietet uns das klassische Zeitmanagement keine Lösung – unter anderem, weil es nicht berücksichtigt, dass unsere größten Konflikte meist daraus resultieren, dass wir in ein soziales Beziehungsnetz eingebunden sind. Hierfür zwei Beispiele: Ein Angestellter kann sich zwar vornehmen „Heute Abend, Punkt 18 Uhr, verlasse ich das Büro.“ Wenn sein Chef aber kurz vor 18 Uhr sagt „Dieses Angebot muss heute noch raus“, dann hat er ein Problem. Ebenso verhält es sich, wenn er sich vornimmt „Ich gehe abends regelmäßig joggen“, sein Lebenspartner aber sagt: „Wenn du schon so spät von der Arbeit kommst, dann könntest du wenigstens dann bei mir und den Kindern bleiben“. Auch dann hat er ein Problem.
Wir können zwar auch als „lonely heroes“ durchs Leben gehen, aber ein erfülltes Leben führen wir so nicht, denn: Menschliches Leben ist Leben in Gemeinschaft. Hinzu kommt: Viele Anforderungen, die das Leben an uns stellt, können wir nur mit Hilfe anderer Menschen meistern. Zum Beispiel, indem wir mit Bekannten vereinbaren: „Montags holst du meine Kinder ab, damit ich länger arbeiten kann. Dafür nehme ich deine Kinder am Dienstag mit.“
Manager des eigenen Lebens werden
Hieraus resultiert eine weitere Herausforderung: Wir müssen sozusagen „Manager“ unseres eigenen Lebens werden – also Personen, die durch ihr heutiges Handeln dafür sorgen, dass sie auch künftig ein glückliches und erfülltes Leben führen.
Eine Voraussetzung hierfür ist: Wir müssen heute dafür sorgen, dass wir auch künftig nicht unsere Lebensbalance verlieren. Zum Beispiel, weil
wir unseren Arbeitsplatz verlieren (Bereich „Berufliches Leben“),
uns unser Lebenspartner verlässt (Bereich „Soziales Leben“),
wir einen Herzinfarkt erleiden (Bereich „Körper/Gesundheit“) oder
uns das Burnout-Syndrom und damit die Sinnkrise packt (Bereich „Sinn/Kultur“).
Der erste Schritt hierzu besteht darin, dass wir eine Vision von unserem künftigen Leben entwickeln. Setzen Sie sich deshalb zum Beispiel in der Zeit zwischen den Jahren hin und fragen Sie sich bezogen auf die vier Lebensbereiche:
Was ist mir wirklich wichtig?
Worin zeigt sich für mich ein erfülltes Leben? Und:
Was muss ich heute tun, damit ich auch morgen ein glückliches Leben führe?
Vorsätze absichern
Fragen Sie sich zudem: Gibt es Anzeichen dafür, dass künftig die Balance in meinem Leben bedroht sein könnte? Solche Warnsignale können sein:
Zwischen Ihnen und Ihrem Lebenspartner herrscht zunehmend Schweigen. Auch wichtige Freunde melden sich nicht mehr (Bereich „Soziales Leben“).
In Ihrem Betrieb lautet die oberste Maxime plötzlich „Sparen“ (Bereich „Berufliches Leben“).
Sie fragen sich immer häufiger: Was soll das Ganze? (Bereich „Sinn/Kultur“).
Sie spüren ab und zu ein Stechen in Ihrer Herzgegend (Bereich „Körper/Gesundheit“).
Haben Sie diese Fragen für sich beantwortet, dann können Sie konkrete Vorsätze fassen und einen Maßnahmenplan für sich entwerfen, wie Sie diese realisieren. Und zwar ohne dass die Gefahr besteht, dass Sie Ihre Vorsätze schon wieder vergessen haben, kaum sind die Silvesterraketen verglüht. Denn Ihre Vorsätze sind nun in einer Vision von Ihrem künftigen Leben verankert.