25 Jahre Rechenzentrum Karlsruhe

Siemens-Pensionär deutet bayerischen Supereomputer an

03.05.1991

Große Ereignisse lassen sich nur selten so gut planen wie dieser Geburtstag. Neben der 25-Jahr-Feier des Rechenzentrums Karlsruhe und der Einweihung des Superrechners von Siemens, der S600/20, gab es allerdings noch ein außerplanmäßiges Ereignis, das dafür um so mehr Staub aufwirbelte: Werner Poschenrieder, bei Siemens mittlerweile in den Ruhestand getreten, plauderte aus dem Nähkästchen und avisierte ein deutsches Supercomputer-Projekt, das die SNI in Angriff nehmen werde.

Der auf der Jahresfeier eingeweihte Supercomputer S600/20 ist nach der Spitzenleistung derzeit wohl der schnellste in Europa. Etwa 5000 Mflops (Millionen Rechenoperationen pro Sekunde) schafft dieses System. Die Taktzeit der Vektoreinheit beträgt 3,2 Nanosekunden, die der Skalareinheit 6,4. An Zentralspeicherplatz steht derzeit 1 GB, ab Herbst dieses Jahres die doppelte Menge zur Verfügung. Der Erweiterungsspeicher ist auf 4 GB hochgerüstet.

Heinz Kunle führte die mehr als 300 Teilnehmer dieser Einweihungs- und Jubiläumsfeier in die DV-Historie ein. Schon vor mehr als 25 Jahren wurde am mathematischen Institut der Universität Karlsruhe eine "Zuse Z 22" installiert, die kurz darauf eine "Z 23" ablöste, mit 256 Worten Hauptspeicher!

1966 begann dann die RZ-Geschichte der Universität Karlsruhe, seit langer Zeit vom Leiter Adolf Schreiner geprägt. Nach seinen Worten wurden etwa 50 Millionen Mark für die Ausstattung dieses Rechenzentrums aufgebracht, und zwar jeweils zur Hälfte vom Land und vom Bund - wie des öfteren betont wurde.

Ein Skalarrechner "Siemens 7881" wurde durch eine IBM 3090-300S mit 15 Nanosekunden Taktzeit und zwei Vektorzusätzen ersetzt. Die Spitzenleistung dieses Systems beträgt 2 x 133 Mflops.

Workstations für Universitäts-Institute

Dem 1983 beschafften Supercomputer von Control Data, der "Cyber 205" - die bezüglich Speicher und Pipelines noch von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ausgebaut wurde - folgte 1988 zunächst ein Siemens Supercomputer "VP400-EX", im Herbst 1990 ein "S400/10" und schon Ende März 1991 ein "S600/20".

Dieses Dreijahresprojekt hat sich offensichtlich bewährt, denn schon 14 Tage nach Verfügbarkeit standen die ersten Leistungsdaten zur Verfügung. Zum Gesamtplan gehört auch ein Robotersystem zur automatischen Auslagerung von Dateien, es war beeindruckend, das System im Einsatz zu beobachten.

In seinem Vortrag wies Schreiner noch auf die aktuelle Tendenz hin, die Institute der Universität mit Workstations auszurüsten. Als Leiter eines zentralen Rechenzentrums sieht er diese Entwicklung mit begründeter Skepsis.

In der Organisation und im Betrieb derartiger lokaler Rechner sind unzweifelbar Hard- und Softwarespezialisten erforderlich, die dann jedes Institut stellen muß. Es finden sich im Hochschulbereich leicht Workstation-Freaks, die sich solcher Aufgaben annehmen und ihre eigentlichen Aufgaben dann vernachlässigen müssen.

Nach Meinung von Schreiner werden die Kosten für Wartung und Systembetreuung unverhältnismäßig steigen. Dort bietet sich die Chance für das zentrale Rechenzentrum, es sollte sich zum Zentrum für Datentechnik entwickeln.

Besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang der Zugang zur Rechenleistung, denn inzwischen dürfte kaum ein Lehrstuhl ohne PC oder Workstation ausgerüstet sein. Im Bereich Karlsruhe sind mehr als 2500 PCs installiert, rechnet man noch eine Dunkel ziffer von zehn bis 15 Prozent dazu, kommt man auf etwa 3000 Systeme. Der Zugriff auf die Großrechenanlagen muß dabei über ein sehr leistungsfähiges und komfortables Hochschulnetz ermöglicht werden.

