Das Dienste-integrierende Netzwerk wirft seine "Schatten" voraus:

Vor- und Nachteile von 64-Kbps-Leitungen

12.12.1986

Zum Dienstleistungsangebot der Deutschen Bundespost gehören jetzt auch 64 Kbps schnelle Datenübertragungsleitungen. Der Preis für diese Verbindungen ist im Vergleich zu sechs beziehungsweise sieben Einzelstrecken mit je 9000 bps attraktiv. Für den Anwender stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen für die Nutzung solcher Postwege geschaffen werden müssen und welche technischen Lösungen es gibt. Ein Bericht von Paul Hoffmann*, Geschäftsführer der Datakom GmbH, Wörth.

Welche Vorteile bietet eine 64Kbps-Übertragungsstrecke? In wenige Worte gefaßt, lautet die Antwort: Steigerung der Qualität, der Quantität oder Erhöhung der Ausfallsicherheit. Qualitätssteigerung dann, wenn es darum geht, bei gleicher Anzahl angeschlossener Terminals das Antwortzeitverhalten zu verbessern. Dies kann innerhalb eines Netzwerks mit SNA-Architektur bei einer PU4-PU4-Verbindung, also zwischen zwei Front-end-Prozessoren, wünschenswert oder gar dringend erforderlich sein. Gleiches gilt für die Kommunikation zwischen PU4- und PU2-Typen, also zwischen Front-end-Prozessor und Terminalsteuereinheit.

Steigerung der Quantität kann eine Erhöhung der Anzahl angeschlossener Terminals bei unveränderten Antwortzeiten bedeuten. In welchem Verhältnis die Qualitäts- oder Quantitätsvorteile wirksam werden, hängt von der Art der Anwendung ab.

Unter Erhöhung der Ausfallsicherheit ist die Möglichkeit gemeint, bei Ausfall eines Rechenzentrums, zum Beispiel als Folge eines Bombenanschlags oder im Brandfall, wichtige Anwendungen von einem anderen Rechenzentrum aus über 64-Kbps-Leitungen remote weiterzubetreiben.

Der Vonständigkeit halber sollen hier noch 64-Kbps-Strecken zwischen zwei oder mehreren lokalen Netzen genannt werden. Dazu ist leider teuere Gateway-Technologie erforderlich, wobei eine 64-Kbps-Strecke zwischen zum Beispiel 10 MB schnellen LANs nach wie vor einen Engpaß mit allen Nachteilen darstellt. Leider ist der nächste Schritt die 2 Mbps schnelle Übertragung, oft unerschwinglich.

Vielen Anwendern kommt zugute daß in den USA bereits eine große Anzahl von 56-Kbps-Verbindungen über öffentliche Leitungswege existiert. Als Schnittstelle wird dort in der Regel die V.35 eingesetzt. In abgewandelter Form (V.36) auch hierzulande als 48-Kbps-Datex-P-Schnittstelle bekannt.

Terminalsteuereinheiten für 56Kbps- beziehungsweise 64-Kbps-Übertragungen sind von den meisten Herstellern bereits erhältlich. (Es gibt außerdem auch bereits genügend Inhouse-56-Kbps-Remote-Anwendungen, die auf der V.35-Schnittstelle basieren.)

Was nun öffentliche 64-Kbps-Übertragungswege betrifft, forciert die Deutsche Bundespost aus gutem Grund die X.21-Interface-Technik. Durch sie wird der Aufbau von Modems beziehungsweise Anschaltgeräten unkompliziert, und sie eignet sich gleichermaßen für Stand- und Wählleitungen. Eine Anschaffung oder Anpassung von Endgeräten an den X.21-Schnittstellen-Standard der Post (oder in einigen Fällen an V.36) ist also für die Nutzung des 64-Kbps-Angebots fast immer Voraussetzung.

Diese Anpassung kann der Hardware-Hersteller vornehmen. Dieselbe Aufgabe übernehmen auch Kanalteiner (digitale Knoteneinrichtungen) der Deutschen Bundespost, private Schnittstellenkonverter Multiplexer oder Schnittstellenvervielfacher. Die verschiedenen Lösungen sollen nachstehend vorgestellt werden.

