IDC-Terminalstudie: Unterschiedliche Ausgangspunkte - gleiches Ergebnis

Terminalanwender in Europa und ihre US-Kollegen

17.09.1976

Europas DV-Anwender entzogen sich lange Zeit dem marktforscherischen Sachverstand oder auch dem nüchternen Kalkül der Anbieter, die allzu häufig auf die angeblich wegbereitende Rolle des amerikanischen Marktes schielten. Dies ergab einmal mehr eine Studienreihe, die IDC in seinem Corporate Planning Service Europe im August herausgebracht hat.

Frühere Studien, speziell die aus der Anfangszeit der Datenfernverarbeitung in Europa, übernahmen als Hilfsmittel für eine Projektion der zukünftigen Marktentwicklung meist kritiklos die Meinung, daß sich hierzulande alles so entwickeln werde wie in den Vereinigten Staaten, und jeder Leser konnte beruhigt sein in dem Wissen, daß der Zukunftsboom mit absoluter Sicherheit auch ohne eigene Marketingaktivität oder Kundenbetreuung eintreten werde.

Eines allerdings hatte man vergessen: Europas Anwender von modernen Informationstechnologien gehören nicht nur anderen Brauchen an oder auch anderen Betriebsformen - oft mit erheblich längerer Tradition und Erfahrung, manchmal viel kleiner als in Amerika denkbar-, sie haben auch häufig eine völlig andere Vorstellung vom "Machbaren" in der EDV als ihre Kollegen drüben.

Diese unterschiedliche Struktur des Marktes, die von vielen Experten auch heute noch meistens vergessen wird, soll durch mehrere Beispiele belegt werden:

In Europa gibt es Hersteller, deren Produktpalette in den USA Oberhaupt nicht bekannt ist und die (für amerikanische Verhältnisse) Produkte anbieten, von denen kaum eine ernsthafte Konkurrenz zu befürchten wäre. In Europa sind diese Hersteller dennoch seit Jahren durch hervorragende Markterfolge bekannt. An diese Stelle gehören bekannte Namen aus der europäischen Computerindustrie.

In Europa war lange Jahre - einhergehend mit der entsprechenden IBM-Politik - eine regelrechte Liebe zum "In-house-computing" zu beobachten, die einer mehr rational bezogenen Anwendungspolitik in den Staaten entgegenstand.

Die Strategie der europäischen Postministerien in bezug auf den Leitungsausbau und die Tarifgebühren läßt sich Oberhaupt nicht mit Amerika vergleichen.

Die einzelnen europäischen Länder, ihre Verbraucher und Anbieter, aber auch die öffentliche Hand sind so unterschiedlich, daß eine einheitliche Prognose immer eine Addition der Einzelteile voraussetzt.

Als Folgerung ergab sich - und das ist in mehreren empirischen IDC-Untersuchungen nunmehr nachgewiesen worden:

Der Ablösungsprozeß von der zentralen zur dezentralen Verarbeitung stand in den USA von Anfang an unter dem Zeichen der Datenfernverarbeitung, in Europa und vor allem in der BRD dagegen im Zeichen der mittleren Datentechnik (Ausnahme: England!)

Während in den USA bei der Installation von großen Netzen folgerichtig zunächst die Verarbeitungsmöglichkeit weiter zentralisiert blieb, also zunächst ein Boom bei "dummen" Terminals zu beobachten war, zwang die europäische Entwicklung zur Installation von intelligenten Kleinsystemen ohne Anschluß an die Außenwelt. (Wie weit sich dieses MDT-Konzept durchsetzen konnte, zeigt im übrigen die Tatsache, daß ein enormer Anteil der MDT-Rechner von Großfirmen installiert wurde, wobei die Bundespost ihr Scherflein zur Nichtverbreitung der Datenübertragung beitrug.)

Erst in der jüngsten Zeit kommt es logischerweise zur nächsten Stufe der Entwicklung: In den USA zu einem verstärkten Ausbau und Einsatz von intelligenten Terminals als Weiterentwicklung der Dezentralisierung in bestehenden Netzen, in Europa zu einem Anschluß vorhandener dezentraler Intelligenz an die Außenwelt, also ihre Integration in die Datenfernverarbeitung.

Preisfrage: Wer hat jetzt von wem gelernt? IBM von Nixdorf oder Herr Meyer aus Gütersloh von Mr. Smith in Pittsburgh?

Für den Marktforscher, der ja lediglich versucht, beide Seiten des Marktgeschehens soweit in den Griff zu bekommen, um produkt- und beschaffungspolitische Voraussagen machen zu können, ergibt sich als Konsequenz folgendes Bild der bundesdeutschen

informations-technologischen Landschaft:

Diese Zahlen sagen allein noch nicht viel aus. Erst im Vergleich mit den USA wird deutlich, daß die unterschiedlichen Startpositionen auch zu unterschiedlichen Absatzkurven der Hersteller geführt haben.

In den USA schlagen gegenwärtig die Umsatzzuwachsraten von Herstellern intelligenter Terminalsysteme alle Rekorde, in Europa hat die Entwicklung der Datenfernverarbeitung in den letzten Jahren alle früheren Prognosen weit übertroffen.

Folgerung daraus: Die europäischen Anwender hatten ein Nachholbedürfnis, das sich auch nicht durch Rezession oder Krisenstimmung beeinflussen ließ. Ein regelrechter Nachfragestau hat sich hier ausgewirkt, der allerdings heute bereits abgebaut ist.

Eines allerdings dürfte klar geworden sein beim Vergleich des europäischen Anwenders mit seinem amerikanischen Kollegen:

Die Zukunft für kleine kommerzielle "Stand-Alone-Systeme" sieht in Europa genauso rosig aus wie die für die integrierten intelligenten Terminals Hierfür sorgt schon der kleine und mittlere Betrieb, der dank der MDT-Industrie in Europa viel anwendungsfreudiger für eigene Systeme

ist als ein entsprechendes Kleinunternehmen in den USA, das sich im Vergleichsfall eher an ein Serviceunternehmen wenden würde.

Informationen: Rainer Kolshorn ist Leiter des Geschäftsbereichs "Marketing-Service" bei der IDC Deutschland GmbH, München