Thema der Woche

Viele DV-Anbieter nehmen von der Systems Abschied

11.10.1996

Die Münchner Messegesellschaft (MMG) stuft die Systems als lösungsorientierte Gesamtschau der Computerbranche ein. Doch diese Ansicht teilen viele DV-Hersteller nicht. Eine Umfrage unter denjenigen, die der Systems fernbleiben, ergab massive Kritik an einer Veranstaltung, die sich einst rühmte, wichtiger als die CeBIT zu sein.

Gegen die Messe werden Argumente ins Feld geführt, denen zufolge die Systems falsch - nämlich gegen die CeBIT - positioniert sei, kaum das Interesse qualifizierter Fachbesucher finde und sehr hohe Kosten verursache. Immerhin verlangt München annähernd die gleichen Quadratmeter-Preise für Ausstellungsfläche wie die CeBIT - nämlich knapp 300 Mark.

Das häufigste Argument gegen die Münchner Veranstaltung ist jedoch ihr regionaler Charakter. Wolfram Fischer, Marketing-Leiter bei Hewlett-Packard (HP), spricht sogar von einer "fast nur noch lokalen Messe". Nach der letztjährigen Systems haben sich mehrere Entscheidungsträger aus der Branche zusammengetan und eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, die die veränderte Messelandschaft in Deutschland unter die Lupe nehmen sollte. Die Ergebnisse der Gesellschaft für Strategische Unternehmensberatung Bergmann, Krizek und Rohde bestätigen die Argumente der Systems- Abstinenzler: Fast 75 Prozent der 1995 befragten Messebesucher stammten aus den Postleitzahlbereichen 7, 8 und 9. Nur etwa ein Drittel hatte eine DV-verantwortliche Funktion in ihrem Unternehmen inne.

Zwei Drittel der Besucher schauten sich ohne konkrete Investitionspläne auf der Messe um. Zudem, und dieses Ergebnis ist für Aussteller mit Zielgruppe Großkunden von entscheidender Bedeutung, kamen 50 Prozent der Gäste aus Unternehmen mit weniger als 200 Mitarbeitern.

Für HP waren diese Resultate Grund genug, 1996 die Teilnahme an der Systems abzusagen. "In Zeiten immer schmaler werdender Margen sowohl für den Hersteller als auch für den Vertriebskanal müssen Ausgaben kritischer hinterfragt werden", nimmt Marketing-Leiter Fischer Stellung. Und er wird noch deutlicher: "Eine klare Neustrukturierung der Systems war nicht oder nur marginal zu erkennen."

Prinzipiell gegen den Ansatz der Münchner Messeleitung äußert sich auch Marc Sheldon aus der Geschäftsleitung von Eunet Deutschland: "Die Systems in München versucht, sich als zweite Leitmesse der Computerindustrie in Deutschland zu positionieren. Unserer Meinung nach kann es aber nur eine Leitmesse geben - und das ist die CeBIT in Hannover." Im letzten Jahr habe Eunet die Systems besucht und war mit den Besucherzahlen nicht zufrieden. "Deshalb haben wir uns gegen eine Teilnahme mit einem eigenen Stand auf der Systems 96 entschieden."

Konkurrenz erwächst den Münchnern jedoch nicht nur durch die Jahr für Jahr größere CeBIT. Auch das Angebot virtueller Messen und die Selbstdarstellung etlicher Anbieter im Internet macht den Veranstaltern zu schaffen. "Wir nutzen das Netz bereits in mehr als dreißig Prozent aller Fälle für Produktdemonstrationen und Evaluationszwecke, aber auch zum direkten Verkauf", resümiert Rolf Dörr, Geschäftsführer von Precision Software. "Dadurch bietet sich dem Interessenten ein Weg, der kostengünstiger, gleichzeitig aber viel zielgerichteter ist als ein Messebesuch."

Offenbar hat es der Münchner Messegesellschaft nicht genutzt, die sich Jahr für Jahr abwechselnden Veranstaltungen Systems und Systec zu einer Messe - der Systems - zu verschmelzen. Gerhard Jörg, Generalbevollmächtigter der Software AG und Geschäftsführer der SAG Systemhaus GmbH, bilanziert: "Die Zusammenlegung der beiden Messen hat nicht dazu geführt, daß insgesamt eine größere Anzahl von Besuchern zu verzeichnen war."

Jörg moniert wie viele andere Hersteller die hohen Kosten: "Die Ausgaben für einen Stand auf der Systems sind, gemessen an der Besucheranzahl, überproportional hoch." Zu viele Besucher hätten entschieden, sich künftig nur noch auf der CeBIT informieren zu wollen.

In dasselbe Horn bläst Michael Einhaus, Regional Direktor von Seagate Software Deutschland: "Unser Fernbleiben ist mit der negativen Erfahrung des letzten Jahres begründet. Der Aufwand steht leider nicht mehr in einer vernünftigen Relation zum Ergebnis. Andere Marketing-Maßnahmen scheinen uns effektiver zu sein."