Im Zusammenhang mit dem Supercomputer entwickelte Schreiner darüber hinaus einen interessanten und diskussionswürdigen Ansatz zur Kostengestaltung: Wird eine Workstation im Werte von 30 000 Mark beschafft, so ist das Rechenzentrum als Gutachter tätig. Nutzt man jedoch die zentralen Rechner und verbraucht Rechenzeit im Werte von mehr als 100 000 Mark, so ist kein Gutachten erforderlich. Hier sollte wohl eine bessere Kontrolle erfolgen, denn auch Höchstleistungsrechner kosten Geld.

Auch auf die Kosten eines noch schnelleren Rechners in der Tflop-Leistungsklasse ging der Karlsruher RZ-Leiter ein. Bei den projektierten Kosten von mehr als 100 Millionen Mark könne sich kein Bundesland mehr allein ein Engagement in diesem Forschungs- und Entwicklungsbereich erlauben.

Projekt "Odin" läuft bis 1993

Zielt deshalb die Entwicklung auf ein einziges deutschem Höchstleistungszentrum ab? Ein derartiges Projekt war schon einmal gescheitert - das Deutsche Rechenzentrum in Darmstadt.

Interessant waren auch die Hinweise auf "Eucor", die Kooperation der Hochschulen am Oberrhein. In diesem Zusammenhang wurde erwähnt, daß gemeinsame Institute auch zwischen den Ländern Frankreich, Schweiz und Deutschland gebildet werden sollen.

In Karlsruhe berichteten die Verantwortlichen auch über das Projekt "Odin" (optimale Datenmodelle und Algorithmen für Ingenieur- und Naturwissenschaften auf Höchstleistungsrechnern). Hierbei handelt es sich um eine der ersten Kooperationen zwischen einer Hochschule und SNI.

Das Projekt begann 1988 und läuft zunächst über fünf Jahre. Von SNI und der Universität werden fünf Mitarbeiter finanziert. Ein Status-Report 19881991 mit einigen interessanten Projekten fand große Beachtung.

Ferner stellten Tagungsteilnehmer einige Forschungsergebnisse aus den Bereichen Fourier-Transformation, finite Elemente und Programmbibliotheken unter anderem auch von der S600 vor. So ergab beispielsweise der Linpack-1000x1000-Test mit optimierten BLAS (Basic Linear Algebra Subroutine) 3,46 Gflops für die S600.

Die Abschlußworte sprach Poschenrieder von Siemens. Er war an dem Karlsruher Projekt maßgeblich beteiligt. Die Siemens AG investiert inzwischen 100 Millionen Mark pro Jahr für Hochschulkooperationen über alle Fakultäten hinweg, wobei nicht verschwiegen wird, daß man erst Erfahrungen in der Zusammenarbeit sammeln mußte - Odin ist heute ein Beispiel für ein erfolgreiches Projekt.

Seine weiteren Äußerungen ließen aufhorchen: Siemens besäße Kompetenz in der Herstellung von leistungsfähigen Chips, von Betriebssystemen und auch im Supercomputing. Es werde der Tag kommen, an dem Siemens selbst einen Supercomputer herstellen könne.

Hierbei müsse man mit Vorlaufkosten von einer Milliarde Mark rechnen - was sind da die 160 Millionen Mark von Suprenums Parallelrechner-Projekt? Problem bei diesem Siemens-Engagement: Nächste Rechnergenerationen bei Supercomputern seien jeweils schon nach vier Jahren fällig.

Das heißt, pro Jahr müßten mindestens 250 Millionen Mark umgesetzt werden, damit sich die Entwicklungskosten auch amortisierten - konkret bedeutet das den Verkauf von mindestens zehn Supercomputern pro Jahr. Wer weiß, ob sich solche Projekte im Alleingang von SNI durchfuhren lassen. Sicherlich wäre es für Deutschland aber wichtig, auch in der Riege der Supercomputer-Hersteller vertreten zu sein.

Jan Berger ist freier Journalist und lebt in München.