Top-Management: Nach wie vor null Ahnung

24.08.1979

EDV-Leiter der Travenol GmbH, München,

Herr Ewald, Sie haben gerade den Wechsel von einem IBM System 13-12 auf ein System 134 vollzogen.

Stand von vornherein fest, daß Sie bei IBM bleiben, oder gab es Überlegungen, auch mal über den Zaun zu schauen was die Konkurrenz anbietet?

Im Bereich der EDV-Leiter von Travenol - und es gibt ja mehrere, in ganz Europa - besteht ständig das Interesse, über den Zaun zu schauen. Aber wir sind - um es mal ganz klar auszudrücken - so ein bißchen mit IBM verheiratet. Es ist von der Manager-Policy des Konzerns her im Prinzip unmöglich, etwas anderes zu nehmen, so daß wir relativ stark an das gebunden sind, was IBM auf den Markt bringt. Das ist bei vielen Amerikanern so. Das heißt, eine Diversifikation, Mixed Hardware oder einmal über den Zaun schauen, zu Nixdorf oder Siemens oder Honeywell und was da so kreucht und fleucht, das ist zwar interessant, aber wir wissen von vornherein: Wir werden es nicht machen.

- Hat diese Ehe für Sie eigentlich nur positive Seiten?

Das will ich nicht sagen. Man ist zu sehr an einen Hersteller gebunden und wird im Laufe der Zeit auch lasch oder relaxed, um sich noch über die anderen zu informieren, beziehungsweise, ich weiß, es bringt mir nichts. Das bringt nur höchstens etwas in meinem generellen Wissen, was es da so alles gibt, damit ich meinen Marktwert erhöhen kann. Aber man ist da auch etwas voreingenommen und sagt: "Ich habe nicht unbedingt ein Äquivalent gefunden, das der 34iger gleichkommt, diese Maschine ist phantastisch."

- Sie meinen, man muß nur mit der nötigen Voreingenommenheit an die IBM-Mitbewerber herangehen, dann kommt im Ergebnis schon heraus, daß der Marktführer besser ist?

Richtig. Auch dann, wenn man uns Freiheit geben und sagen wurde: "Entscheidet Ihr, was Ihr nehmt" - Nixdorf, Honeywell, Siemens oder eben eine 34 oder eine 38 -, auch dann wären wir zu dem Ergebnis gekommen" eine 34 zu nehmen. Der einzige Nachteil, den dieser Vogel hat, ist seine begrenzte Plattenkapazität oder diese Philosophie der Festplatten, an die sie nichts anderes dranhängen können - das stört.

- Sie sagen das, ohne irgendwie beunruhigt zu sein. Gehen Sie davon aus, daß IBM diese Schwachstelle zum gegebenen Zeitpunkt beheben wird?

Mit absoluter Sicherheit. Darum wird die IBM schon deshalb nicht herumkommen, weil sie ihr System /38 erst später auf den Markt bringen kann als geplant und die frustrierten 34iger Benutzer zufriedenstellen muß.

- Haben Sie eine Vorstellung, was IBM tun wird?

IBM wird den Hobel aufbahren. Das ist schon daraus ersichtlich, daß wir im November, Dezember einen 650-Zeilen-Drucker bekommen werden - der jetzige ist nur 350 Zeilen pro Minute schnell. Und man kann heute schon sagen, daß es nicht bis Ende dieses Jahres dauern wird, bis IBM mit einer Verdoppelung der Plattenkapazität auf den Markt kommen wird. Wir werden dann - einen weiteren Hasenstall mit nochmal 128 MB dranhängen können. Davon bin ich überzeugt - und heiße Tips weisen mehr und mehr darauf hin.

- Wenn man von der momentanen Lieferschwierigkeit einmal absieht: Die 38 ist das neuere Produkt, und IBM wird sich das Neugeschäft nicht dadurch kaputtmachen wollen, daß man jetzt die 34 aufwertet.

Das werden die nicht. Die werden nur die 34iger Kunden noch ein Jahr zufriedenstellen. Als wir nämlich die 34 angemietet haben, haben @ gleichzeitig einen Mietvertrag für die 38 unterschrieben. Das heißt: Von vornherein war geplant, daß wir dann, wenn die 38 von funktionsfähig am Markt ist, die 34 rausschmeißen.