Desillusioniert zeigt sich auch Jens Hartmann, Manager Germany für Personal Productivity Products bei Texas Instruments: "Für uns ist eine Teilnahme schlichtweg zu teuer." Gerade im Notebook-Bereich fallen die Preise dramatisch, und davon sind auch die Margen betroffen. "Die meisten großen Hardwarehersteller streichen zur Zeit rigoros ihre Mediaausgaben zusammen, um zusätzlich Kosten zu sparen. Dieser Streamline-Effekt führt dazu, daß wir uns zur Zeit auf die CeBIT konzentrieren, um unsere Messeaufwendungen auf einem vertretbaren Niveau halten zu können."

Auf alternative überschaubare Events setzt PC-Hersteller Compaq. Deutschland-Chef Kurt Dobitsch: "Wir erneuern mehr als 80 Prozent unseres Produktspektrums, das wir auf einer Roadshow ,Compaq on Tour' in sechs deutschen Städten vorstellen. Diese Roadshow und die Systems wären im gleichen Zeitraum zu organisieren." Mit anderen Worten: Die eigene Roadshow hat Vorrang vor der Münchner Messe, die sich doch ebenfalls als Forum für Neuheiten sieht.

Alexander Narrings, Geschäftsführer von Intersolv, beklagt die "inflationäre Entwicklung am Messemarkt" und steht mit dieser Einschätzung nicht allein. Immer häufiger ärgern sich Anbieter über zu dicht aufeinanderfolgende Messen oder Terminüberschneidungen. Frank Steinhoff, Geschäftsführer der Adobe Systems, hatte beispielsweise die Qual der Wahl. Er zog der Systems die Kölner Fotomesse "Photokina" vor. Außerdem sei Adobe auf der erstmals in Deutschland stattfindenden Seybold European Conference in Frankfurt präsent - deshalb kam eine Teilnahme an der Systems 1996 nicht in Betracht.

Steinhoff schließt jedoch eine künftige Präsenz seines Unternehmens in München nicht ganz aus. Die Systems wolle in diesem Jahr mehrere neue Konzepte verwirklichen und könne damit vielleicht an überregionaler Bedeutung gewinnen. Möglicherweise biete sie den Produktschwerpunkten von Adobe in den nächsten Jahren eine geeignetere Präsentationsplattform. "Wir werden die Systems in diesem Jahr genau analysieren und bei einer positiven Beurteilung im nächsten Jahr dabeisein."

Wie viele andere potentielle Aussteller, die in diesem Jahr nicht teilnehmen, verweist auch Werner Sülzer, Vorsitzender der Geschäftsführung der deutschen NCR, auf die Ergebnisse der letztjährigen unabhängigen Systems-Analyse der Gesellschaft für Strategische Unternehmensberatung. NCR werde sich, was Messen angeht, auf die CeBIT konzentrieren. Ansonsten stelle man dort aus, wo die drei Kerngeschäftsfelder von NCR tangiert seien: Telekommunikation, Einzelhandel und Kreditwirtschaft. "Dieses Geschäft betrifft Großkunden und große Institutionen, die wir auf der Systems nicht erreichen."

Sülzer beobachtet ein allgemein nachlassendes Interesse an Computermessen sowohl bei Besuchern als auch bei Ausstellern. Gleichzeitig erlebten Fachkongresse einen lebhafteren Zuspruch. Sein Fazit: "Wir gingen auf die Systems, wenn es sich lohnen würde."

Eine Chance hat die Messe nach Meinung von Beobachtern, wenn sie ihre Öffnung für den Fachhandel konsequent fortsetzt. Derzeit hält mancher Hersteller diese Ausrichtung für zu halbherzig. Doch zweifellos wird der Anwesenheit von Händlern durch das Systems- Forum "Dealers only" und das "Europäische Fachhandels-Panel" mehr Rechnung getragen als früher.

Allerdings beklagen potentielle Aussteller wie Markus Lange, Regional Director Europe und Geschäftsführer Deutschland bei der Logi GmbH, in diesem Zusammenhang den schlecht gewählten Zeitpunkt: "Unsere Vertriebsstrategie hat sich in Deutschland wie auch weltweit verstärkt dem Retail-Bereich zugewandt. Die Retailer jedoch planen ihr Weihnachtsgeschäft lange vor Oktober, so daß die Systems für diesen Vertriebskanal deutlich zu spät stattfindet." Daher tangiere die späte Systems den Small-Office-Home-Office- (Soho-)Markt nur noch am Rande.

