Was IP-Telefonanlagen heute leisten

Voice over IP: Siemens und Cisco im Test

19.03.2004
Cisco und Siemens sind die Marktführer bei IP-Telefonie-Anlagen. Eine Studie von Comconsult Research und der Unternehmensberatung UBN stellt die Ansätze der beiden Hersteller auf den Prüfstand.Von Petra Borowka*

Analysten zufolge geht in diesem Jahr der Boom im Voice-over-IP- (VoIP-)Markt verstärkt weiter. In vielen Unternehmen laufen Verträge aus und stehen Entscheidungen an, wie die nächste TK-Lösung aussehen soll. Sind die angebotenen VoIP-Systeme reif für den produktiven Einsatz? Wo liegen Stärken, wo Schwächen der derzeit verfügbaren Lösungen? Der Comconsult-Research-Report "Voice-over-IP-Lösungen: Cisco contra Siemens" geht diesen Fragen nach und vergleicht, was die beiden Hersteller in Sachen VoIP zu bieten haben.

Cisco Call-Manager (CCM)

Den CCM hat der kalifornische Netzspezialist von Anfang an als Softswitch konzipiert. Das Gerät wird auf der Basis von Windows 2000 (früher NT 4.0) betrieben. Es nimmt im Wesentlichen Funktionen eines Gatekeepers wahr, indem es die angebundenen Telefone verwaltet, steuert und ihren Status überwacht.

Die IOS-Gatekeeper (meistens auf Cisco-Routern installiert) regeln die Bandbreiten zum Weitverkehrsbereich hin und übernehmen Funktionen wie Call Routing oder Call Admission (bei Cluster-übergreifenden Verbindungen), die laut ITU-T, dem Telefonsektor der International Telecommunication Union (ITU), ebenfalls dem Gatekeeper zugeordnet sind. Insofern sind, insbesondere beim Betrieb mehrerer Cluster, Teile der ITU-T-Gatekeeper-Funktionalität auf den IOS-Gatekeeper ausgelagert.

Wie der Report zeigt, unterstützt der CCM entgegen der vom Hersteller angegebenen, theoretisch möglichen 7500 IP-Geräte bei einer praxisnahen Konfiguration nur 1500 bis 2000 IP-Clients. Daraus resultiert eine Gesamtzahl von maximal 12000 bis 16000 Geräten pro CCM-Cluster. Da die Vernetzung solcher Cluster (maximal können 100 Cluster verbunden werden) in der aktuellen Version über H.323-Gatekeeper erfolgt, sind die übergreifend nutzbaren Leistungsmerkmale deutlich eingeschränkt. Redundanzfunktionen sind allerdings auf allen Ebenen vom einfachen CCM über Cluster bis hin zu Telefondatenbank-Servern (TFTP) und Gateways vorhanden.

Siemens Hipath

2002 führte Siemens für seine bisherigen "Hicom"-Produktlinien die Bezeichnung "Hipath" als neues Label für IP-fähige Lösungen ein. Derzeit vermarktet der Hersteller drei verfügbare Lösungen für IP-Telefonie: Neben den Hybridanlagen "Hipath 4000" (früher "Hicom 300E/H") und "Hipath 3000" (früher "Hicom 150") ist dies der Softswitch "Hipath 5000". Eine "Hipath 8000" ist angekündigt, aber noch nicht verfügbar.

Daher stellt die Hipath 4000 (Modelle 4300 und 4500) zurzeit das Flaggschiff der modularen IP-fähigen Anlagen dar und ist für mittlere bis große Unternehmen gedacht. Da diese Lösung intern als TDM-Anlage arbeitet (TDM = Time Division Multiplexing), werden IP-Trunks (Verbindungen) zum Anlagenverbund und ebenso IP-Geräte durch eine Gateway-Funktion angeschaltet. Dies ist eine Baugruppe mit 10/100-Mbit-Ethernet-Netzschnittstelle und integrierter Gateway-Funktion (HG = Hipath Gateway). Es gibt drei Gateway-Baugruppen:

- Hipath HG 3530 für den vollfunktionalen Zugriff von IP-Clients (Telefonen),

- Hipath HG 3550 für IP-Trunk-Verbindungen zu anderen Hipath-4000-Systemen (Cor-Net-NQ) oder mit dem externen Gateway HG 2500 zu Hicom-300H-Systemen sowie

- Hipath HG 3570 für die Anschaltung von Access Points über IP.

