Reminiszenzen eines Altgedienten:

"Systemblind wollte ich nie sein""

19.01.1979

Aufwand und Ertrag der heutigen EDV sind für ihn eine Qualitätsfrage - wie auch seine eigene Arbeit. Er weiß noch von den alten, nicht schreibenden Tabelliermaschinen und von Handlochern. Bis zu seinem 63. Lebensjahr hat er 42 Jahre auf diesem Gebiet gearbeitet. Er kennt die ersten deutschen Volkszählungen und modernste Datenbanktechniken. Jetzt wurde Ludwig Reinhardt für seine über 30jährige Tätigkeit als Dezernatsleiter DV im Niedersächsischen Landesverwaltungsamt Hannover (LVA) mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Mit dem Jubilar sprach CW-Mitarbeiter Georg Wadehn.

- Herr Reinhardt, über 30 Jahre EDV-Entwicklung in einer großen Landesverwaltung und Sie mitten drin, am Ende gar ein Verdienstorden. Fühlen Sie sich in Pension geschickt?

Im Juli 1978 bin ich durchaus vorbereitet in Pension gegangen. Da habe ich noch meine Programme abgearbeitet" also ein umfangreiches DV-Paket erledigt. Wie Sie sich überzeugen konnten, ist nunmehr unser LVA-Rechenzentrum technisch up to date. Ich konnte mit meinen Mitarbeitern bereits den nächsten Schritt in die Datenfernverarbeitung tun - einschließlich der interaktiven Programmierung.

Damit haben wir meines Erachtens im LVA die vierte Generation in der EDV erreicht: Datenverarbeitung am Arbeitsplatz. Denn die Jumbo-Rechenzentren entlassen jetzt ihre Kinder.

So habe ich die Nabelschnur gekappt und einer neuen Generation von DVIern Platz gemacht - für den Weg zu immer etwas Neuem.

- 30 Jahre LVA-DV, das ist im wesentlichen die Geschichte eines einzigen Herstellers von Datenverarbeitungsanlagen. Sind Sie IBMer?

Ja und nein, Zum einen prägt so eine langjährige Zusammenarbeit natürlich. Zum anderen aber wäre eine etwaige Abhängigkeit für die Entwicklung des RZ negativ gewesen. Systemblind wollte ich nie sein.

Wenn Sie so wollen, bin ich Hollerither Und geprägt worden bin ich durch die IBM zweifelsfrei, kenne heute fast jede Maschine, das angebotene Programm, und sehe dieses Unternehmen schon ein wenig als Maßstab für eine kundengerechte Entwicklung in der Datenverarbeitung.

Dabei darf ich doch eines anfügen: Die Maschinen neueren Datums, die das Rechenzentrum auch hat, sind von Siemens. Sie paßten sich den gestellten Aufgaben und den vorhandenen Systemen durch ihre Emulation besonders gut an. Da wäre Blindheit sicherlich falsch am Platze gewesen.

- Kommt man als DV-Praktiker - vor dem Hintergrund von drei Computergenerationen. Kompetenzgerangel, US-Einflüssen und allen möglichen Multi-Fragen - mit den Politikern und den Finanzspezialisten klar?

Ja, wobei mein Vorteil sicherlich immer der Techniker in mir war. Ich mußte mich nie um DV-Politik kümmern. Mir ging es immer nur um die Notwendigkeit, das zu tun, was in diesem Umfeld nötig war. Und da hat man mir den Techniker eben geglaubt. Dabei habe ich so manches Mal über die Sachlichkeit gestaunt, mit der Politiker und Finanzfachleute hier entschieden haben. Mit Stolz kann ich sagen, daß 99,9 Prozent meiner Ratschläge und Entscheidungen angenommen wurden.

- In der Laudatio des Niedersächsischen Landesverwaltungsamts wurde von einer großen Breitenwirkung Ihres Schaffens gesprochen, einer Breitenwirkung auch, zu der Sie der EDV schlechthin verholfen haben. Worin sehen Sie selbst diese Wirkung?

Die sehe ich darin, daß ich meine Kunden nie in Abhängigkeit bringen wollte. Es galt, ihnen ein perfektes Instrument zur Lösung ihrer Aufgabe zu liefern. Dabei kam es nicht selten darauf an, den Ich-Menschen abzulegen und des öfteren DV-Psychologe zu sein.

Des weiteren habe ich immer gegen die Zersiedlung der DV-Landschaft gekämpft. Und: Meine Mitarbeiter mußten immer einen sehr hohen Wissensstand haben und dieses Know-how auch weitergeben können. Dadurch erzielten sie eine Breitenwirkung für das ganze Team.

- Sie sind im Lochkarten-Zeitalter groß geworden. Sehen Sie von daher Parallelen zur augenblicklichen Problematik und Diskussion um die Bedeutung der Mikroprozessoren für die Berufs- und Arbeitswelt?

Meines Erachtens ist der Mikroprozessor nur eine Weiterentwicklung, ein Baustein im Rahmen der DV. Mehr nicht! Die Lochkarte hätte seinerzeit dieselbe Gefahr bringen können. Mit dem Mikroprozessor aber ist die Handhabung der EDV leichter geworden, der Rechner "menschlicher". Die Datenverarbeitung wird daher auch weiterhin die Qualität unseres Lebens - ich hoffe zum Positiven - verändern.

- Herr Reinhardt: Wenn Sie als Nestor der DV-Fachleute in der niedersächsischen Verwaltung gefeiert werden, welche Gedanken kommen ihnen dabei?

Datenverarbeitung ist nie die Sache eines einzelnen. Das Team ist dazu nötig. Also hat man mit mir auch die Mannschaft ausgezeichnet.

Zu alledem gehört Teamgeist, Glück in der Handhabung und auch Menschlichkeit. Das ist wie bei einem Rotor: Ohne gute Lager und ein starkes Magnetfeld geht es nicht. Strom von oben ist aber auch notwendig. Vielleicht habe ich auch dazu persönlich etwas beigetragen.