- Das erkärt zumindest, wie die phantastisch hohen Auftragszahlen bei IBM zustande kommen.

Genau dadurch. Wir hatten damals die Möglichkeit, hier in München bei der Vorstellung der 38 dabei zu sein, die IBM übrigens recht geschickt gemacht hat - nur konnte man die Brocken nicht sehen. Von der Hardware war nichts da, aber das Filmchen war faszinierend. Und da hat man natürlich hauptsächlich auf diesem Datenbankprinzip herumgeritten, das - so wie's klang - faszinierend ist. IBM hat also den Stein der Weisen erfunden.

- Nur funktioniert die Datenbank nicht.

Ich glaube, die Lieferverzögerung hat nichts mit dem Datenbankprinzip oder der Zugriffsmöglichkeit auf die Datenbank zu tun, sie ist vielmehr durch Performance-Probleme verursacht. Das heißt: Wir haben zwar eine Maschine mit 1500K und bis zu zwei Milliarden Platten, aber dahinter stecken auch ein paar Zugriffe und ein Datenbanksystem, das frißt von vornherein schon 256 K. Nun muß man auch zugreifen, müssen 20 Terminaldrucker dranhängen können. Und da hat scheinbar der Vogel das Licht ausgemacht und die Jungs von, IBM haben gesagt, wir sind diesmal etwas vorsichtiger und werden da noch mehr Tuning reinbringen, damit wir nicht auf den Bauch fallen.

- Herr Ewald, wir können uns gut vorstellen, daß Sie beinahe jeden IBM-VB ins Schwitzen bringen können. Aber hat denn der typische System 13- oder System /34-Benutzer diesen Durchblick?

Da bin ich fast überfragt, aber ich würde sagen, nein. Der Durchblick bei uns ist deswegen größer, weil wir ständig internationale Erfahrungen austauschen. Wir haben mindestens viermal im Jahr internationale Treffen der Travenol-EDV-Leiter, die mal in Brüssel oder wo auch immer im europäischen Ausland, mal in Chicago, in unserer Zentrale drüben, stattfinden Dadurch bin ich etwas besser informiert und habe mehr Möglichkeiten, Fachwissen auszudiskutieren, als wenn ich jetzt allein in München sitzen würde. Das ist natürlich unser Vorteil.

- Branchenkenner behaupten, den IBM-DB-Kunden mangele es an Selbstbewußtsein, vollwertige EDV-Leute zu sein. Gibt es überhaupt einen Unterschied zwischen dem EDV-Leiter mit einer 370 und dem EDV-Leiter mit einer 34?

Ich selbst komme aus dem Großcomputerbereich - OS und MVS. Und als ich bei meinem Eintritt hier das erste Mal eine /3 zu sehen bekam und man sagte mir: "Hier ist der Computerraum", da dachte ich, okay, das sind die Sortiermaschinen, wo ist jetzt der Computer? Dann sagten die: "Das ist er". Das darf doch wohl nicht wahr sein. Da kann man doch nichts damit machen. Ich hatte also genau das gleiche Gefühl wie heute diejenigen Leute, die bei 370iger Anlagen rumsitzen und vielleicht dreimal im Jahr ein Programm schreiben und von oben herab sagen: "Der Kleine macht 34er". Ich habe mich recht schnell umgestellt. Aber es ist eine eigene Philosophie, und wenn ich heute meinem Programmierungsstab plötzlich eine 4331- hinsetze dann sind die Leute überfordert -das ist unmöglich.

- Der Trend geht doch aber auch im Bereich der Groß-EDV dahin mehr Betriebssystem-Funktionen fest in die Maschine einzugeben, um dem Benutzer das Denken abzunehmen.

Bei den Großen?

-Im 370-Bereich.

