Überall regt sich Bildung und Streben

28.07.2009
Weimar ist mehr als "nur" Goethe und Schiller. Die Bauhaus-Universität (BUW) betreibt Deutschlands einzige Medienfakultät. Was deren Informatiker so alles draufhaben, zeigten sie bei ihrer Open Lab Night.

Die Computerwoche hatte Gelegenheit, unter der fachkundigen Führung von Professor Matthias Maier im Rahmen des "Mediengangs" einen Blick auf einige der interessantesten Forschungsarbeiten des Weimarer Studiengangs Medieninformatik zu werfen. Etliche davon, die sich mit Virtual/Augmented Reality und neuartigen 3D-Mensch-Maschine-Schnittstellen beschäftigen, lassen sich prinzipbedingt in Wort und (auch Bewegt-)Bild leider nur bedingt anschaulich wiedergeben. Wir glauben, dass wir trotzdem einige spannende Erzeugnisse gefunden haben (die Auswahl ist natürlich subjektiv).

Zum Beispiel das "AISearch"-Plug-in für den Browser Firefox. Es erleichtert die Internet-Suche, indem es von Google gelieferte Ergebnis-Snippets über eine spezielle Javascript-Bibliothek semantisch analysiert und kategorisiert – das geschieht komplett auf dem Client. Die ermittelten Kategorien werden dann oberhalb der Ergebnisse eingeblendet; der Nutzer kann durch Anklicken einer Kategorie seine Suche sehr einfach sinnvoll verfeinern. Das funktionierte bereits in der gezeigten Mockup-Version überraschend gut; demnächst soll das Plug-in auch öffentlich zum Download bereitstehen.

Eine nicht nur für Wissenschaftler sehr praktische Anwendung ist "Netspeak". Der frei zugängliche Web-Dienst (http://netspeak.webis.de/) hilft Nicht-Muttersprachlern dabei, die richtigen Formulierungen im Englischen zu finden. Die Grundlage dafür bildet ein Korpus aus 3,8 Milliarden Phrasen mit einer Länge von bis zu fünf Wörtern, den Google für das englischsprachige Web zusammengestellt hat.

Sowohl mit Data-Mining- als auch mit Visualisierungsalgorithmen beschäftigt sich das Projekt "Visual Data Mining". Data-Mining-Verfahren kommen zum Beispiel beim Information Retrieval, also beim Sortieren, Filtern und Ranken von Dokumenten, zum Einsatz. Beim visuellen Data Mining kann der Benutzer direkt in die Abläufe eingreifen und interaktiv mit den Daten arbeiten.

Mit programmierbaren Grafikkarten zur Siggraph

In CAD-Anwendungen sind NURBS-Flächen (Non-Uniform Rational B-Splines) das meistverwendete Grundprimitiv zur Modellierung von Objekten. Obwohl die mathematische Beschreibung einer NURBS-Fläche relativ einfach ist, ist die direkte Darstellung auf dem Monitor nicht trivial. In der Open Lab Night wurde ein neues Darstellungsverfahren für NURBS-Flächen gezeigt, das nicht wie üblich auf der Annäherung durch Dreiecksmodelle, sondern auf der direkten Darstellung mittels Ray-Casting-Algorithmen beruht. Ray Casting, auch als Strahlverfolgung bezeichnet, verfolgt virtuelle Lichtstrahlen von einer gedachten Kamera rückwärts durch jeden Bildpunkt in die Szene. Durch Berechnungen auf programmierbaren Grafikkarten lassen sich inzwischen auch komplexe NURBS-Modelle interaktiv darstellen, ohne auf Approximationen ausweichen zu müssen. Im August wird die dazugehörige Veröffentlichung mit dem Titel "Direct Trimming of NURBS Surfaces on the GPU‚Äù auf der weltweit größten Computergraphikkonferenz, der Siggraph 2009, in New Orleans vorgestellt.

Dass HDTV nicht wirklich hochauflösend arbeitet, konnte man auf einem 2000 mal 4000 Pixel auflösenden Spezialbildschirm für das Projekt "Multi-Large Image Rendering" in Augenschein nehmen. Hier wurde gezeigt, wie ein herkömmlicher PC (zugegeben mit Gaming-Grafikkarte) die gleichzeitige interaktive Visualisierung extrem hochauflösender medizinischer Gewebe-Scans mit bis zu 100.000 mal 100.000 Pixel bewältigt. Zur Steuerung konnte man alternativ auch eine drahtlose Multitouch-Applikation auf einem iPhone verwenden.

Ebenfalls sehr praxisnah ist die Forschung an dem neuartigen 3D-Eingabegerät "Globefish". Es ermöglicht mit seinem greifbaren Trackball die direkte Kontrolle von 3D-Rotationen beispielsweise in CAD/DCC-Applikationen. Die größere "Spheron"-Variante ist speziell für Präsentationen im öffentlichen Raum und für Gruppen-Interaktionen konzipiert.

Neue Konzepte zur selektiven Informationsfreigabe – und mehr

Gleich eine ganze Reihe von Arbeiten beschäftigte sich mit den "Faces"-Konzepten von Erving Goffman zur selektiven Informationsfreigabe, die speziell in Social Networks noch sehr interessant werden könnten. In diesem Bereich arbeiten die Weimarer Studenten unter anderem an der Instant-Messaging-Lösung "PRIMIMundane". Diese nutzt die "PRIMI Advanced Sensor Suite", bei der auf dem Rechner Sensoren im Hintergrund laufen, die zur Erfassung von Kontextinformationen dienen können.

Eine anstehende Diplomarbeit wird überdies versuchen, über diese PRIMI-Sensoren eine Vorhersage von Verfügbarkeitsinformationen für unterschiedliche Kontaktkategorien mit dem Ziel zu entwickeln, dass Computerarbeiter möglichst wenig durch Kontaktaufnahmen durch Dritte von ihrer eigentlichen Tätigkeit abgelenkt werden.

Ziemlich genial fanden wir auch verschiedene Arbeiten der Augmented Reality Group. Zu sehen war zum Beispiel ein Verfahren, das Gesteinsproben unter einem Mikroskop automatisch über einen eingeschliffenen Beamer so beleuchtet, dass der Betrachter ein besseres Kontrastverhältnis erhält. Oder einen neuartigen Hintergrund für virtuelle Fernsehstudios. Der wechselt, synchronisiert mit der Kamera, ständig die Farbe zwischen Cyan und Magenta und beseitigt so die bei traditionellen "Blue/Green Screens" systemimmanenten Probleme (Kleidung in der Hintergrundfarbe tabu, Verfärbung der Haarspitzen etc.), die man dieser Tage wunderbar im neuen virtuellen Nachrichtenstudio des ZDF begutachten kann.

Bei der Open Lab Night kam natürlich auch der Spaß nicht zu kurz - was man vielleicht anhand eines kurzen YouTube-Videos (http://bit.ly/SiNwq) erahnen kann, das eine "Pong"-Variante auf einem Spieltisch mit Multitouch-Steuerung zeigt. So ein Multi-touch-Tisch lässt sich natürlich auch für ernsthafte Applikationen nutzen (Microsoft macht das mit seinem "Surface" ja bereits kommerziell).

Alles in allem bot die Weimarer Open Lab Night einen faszinierenden Einblick in neue Techniken und Entwicklungen, bei der der Gast richtig Lust bekam, noch einmal selbst Student zu sein – und das kommt selten genug vor.

Wer beim Lesen auf den Geschmack gekommen ist, findet unter http://www.uni-weimar.de/medien und http://www.uni-weimar.de/mediengang/2009 weiterführende Informationen.