1:1-Verbindungen wie etwa zwischen Front-end-Prozessoren und

Terminalsteuereinheiten oder zwischen zwei Front-end-Prozessor-Ports erfordern entweder eine Umrüstung auf den Post-Schnittstellen-Standard oder eine Konvertierung durch eine Hardware-Box. Spezielle Konverter sind am Markt erhältlich (Bild 1)

Natürlich ist die entsprechende Postzulassung dafür obligatorisch die immer in Verbindung mit einem zugelassenen Endgerät gilt. Testinstallationen haben gezeigt, daß bei geringem Abstand zwischen dem Port des Front-end-Prozessors und dem Interface-Konverter die gute alte V.24 durchaus in der Lage ist, hohe Geschwindigkeiten abzuwickeln. Allerdings hängt die Realisierung solcher Konzepte von der Postzulassung ab. Wann immer möglich, sollte deshalb auf hochgeschwindigkeitserprobte Schnittstellen wie V.35 oder X.21 zurückgegriffen werden.

Für das HfD-Netz in Verbindung mit 64-Kbps-Strecken werden von der Deutschen Bundespost Kanalteiler angeboten. Realisiert ist eine Aufteilung in maximal 32 Einzelkanäle, wobei insgesamt jedoch nur 48 Kbps zur Aufteilung zur Verfügung stehen. In der Praxis bedeutet das entweder

- 32 Kanäle mit je 1200 bps oder

- 20 Kanäle mit je 2400 bps oder

- 10 Kanäle mit je 4800 bps oder

- 5 Kanäle mit je 9600 bps oder

- Kombinationen daraus mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Kanalteiner können ebenso wie private Multiplexer das Schnittstellen-Problem eliminieren. Die Einzelkanäle können weiterhin zum Beispiel als V.24-Schnittstelle betrieben werden.

Bei der Nutzung von posteigenen Kanalteinern ist zu berücksichtigen, daß es sich um reine Zeit-Multiplexer handelt und daß ein Teil der Bandbreite, nämlich die Differenz zwischen 64 und 68 Kbps, verlorengeht.

Heterogene Netze, also das Übertragen von synchronen und asynchronen Daten auf ein und derselben Leitung, oder der Wunsch nach optimaler Ausnutzung von 64-Kbps-Strecken ziehen jedoch den Einsatz privater Multiplexer nach sich. Neben reinen TDMs (Time Division Multiplexer), also Zeit-Multiplexern, sind statistische Zeit-Multiplexer auf dem Markt, die die Bandbreite beziehungsweise Zeitsegmente je nach Verkehrsaufkommen dynamisch an einzelne Ports verteilen.

Der letzte Schrei sind Geräte, die unter der Bezeichnung Datacompressor, Datamizer oder Optimizer gerade den US-Markt erobern. Neben den Multiplexer-Funktionen übernimmt ein solches Gerät zusätzlich Datenkompressions-Funktionen. Die jüngste Generation ist sogar lernfähig und schaut sich erst eine zeitlang das Protokollgeschehen an, bevor es dann etwa unproduktive Polls von der Leitung eliminiert oder

mit speziellen dem Datenstrom angepaßten Übertragungscodes arbeitet.

Ursprünglich für die Konzentration von zum Beispiel zwei 9600-bps-Leitungen auf eine 9600-bps-Leitung entwickelt, gibt es sie jetzt auch für höhere Geschwindigkeiten. Im Hinblick auf 64-Kbps-Lösungen in Verbindung mit der nutzungsabhängigen Tarifierung können derartige Geräte zu erheblichen Kosteneinsparungen führen (Bild 2).

Eine einfache, aber wirkungsvolle Methode, viele Bildschirme und Drucker an einer 64-Kbps-Leitung zu betreiben, stellt das Terminal-Line-Sharing-Verfahren dar. Steuereinheiten mit 56 Kbps (V.35) gibt es beispielsweise von IBM oder kompatiblen Anbietern seit eh und je. Meist fristen sie ihr Dasein in der Bundesrepublik Deutschland an Inhouse-V.35-Strecken (in Ermangelung von 56-Kbps-Postdiensten).

