Scheer: Wir hätten ein zweites i2 werden können

14.03.2002

CW: Haben Sie es nie bereut, Ihre eigene Entwicklung aufgegeben zu haben?

Scheer: Nein. Sicher kann man bedauern, dass es so wenig originäre Software aus Deutschland gibt. Vielleicht hätten wir ein zweites i2 werden können. Auch i2 war ja zunächst einmal SAP-Partner, bevor sie Konkurrenten wurden. Ich glaube nicht, dass wir in Deutschland gegen die SAP reüssiert hätten. Deshalb haben wir klug entschieden.

CW: SCM-Systeme einzuführen, ohne die Prozesse zu überarbeiten, gilt als Unfug - schlimmer als die Implementierung eines Enterprise-Resource-Planning-Systems ohne vorheriges Geschäftsprozess-Re-engineering. Wieso eigentlich?

Scheer: Der Erfolg liegt nicht in der gelungenen Softwareeinführung, sondern in den neuen Prozessen. Das belegt auch das viel zitierte Beispiel der Fischerwerke (siehe CW 13/01, Seite 54). Dort wurde die Supply Chain zunächst einmal vereinfacht: Unter anderem strich Fischer das Zentrallager, reduzierte die Anzahl der Auslieferungsläger und nahm die Lagerstufe beim Handel aus der Kette, so dass statt fünf nur noch drei Stufen vorhanden sind. Das Scheitern vieler E-Business-Projekte hat ebenfalls anschaulich gemacht, dass Organisation und Inhalte wichtiger sind als Technologie.

CW: Für die Standardisierung der Inhalte, sprich: der Prozesse, gibt es heute eine Reihe von Referenzmodellen, darunter die Supply Chain Operations Reference (Scor) des Supply Chain Council. Ist das eine reine Kopfgeburt oder bereits praxisrelevant?

Scheer: Wir haben das Scor in unserem Modellierungswerkzeug Aris implementiert und entwickeln auf Basis dieser Referenz derzeit ein System, das den Produkt- und Logistikdatenaustausch zwischen Intel und Siemens unterstützt. Standards nicht nur auf der technischen, sondern auch auf der inhaltlichen Ebene zu definieren, halte ich für einen enormen Schritt in die richtige Richtung. Hardware und Software sind reine Werkzeuge, ein Modell wie Scor oder das für die Hightech-Industrie entwickelte Rosettanet definieren, wie Prozesse inhaltlich gestaltet werden können - über Länder- und Sprachgrenzen hinweg.