Beobachtungen auf dem Uniforum 1985 in Dallas, Texas:

Unix: AT&T standardisiert, IBM vermarktet

22.02.1985

DALLAS/TEXAS - Die Teilnehmer an der Unix-Benutzertagung "Uniforum 1985" werden diese Veranstaltung in Erinnerung behalten. Das liegt nicht nur an der Tagungsumwelt mit dem "Infomart", einem nur für ständige DV-Messen erbauten Kongreßzentrum von texanischer Größe mit der imposanten Skyline von Dallas oder mit Billy Bobs Saloon in Fort Worth, dazu trägt vor allem der gegenüber früheren Tagungen der Unix-Gemeinde veränderte Charakter dieser Veranstaltung bei.

Sandalen und Jeans sind fast vollständig von blaugrauen Anzügen verdrängt worden. Die Marketing- und Salesleute haben die Szene übernommen. Zwar haben dadurch die Vorträge an technischem Informationsgehalt nicht gewonnen, für das Überleben der Unix-Idee am Markt ist jedoch eine solche Entwicklung notwendig.

Wichtiger noch als diese Entwicklung ist die Tatsache, daß AT&T und IBM aus unterschiedlichen Motiven den Unix-Markt zu übernehmen scheinen. Die Techniker und kleinen Venture-Capital-Firmen haben ihre Pionier-Rolle gut gespielt, nach dem Planwagen kommt jetzt auch im Unix-Markt die Eisenbahn.

AT&T wirkt mit Zuckerbrot und Peitsche auf eine Standardisierung im Unix-Markt hin. Die beiden Hauptvarianten des Unix-Systems - das Berkeley-System und Xenix - werden technisch, vertraglich und kommerziell sanft aber deutlich von System V eingefangen.

Unix eröffnet IBM Chancen in neuen Märkten

AT&T nimmt mit enormen Auffand die Supportaufgabe wahr und zumindest der AT&T Computer 3B2 ist heute fast überall zu finden.

Daneben steht der IBM PC AT. IBM bietet Xenix und PC/IX an und ist mit erstaunlich viel Unix-Sachkunde auf der Messe vertreten. Hinter den Kulissen ist von weiteren Ankündigungen der IBM im Unix-Markt die Rede.

Und dann ist da noch der "Rest der Unix-Welt". 200 Hersteller bieten Hardware, Software und Dienstleistungen an. Im Hardwarebereich wird durch unterschiedliche Strategien versucht, der Marktmacht der beiden Giganten zu entgehen, zum Beispiel durch das Angebot von

- Rechnerfamilien vom PC bis zum Mainframe mit Unix;

- fehlertoleranten Systemen;

- parallelen Supercomputern zum Superminipreis;

- Workstations mit benutzerfreundlicher Softwarepaketen.

Aber die Pioniere erkennt man halt immer noch am besten an den Pfeilen am Rücken.

Im Softwarebereich dominieren die Hersteller von Datenbanksystemen. Relationale Datenbanken, Volltext-Retrievalsysteme und jede Menge moderner Tools rundherum werden 1985 dazu beitragen, daß schnell mehr Anwendungen für den "Abteilungscomputer" entstehen und daß der Nutzer dieser Maschinen verstärkt in den Software-Produktionsprozeß eingebunden werden kann. Kommunikationsprodukte für den Verbund von PC unter MS-DOS, Unix-Maschinen und Mainframes mit "Industriestandard", die auch umfangreich auf der Ausstellung zu finden sind, werden die Einbindung der "Abteilungscomputer" in die vorhandene Umwelt erleichtern.

Was war nicht zu sehen? Ein "Apple" im Unix-Markt beispielsweise. Der Markt der Multiusersysteme wird mit Ausnahme von AT&T in absehbarer Zeit keine neuen Firmen mit signifikanten Marktanteilen sehen. Marketingfirmen sprechen davon, daß von über 100 Hardware-Anbietern im Unix-Markt in den nächsten 18 Monaten maximal noch 35 überlebensfähig sind.

Nicht zu sehen war auch ein überzeugendes Office-Automation-System. Zuviel ist in diesem Bereich noch Stückwerk. Entweder die Produkte sind zu teuer oder die Funktionalität fehlt.

Nicht entdeckt werden konnte auch die Programmiersprache "Ada". Das Angebot an Compilern unter Unix wächst. Unix ist gerade in den USA ein wichtiger Faktor im Geschäft mit den öffentlichen Auftraggebern. Ada war jedoch auf dieser Ausstellung gleichwohl kein Thema.

Die große Auseinandersetzung zwischen IBM und AT&T fand nicht statt.

AT&T standardisiert, IBM vermarktet. Unix eröffnet IBM Chancen in neuen Märkten, die andere erschlossen haben. Ein bißchen erinnert die "Uniforum", nicht nur wegen der landschaftlichen Nähe, an die Geschichte von dem Kopfgeldjäger und seinem Deliquenten, den er beim Sheriff abliefert, für den er die Belohnung kassiert und den er immer kurz vor dem Hängen befreit, weil er für das Geschäft unverzichtbar ist.

-Dr.Eberhard Rauch ist Geschäftsführer der SCS Technische Automation und Systeme GmbH.