Entlassungen und Pleiten beuteln die Branche

Stehen die Linux-Geschäftsmodelle vor dem Aus?

21.09.2001
MÜNCHEN (CW) - Nach den Jahren der großen Euphorie folgt in vielen Linux-Unternehmen nun der Katzenjammer. Immer mehr Firmen entlassen Mitarbeiter oder verabschieden sich ganz aus dem Markt. Auch das deutsche Linux-Flaggschiff Suse sucht Geldgeber, um das Geschäft am Laufen zu halten. Dabei sind die meisten Probleme der Branche hausgemacht. Die Firmen haben zu wenig auf ein funktionierendes Geschäftsmodell geachtet, kritisieren Experten.

Zuletzt hat es auch die Suse AG erwischt, das deutsche Aushängeschild der Linux-Szene. Nachdem bereits im Februar dieses Jahres 30 Mitarbeiter in der US-amerikanischen Filiale ihren Hut nehmen mussten, werden bis Ende 2001 weitere 50 Angestellte das Unternehmen unfreiwillig verlassen. Auch in der Vorstandsetage des Nürnberger Linux-Anbieters geht es rund. Im Juli wechselte Roland Dyroff vom Vorstandsposten in den Aufsichtsrat und machte damit den Weg frei für Johannes Nussbickel, den neuen starken Mann im Unternehmen. Anfang September verließ Dirk Hohndel, Technikchef und Vorstandskollege von Dyroff, die Firma.

Die hohen Erwartungen haben sich nicht erfülltDoch Suse steht nicht allein. Viele andere Linux-Firmen kämpfen ebenfalls mit Problemen, wenn nicht gar ums Überleben. Caldera schreibt rote Zahlen und entlässt. Die US-Company Lineo trennt sich von der Hälfte ihrer Belegschaft. Ebiz, eine andere US-amerikanische Linux-Firma, muss zusammen mit ihrer Servicetochter Konkurs anmelden.

Die jetzt zutage tretenden Probleme sind nach Ansicht von Christian Egle, Pressesprecher bei Suse, Folgen der großen Linux-Begeisterung während der letzten Jahre sowie der daraus resultierenden hohen Erwartungen. Viele wollten das schnelle Wachstum über die damals noch reichlich sprudelnden Kapitalmärkte finanzieren. Diese Hoffnung trog.

Linux habe in den letzten Jahren nach Einschätzung von Hans Bayer, Deutschland-Geschäftsführer von Caldera, viel Popularität gewonnen, als es darum ging, eine Alternative zu Microsoft zu bilden und eine neue Technologie zu entwickeln. Viele Anbieter täten sich jedoch schwer, ein kommerziell funktionierendes Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen.

Dabei gingen einige Gleichungen nicht auf. So könne es beispielsweise nicht funktionieren, Profite zu erzielen, indem man die Software praktisch verschenkt. Da müssten sich die Billigdistributionen schon in gigantischen Stückzahlen an den Kunden bringen lassen, was im Markt jedoch nicht realisierbar ist.

Auch die zweite Gleichung, die Dienstleistungen als Grundlage eines profitablen Linux-Geschäfts präsentiert, sei nicht aufgegangen. "Service ist ein brutales Geschäft. Entweder man hat zu viele Leute und zu wenig Auslastung, oder die dicken Projekte, aber zu wenige Leute", resümiert Bayer.

Was den Boxenverkauf betrifft, teilt Dieter Hoffmann, Leiter des Zentral- und Osteuropageschäfts bei Red Hat, die Einschätzung seines Branchenkollegen. Der Markt unterliege komplexen Zyklen und sei deshalb nur schwer kalkulierbar. Bei der Servicerechnung kommt Hoffmann jedoch zu einem anderen Ergebnis. Red Hat habe schon früh den Servicebereich gepflegt. Allerdings, und das sei der Unterschied zu den meisten anderen Linux-Firmen, habe man sich nicht auf Linux beschränkt, sondern generell Anwender von Open-Source-Technologien bedient.

Der Konkurrenz wirft Hoffmann mangelndes wirtschaftliches Denken vor. Richtig wäre es, mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen, erst Geschäft zu generieren und dann die Mannschaft auszubauen. Das hätten viele Firmen, die mit Venture Capital finanziert sind, vernachlässigt: "Sie haben sehr aus dem Füllhorn gelebt." Wer sich als Open-Source-Unternehmen verstehe, dürfe deshalb nicht die kaufmännischen Regeln vernachlässigen, kritisiert der ehemalige Siemens-Manager.

Den Vorwurf, die meisten Unternehmen hätten zu wenig auf ein funktionierendes Geschäftsmodell geachtet, will Egle von Suse nicht gelten lassen. Die Ernüchterung trete jetzt ein, weil die Unternehmen sehr schnell gewachsen seien und sich deshalb eine euphorische Erwartungshaltung vor dem Hintergrund eines explodierenden Marktes herausgebildet habe. Allerdings habe man auch bei Suse auf ein starkes Wachstum gesetzt. "In verschiedenen Bereichen ist die Realität nicht unseren Erwartungen gefolgt", gibt Egle zu.