Das glaube ich nicht. Da würden ja Berufsbilder abgeschafft werden: Die hochqualifizierten Softwaregruppen, die fünf, sechs Mann, die in einem Stab von fünfzig Programmierern sitzen, die also die Größten und Besten sind. Gucken Sie mal bei großen Anwendern rein, da kenne ich Software-Leute, -die denken nur noch in Mikros und Makros und schreiben Betriebssyteme um und machen andere Zugriffsroutinen.

- Und wie ist es, wenn ein großer IBM-Benutzer mit der Anwendungsprogrammierung nicht mehr nachkommt, wenn also Anwendungsstaus entstehen, weil die Programmierer noch mit Betriebssystemtücken zu kämpfen haben? Insofern besteht doch für die IBM, die ein Interesse hat daß zusätzliche Computerpower benötigt wird, eine Notwendigkeit, mehr Betriebssystemkomfort auch auf den größeren Anlagen zu bieten.

Da sprechen Sie genau den Punkt an, den ich bezweifle. Ich glaue, daß gerade bei IBM das Know-how über ein komfortables Betriebssystem in diesem Bereich, also 34, 38 oder 380 - machen Sie bei 38 mal'ne Null dran - immer wichtiger sein wird als bei diesen Großanlagen. Ich kann mir vorstellen, wenn heute ein Benutzer an der 370-135, so mittelprächtige Dinger da, eine Anwendung sehen würde, wie wir sie beispielsweise an der 34 fahren, mit den Kosten und dem Stab an Leuten, und ein bißchen denkt, dann wird er ganz schnell auf die Idee kommen, seinen Hobel rauszuschmeißen und mit den kleinen Computern genau das gleiche zu machen, mit weniger Leuten, mit einer komfortablen Betriebssystemsoftware.

- Nun gibts doch -aber das Top-Management, das der EDV mittlerweile auf die Finger schaut.

Null Ahnung, nach wie vor. Da wird der Vorstand in einen Intensivkurs "Was 1 der Manager von EDV wissen muß" geschickt, der kommt dann zurück und sagt: "Jetzt weiß ich wenigstens, was ihr den ganzen Tag Oberhaupt tut". Aber ein Entscheidungsträger, der letztendlich dem EDV-Leiter sagen kann, ich möchte dies oder jenes Betriebssystem, wird er nie werden.

- Sie sagten: Management - nach wie vor null Ahnung. Aber die Manager sind doch nicht mehr so unbeleckt, um nicht zu sehen, wohin sich die EDV entwickelt.

Das Management kriegt mehr und mehr das Bewußtsein, ein Computer ist nicht irgend etwas, was da so rumsteht, sondern ich bin mehr oder weniger von ihm abhängig. Dazu paßt ein Witz, den ich gerade gelesen habe. Sagt der tolle neue Manager: "Jetzt habe ich mir einen neuen Computer zugelegt, auf den ich mich hundertprozentig verlassen kann." Antwortet ihm der alte EDV-Hase: "Es wird Ihnen auch nichts anderes übrig bleiben." Diese Philosophie haben die Leute gemerkt. Es ist einfach zu gefährlich, da nicht mehr reinzublicken und dieses Busineß einfach ein paar Lochkarten rausholen und sie dem Operator in die Hand drücken: Jetzt machst du einen Test. Und keiner hat eine Ahnung, was der tut.

- Noch einmal zurück zu Ihrem kleinen Zahlenspiel. An die 38 eine Null dranhängen. Sie meinen der 370-Anwender sollte sich an der 38 orientieren, denn vielleicht wird das System 380 der IBM von dort kommen, und nicht aus dem Groß-EDV-Bereich?

Wer heute eine 138 oder so was verwendet, täte gut daran, sich diese Dinge hier mal anzuschauen.

- Da sind wir wieder bei dem Punkt "Berufsbilder": Der Mann wird sich doch nicht selbst wegrationalisieren.

... und wird also vermeiden, zu genau hinzusehen, weil er ja dann sein Image hergeben müßte. Er muß dann seinem Vorstand sagen, heute bin ich zu dem Entschluß gekommen, daß es besser ist, wir nehmen eine 38, wir sparen dabei jeden Monat 50 000 Mark. Wenn ich sein General Manager wäre, würde ich ihn übermorgen rausschmeißen und sagen: "Und da kommst du heute erst drauf."