Ein Schnittstellenvervielfacher (Eingang = 1 x X.2 1 (V.36), Ausgang = mehrere V.35-Ports) erlaubt den Betrieb von vier oder mehr Steuereinheiten 3274 oder Kompatiblen an einer 64-Kbps-Leitung beziehungsweise an einer auf 56 Kbps reduzierten Postleitung, um nur ein Beispiel zu nennen. Einige Hersteller bieten auch Terminalsteuereinheiten mit 64 Kbps an (Bild 3).

Auf der Hostseite ist entweder ein Front-end-Prozessor-Port mit X.21 erforderlich, oder ein V.35-Port wird mit einem Konverter nach X.21 (oder V.36) umgewandelt. Existieren bereits Steuereinheiten mit X.21-Schnittstellen, wird ein Schnittstellenvervielfacher mit X.21-Eingang und X.21 -Ausgängen eingesetzt. Für den Front-end-Prozessor beziehungsweise die NCP-Software stellt sich die ganze Installation wie ein Multipoint-Betrieb mit mehreren Cluster-Adressen dar. In der Praxis hat sich das ganze bestens bewährt. Es kommt zu respektablen Antwortzeiten. Und die Kosten für den Schnittstellenvervielfacher schlagen lediglich mit ein paar tausend Mark zu Buche.

64-Kbps-Remote-Betrieb aus Sicherheitsgründen

Lange Zeit galt bei IBM-Anwendern das Motto: Lokaler Betrieb wann immer möglich. Zugegeben, der direkte Anschluß von Steuereinheiten an den Multiplexer-Kanal bringt Geschwindigkeitsvorteile und somit gute Antwortzeiten. Nach den ersten Anschlägen auf Großrechenzentren stellte sich jedoch so mancher DV-Leiter die folgende Frage (oder sie wurde ihm gestellt): Gesetzt den Fall, das Rechenzentrum inklusive CPUs wird durch einen Anschlag (oder durch einen Brand oder Wasserschaden) zerstört. Wie kann ein Notbetrieb zum Beispiel von einem zweiten Rechenzentrum aus für wichtige Dialog-Anwendungen gewährleistet werden, wenn diese Rechner nicht weiter entfernt sein dürfen, als es die lokale Anbindung erlaubt?

Die Antwort: Überhaupt nicht. Wer kann schon innerhalb von Stunden neue CPUs inklusive Software beschaffen und dort installieren, wo vielleicht im Moment noch Trümmer sind.

Eine Remote-Anbindung dagegen macht lediglich die Errichtung oder Ersatzschaltung von Übertragungsstrecken zu den für den Notbetrieb in Frage kommenden Abteilungen erforderlich. Inhouse-56-Kbps- beziehungsweise -64-Kbps-Strecken aber können im Bedarfsfall über Postleitungen verlängert werden. Dafür bietet sich unter anderem die 64-Kbps-Datex-L-Leitung an. Neben den Grundkosten fallen Zeitgebühren nur dann an, wenn diese Ersatzleitungen tatsächlich benötigt wurden.

Erfahrungen sammeln im Hinblick auf ISDN

Jede Übertragungsgeschwindigkeit erfordert ein gewisses Know-how. Dies trifft für die Übertragungssteuerung, also für die Optimierung der Parameter, etwa in der NCP-Software (Pacing etc.), in gleicher Weise zu wie für die Interface-Technik inklusive Entstörung, Eignet sich die Anwendung für das ISDN-Netz, so können schon heute mit 64-Kbps-Strecken wertvolle Erfahrungen im Hinblick auf die künftige Implementierung in das ISDN-Netz gesammelt werden. Die Schnittstelle heißt dann zwar SO und nicht mehr X.21, nach der Initialisierungsphase gibt es jedoch für alle beteiligten Hard- und Softwarekomponenten keinen Unterschied mehr zwischen 64 Kbps HfD oder Datex-L und ISDN.

*Paul Hoffmann, Geschäftsführer der Datakom Gesellschaft für Datenkommunikation mbH, Teufstettener Str. 3, 8059 Wörth, Telefon 08122/40661, Telex 5270416.