Die Firmen verfolgen verschiedene Wege, um wieder in die schwarzen Zahlen zu kommen. Caldera versucht sein Glück mit Lösungs-Bundles, die auf das klassische Linux aufgesetzt werden, erklärt Bayer. Das sind beispielsweise vorkonfigurierte Server für dedizierte Einsatzgebiete wie Mail oder Messaging. "Hier müssen die Firmen mehr leisten als nackte System-Funktionalität", fordert der Caldera-Manager.

Services als Linux-Retter?Hoffmann von Red Hat setzt auf das Dienstleistungsgeschäft. Viel versprechend sei es, wenn Firmen beginnen, wichtige Teile ihres Geschäftes Linux-basierten Systemen anzuvertrauen. Diese Unternehmen wollen in aller Regel von dem Hersteller direkt unterstützt werden, am besten rund um die Uhr, erklärt Hoffmann. Wichtig sei in diesem Zusammenhang die globale Verfügbarkeit.

Auch die Suse-Verantwortlichen spielen die Servicekarte. Langfristig müssten die Umsätze hier steigen, lautet das strategische Ziel. Im letzten Jahr wurden noch 60 Prozent des Umsatzes mit dem Verkauf von Produkten erwirtschaftet, 20 Prozent über Fremdsoftware sowie Hardware aus dem Projektgeschäft und 20 Prozent mit Dienstleistungen.

Vom warnenden Beispiel der gescheiterten Serviceanbieter ID-Pro und Innominate will sich Egle nicht abschrecken lassen. Suse kooperiere mit Unternehmen, die die Tür zu den IT-Entscheidern bereits geöffnet hätten. Dazu zählen IBM, Compaq und Fujitsu- Siemens Computers (FSC), für die der Third-Level-Support erbracht wird, also Probleme beim Kunden auf Sourcecode-Ebene zu lösen sind. Servicebeziehungen von null aufzubauen sei sehr schwierig, da am Anfang noch das Vertrauen fehle, berichtet Egle.

Um das Linux-Geschäft gerade im Enterprise-Markt anzukurbeln, müssten kommerzielle Applikationen verstärkt auf Linux portiert und unterstützt werden, fordert Bayer. Wichtig sei, dass die Großen der Branche wie zum Beispiel Oracle, Peoplesoft, SAP oder Siebel hier vorangehen. Allerdings ständen diese Firmen oft vor der Frage: "Auf welches Schweinderl sollen wir portieren?" Denn die verschiedenen Linux-Varianten seien dann doch nicht so kompatibel zueinander, wie das allgemein oft angenommen werde.

Auf der anderen Seite müssten sich Linux-Firmen verstärkt zusammentun und sich auf einen gemeinsamen Linux-Standard einigen. Erst wenn eine verbindliche Linux Standard Base (LSB) für Geschlossenheit und Klarheit sorge, würden die unabhängigen Softwarehäuser das System akzeptieren, prognostiziert Bayer. Ansonsten bleibe Linux eine nette Modeerscheinung, von denen es schon so viele gab.

Normale WachstumsratenDer Überschwang, der mit den Börsengängen von VA Linux und Red Hat begann, ist vorbei, lautet das ernüchternde Fazit von Bayer. Alles nähere sich jetzt wieder der Normalität. Diese sehe aber wirtschafts- und IT-politisch eher bescheiden aus. Die Erwartungen müssten auf ein vernünftiges Maß zurückgeschraubt werden. Die Firmen sollten mit knapp zweistelligen oder sogar einstelligen Wachstumsraten zufrieden sein.

Suse setzt auf die Kooperation mit den Großen. "Wir sehen zusammen mit IBM eine langfristige Perspektive, insbesondere im Server- und Enterprise-Computing", erklärt Egle. Das Engagement des IT-Riesen hinterlässt jedoch auch einen faden Beigeschmack. Insider behaupten, dass IBM und Co. längst das Ruder der Linux-Szene übernommen hätten. Firmen wie Suse, Red Hat oder Caldera lasse man weiterleben, um die Illusion einer freien Open-Source-Community aufrechtzuerhalten. Als Beleg für diese These werden die engen finanziellen Bande beispielsweise zwischen Suse und IBM angeführt. So haben sich die Armonker bereits an der ersten Finanzierungsrunde beteiligt und sollen sich auch in dem bevorstehenden zweiten Durchgang mit einer stattlichen Summe engagieren.

Abb: Linux-Marktanteile im Jahr 2000

Während Microsoft das Desktop-Geschäft eindeutig dominiert, kann im Server-Markt allein Linux den Redmondern Paroli bieten. Quelle: IDC