In Version 1.0 unterstützt eine Hipath 4500 bis zu 4500 IP-Telefone mit Direktzugriff, im Verbund mit bis zu 30 Anlagen schafft die Lösung zirka 80000 IP-Telefone mit Direktzugriff (bei Bildung von maximal zehn Subdomänen sind bis zu 300 Anlagen im Verbund möglich). Ab Version 2.0 ist hier eine Steigerung um den Faktor vier für aktive IP-Telefon-Sessions und um den Faktor acht für verwaltete IP-Geräte zu erwarten. Mit Version 1.0 läuft jede IP-Session noch komplett über die HG-3530-Baugruppe in der Hipath 4000, ab Version 2.0 (Hardware wird jetzt ausgeliefert) können IP-Telefone direkt miteinander kommunizieren, so dass nur die Signalisierung über die Anlage läuft.

Mit Hilfe der Access Points "3300/3500" lässt sich eine mehr dezentrale Konfiguration aufbauen, wodurch sich mit einer Hipath 4500 wie im Beispiel gezeigt bis zu 170 000 IP-Geräte konfigurieren lassen.

Eine Neuentwicklung ist "Openscape" (die Freigabe erfolgte im November 2003), das auf dem Live Communication Server (LCS) von Microsofts Windows Server 2003 aufsetzt. Es ist ein erster Ansatz für konvergente Kommunikation in Gruppen oder Unternehmensabteilungen, das heißt Integration der TK mit typischen Groupware-Anwendungen wie Erreichbarkeit/Präsenz, Status (frei, belegt, ausgeloggt), Instant Messaging (IM), Hauptkontakte ("Buddy Liste"), Vorzugstelefonliste ("Mycalls"). Das Produkt steht noch sehr am Anfang seiner Entwicklung, bietet aber durchaus Potenzial für moderne konvergente Umgebungen.

Technische Bewertung

Eine Reihe von Kriterien ist zu beachten, wenn es gilt, Aussagen über die technische Reife der Lösungen von Cisco und Siemens zu treffen. Dazu gehören:

- die Architektur als Kernstück der Voice-Lösung,

- die Leistungsmerkmale als herausragender und derzeit größter Funktionsbereich,

- die weiterführenden Funktionsbereiche: Standardunterstützung, Konvergenz, Mobilität, Zusatzapplikationen, Benutzerschnittstelle/Bedienbarkeit, Betrieb und Management sowie Entwicklungsschnittstellen,

- die Migration vorhandener Anlagen und Telefone,

- Zusatzapplikationen und

- Sicherheit.

In puncto Skalierbarkeit schneidet Cisco trotz der niedrigeren Gesamtzahlen bei der Einzellösung und der vernetzten Lösung besser ab als Siemens. Das liegt daran, dass bei Siemens der Einbau vieler und unterschiedlich limitierter Gateway-Module erforderlich ist, was die Konfiguration verteuert und verkompliziert: Die IP-Telefone müssen bei der Direktanschaltung an die Hipath jeweils einem Gateway-Modul statisch zugeordnet werden.

Beim Maximalausbau mittels Anlagenverbund erzielten beide Anlagen dieselbe Bewertung. Anders bei der Verfügbarkeit: Da nur die Hipath-Version 4000 mit redundanter Stromversorgung und CPU ausgestattet werden kann, nicht jedoch die Modelle 3000 und 5000, gab es für Siemens hier Abstriche. Auch die statische Zuordnung von IP-Clients zu Gateway-Modulen (ohne Möglichkeit, ein Backup zu definieren) wirkt sich negativ auf die Verfügbarkeit aus.