Logi werde sich in den kommenden Jahren verstärkt auf Messen wie die CeBIT Home und die Internationale Funkausstellung konzentrieren, da die Systems ebenso wie die Kölner Messe Orgatec für die DV-Branche "immer uninteressanter" werde. "Eine Entwicklung", so Lange, "die wir als Münchner Unternehmen natürlich bedauern."

Als möglicherweise tragfähiges Messekonzept für die Systems wird zunehmend auch der Ansatz gehandelt, Unternehmen die Chance zu geben, sich gemeinsam mit ihren Partnern als Lösungsanbieter zu präsentieren. Das hat zwar für den Veranstalter den Nachteil, daß viele Anbieter keinen eigenen Stand mehr betreiben, doch dem Ziel, eine lösungsorientierte Messe zu organisieren, kämen die Münchner damit näher. Schon heute bringen zahlreiche Aussteller das Argument vor, sich gemeinsam mit ihren Partnern präsentieren zu wollen.

So auch Arnulf Hess, Geschäftsführer D-Link Deutschland: "Da die Systems für uns in erster Linie regionale Bedeutung hat, haben wir uns entschieden, die Messe als Forum gemeinsam mit unseren Distributoren zu nutzen. Die Erfahrung zeigt, daß wir durch den gemeinsamen Messeauftritt unsere Partnerschaften enger knüpfen und gleichzeitig den Fachbesuchern eine attraktive Präsentation unserer Produkte bieten."

Bei Candle steht ein ähnliches Argument im Vordergrund. Das Unternehmen wird bei der diesjährigen Systems erstmals nicht mit eigenem Stand vertreten, sondern auf den Partnerständen von IBM und Oracle zu finden sein. Udo Pfeiffer, Geschäftsführer der deutschen Dependance: "Hauptgrund dafür ist, daß wir unseren Kunden verstärkt unternehmesweite Lösungen anbieten. Und die sind nicht im Alleingang, sondern nur in Kooperation mit Partnern zu realisieren."

Andreas Helios, Marketing-Koordinator bei Syquest Technology, vertritt eine ähnliche Meinung: "Da die Systems überwiegend nationalen Charakter hat, präsentieren wir unsere Produkte über lokale Distributionspartner, um eine möglichst große Kundennähe erreichen zu können." Entsprechend hat das Unternehmen keinen eigenen Stand auf dieser Systems.

Schon 1993 hat sich die zum Daimler-Benz-Konzern gehörige Debis Systemhaus GmbH gegen einen eigenen Stand entschieden. "Bedingt durch das deutlich umfassendere Themenspektrum der CeBIT erreichen wir dort mehr Entscheidungsträger", kommentiert Edmund Hain, Leiter Unternehmenskommunikation, und ergänzt: "Auf der Systems 96 sind wir mit ausgewählten Themen auf den Messeständen von Koopera- tionspartnern vertreten."

Auch die in Köln ansässige Bull AG war als Alleinaussteller schon im letzten Jahr nicht mehr präsent. Rainer Liebich, bis Ende des Jahres noch Vorstand der Bull AG, danach Aufsichtsratsmitglied, sieht für sein Unternehmen ebenfalls bessere Chancen, wenn es sich auf Partnerständen präsentiert. "Konkret heißt das in diesem Jahr, daß wir bei Baan und SAP vertreten sind und darüber hinaus eine Reihe von Partnerlösungen mit offenen Systemen - auf einem Gemeinschaftsstand der Bull-Gesellschaft Nipson Printing - zeigen."

Alleinige internationale Leitmesse bleibe für Bull die CeBIT in Hannover. Ansonsten konzentriere man sich auf eine "möglichst direkte Zielgruppenansprache. Das heißt, wir beteiligen uns an Branchentagungen und -kongressen oder führen eigene Kunden- beziehungsweise Informationsveranstaltungen für Interessenten durch."

Die Probleme der Münchner Messe sind vieldimensional. So steckt die Systems in der Krise, weil sie sich als internationale Leitmesse nicht behaupten kann, für eine schlagkräftige Regionalmesse jedoch zu groß und zu teuer ist. Unklar ist auch, welche Zielgruppe nun eigentlich angesprochen werden soll: Wollen die Münchner den Fachhandel, den DV-Profi im Unternehmen, den Soho-Kunden oder gleich alle auf einmal ansprechen?

Stephan Link, Vorstandsvorsitzender der Computerlinks AG, resümiert: "Die Ausrichtung ist zu multidirektional und gleichzeitig regional. Der Termin Ende Oktober erklärt sich mit gewissen Sachzwängen, ist aber keineswegs optimal gewählt. Wir haben als einzigen Weg aus dem Dilemma die Teilnahme als Unteraussteller auf zwei Ständen unserer Lieferanten gesehen. Das ist für uns die beste Möglichkeit, teilnehmen und Kontakte knüpfen zu können, ohne zu viele Mittel riskieren zu müssen..

*Ruth Bosch ist freie Journalistin in Heimstetten bei München.