Dafür schneidet die Cisco-Lösung schlechter ab, was die Stabilität betrifft. Die Gründe hierfür liegen im komplexen Zusammenspiel zwischen Call-Manager und IOS-Gatekeeper, den schnellen Entwicklungszyklen sowie noch auftretenden Kinderkrankheiten der in der jetzigen Architektur insgesamt jungen Lösung. So kommt es zu Fehlern bei der Stromversorgung einzelner Telefonmodelle aufgrund bestimmter Chipkomponenten, außerdem tauchen Probleme beim Zusammenspiel zwischen Remote Switched Port Analyzer (RSPAN), Voice-Monitoring und Trunks beim Catalyst 6500 auf. Der Call-Manager stürzt hin und wieder bei Zugriffsverletzungen oder Divisionen durch null ab. Die etablierte und ausgereifte Siemens-Lösung hinterließ hier einen besseren Eindruck.

Leistungsmerkmale

Zum Umfang einer VoIP-Anlage gehören auch die so genannten Leistungsmerkmale, Einzelfunktionen zur Benutzung der Telefone und der Anlage, die bei vielen Kaufentscheidungen eine wichtige Rolle spielen. Untersucht wurden über 250 Einzelfunktionen aus den Bereichen Handapparat, Softphone, Basisfunktionen, Anlagennutzung und Teamschaltung, Vermittlungsplatz, Nummernpläne, automatische Rufverteilung, zentrales Adressbuch, Sprachnachrichten und Unified Messaging, Teleworking/Mobility, Audiokonferenz, Computer-Telefonie-Integration (CTI) sowie Statistiken. Aktuelle Projekte belegen, dass Anwender Merkmale wie diese als wichtig oder mindestens wünschenswert einstufen.

Sowohl Cisco als auch Siemens kommen hierbei auf gute bis sehr gute Bewertungen. Abstriche sind ganz unterschiedlicher Natur: So haben die Cisco-Telefone weniger Funktionstasten und Erweiterungsmodule als die Siemens-Modelle und auch keine Gebührenanzeige. Bei Siemens können hingegen weniger parallele Amtsleitungen oder Gespräche aktiviert werden und weniger Teilnehmer sich zu einer Konferenzschaltung verbinden. Bei Cisco gibt es kein Erinnerungssignal bei längerem "Halten", bei Siemens kann die Rufumleitung auf mehrere Nummern nicht parallel, sondern nur sequenziell abgearbeitet werden.

Auf dem Vermittlungsplatz hat Cisco keine Anzeige von Anrufen in der Warteschlange und keine Anzeige von Teamnummern, Siemens unterstützt kein Drag and Drop für "Call Transfer" und "Halten".

Weiterführende Funktionen

Bewertet wurde auch die Unterstützung von Standards wie H.323, QSIG, SIP sowie der jeweiligen Codierungssoftware (Codec). H.323 und QSIG sind für das reibungslose Zusammenspiel von herstellerübergreifenden Lösungen und Anlageverbünden wichtig, während SIP die neue multimediale Ablösung von H.323 ist. Bei den Codecs ist insbesondere G.729 von Bedeutung, da es einen bandbreitenoptimierten WAN-Zugriff ermöglicht. Während Siemens über die bessere QSIG- und H.323-Unterstützung verfügt, hat Cisco im Hinblick auf SIP und G.729 die Nase vorn.

Im Hinblick auf CTI (dazu zählt etwa die Fähigkeit, aus Anwendungen heraus Telefonnummern zu wählen) schneiden beide Lösungen gut ab, jedoch ist Cisco bei der Videointegration Siemens etwas voraus. Eine Integration mit Dect-Telefonie sucht man bei Cisco vergebens, sie ist wiederum bei Siemens voll etabliert.

Kostenbewertung

Am Beispiel zweier Szenarien untersucht die Studie, welche Kosten mit einer VoIP-Implementierung verbunden sind. Im ersten Fall handelt es sich um eine Filiallösung, die neben zwei größeren Standorten mit etwa 600 und 250 TK-Anschlüssen elf kleinere Zweigstellen mit zusammen rund 90 TK-Anschlüssen umfasst. Das zweite Beispiel beschreibt ein Standortszenario aus zirka 4300 erforderlichen TK-Anschlüssen (mit einer Mischung aus Hardphone, Softphone, Fax, Notruftelefon, Vermittlungsplatz), die auf insgesamt 35 Gebäude mit zwischen 25 und 300 TK-Anschlüssen verteilt sind.

Während die Kosten für eine Filiallösung etwa auf gleichem Niveau liegen, kommt die Siemens-Lösung für die Standortvariante um 18 Prozent teurer als die des Rivalen. Insbesondere die Call-Center-Anteile der Lösungen sind bei Cisco deutlich teurer als bei Siemens.

Fazit: Die Evaluierung der beiden führenden Anbieter in Deutschland zeigt, dass VoIP reif für den Markt ist. Auf Dauer bieten Kostenvorteile und die bessere Integration in Web-Applikationen so viele Vorteile, dass der Umstieg Richtung VoIP jetzt in vielen Fällen zu empfehlen ist. (ave)

*Diplominformatikerin Petra Borowka leitet das Planungsbüro Unternehmensberatung Netzwerke UBN in Aachen.

Über die Studie

Wenn Sie mehr über die Voice-over-IP-Lösungen von Cisco und Siemens wissen wollen, zum Beispiel das komplette Produktportfolio, Ciscos Call-Manager-Architektur, Siemens'' Hipath-Architektur, Leistungsmerkmale, weiterführende Funktionen, Kosten und strategische Positionierung, dann lesen Sie den Technologie-Report "Voice-over-IP-Lösungen - Cisco versus Siemens". Eine Leseprobe, die den Detaillierungsgrad der Studie zeigt, finden Sie als kostenfreie PDF-Datei zum Download unter http://www.comconsultresearch.de/cisco.php3.

Pro und Kontra Siemens

+ Migrationsfähigkeit von klassischer zu IP-Telefonie,

+ Stabilität,

+ Lizenzunabhängigkeit des Betriebssystems (zum Beispiel von Microsoft),

+ geringeres Sicherheitsrisiko des Betriebssystems,

+ alle wichtigen Zusatzanwendungen aus eigener Hand.

- Architekturschwächen,

- fehlende Unterstützung neuer Standards wie SIP,

- relativ wenige IP-Endgeräte.

Pro und Kontra Cisco

+ Reine Softswitch-Lösung (Kosten, Skalierbarkeit),

+ Integration von mobilen Mitarbeitern, Klein- und Heimbüros,

+ Unterstützung des neuen Standards SIP,

+ Entwicklungsschnittstellen,

+ breites IP Endgeräte-Angebot.

- Schwierige Migration vorhandener klassischer Lösungen,

- weiterführende Applikationen nicht aus eigener Hand (zugekauft oder Partner),

- verfrühte, vorschnelle Implementierung von Innovationen.

Abb: Cisco in der technischen Bewertung vorne

Die von den Lösungen erzielten Ergebnisse sind gewichtet: In den einzelnen Bereichen wurden jeweils Werte zwischen 0 (gar nicht) bis 4 (sehr gut) vergeben. Je nach der Relevanz für das Gesamtergebnis wurden diese zusätzlich mit einem Fakor multipliziert, der von 1 (nicht so wichtig) bis 3 (sehr wichtig) reichte. Unterm Strich ergibt sich so ein Vorsprung für Cisco. Quelle: UBN/Comconsult Research