Sachsen

Sachsens Glanz rührt heute von Siliziumscheiben

16.01.2001
Von Kathi Seefeld

Selbst von der “Wiege der sächsischen Hochtechnologie” sind inzwischen wieder kraftvollere Töne zu vernehmen. Die einstige “Arbeitsstelle für Molekular-Elektronik Dresden” wurde zum Zentrum für Mikroelektronik Dresden GmbH (ZMD), heute eine hundertprozentige Tochter der Sachsenring Automobiltechnik AG. Sachsenring hatte zum 1. Januar 1999 das ZMD übernommen. Bereits im ersten Jahr schrieb das Unternehmen, das auf Logistikschaltkreise spezialisiert ist, wieder schwarze Zahlen. Im Jahr 2000 konnte das ZMD auf ein Umsatzwachstum von 60 Prozent zurückblicken. Um ein weiteres Wachstum von etwa 40 Prozent pro Jahr abzusichern, wird die Sachsenring AG bis Mitte 2001 rund 49 Millionen Euro in neue Technologien und Hightech-Arbeitsplätze beim ZMD investieren. Zur Zeit arbeiten mehr als 400 Mitarbeiter beim ZMD. Seit 1995 bildet das Unternehmen wieder selbst Facharbeiter aus. Etwa die Hälfte der Beschäftigten verfügt über ein Hochschulstudium, die andere Hälfte besitzt eine abgeschlossene Berufsausbildung. Mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter sind jünger als 40 Jahre. Die Liste der Stellenangebote ist lang. Gesucht werden vor allem Ingenieure für Technologieentwicklung, Marketing, Produkttechnik, elektrische Analytik, für Automobilelektronik und Applikationsingenieure. Aber auch Informatiker und Schaltkreis-Designer werden gebraucht. Dass sich rund um die Dresdner Halbleiterindustrie ein immer breiter werdender Gürtel von computerorientierten Dienstleistungs- und Internet-Firmen ansiedelt, liegt nahe. Von etwa 400 Unternehmen geht die Sächsische Wirtschaftsförderung derzeit aus. Viel ist von infrastrukturellen Vorzügen auf halber Strecke zwischen Berlin und Prag die Rede. Unterstützt wird von der sächsischen Landesregierung mit ihrer Ansiedlungs- und Förderpolitik alles, was den Eindruck macht, es könnte moderne Arbeitsplätze schaffen.

Ende vergangenen Jahres zeichnete Staatsminister Schommer als Schirmherr des IT-Gründerwettbewerbs Futuresax 2000 drei Startups aus, die unter Beweis gestellt hätten, “wie innovationsfreudig und kreativ die Menschen im Freistaat sind” und mit neuen Geschäftskonzepten überzeugten. So will die im Juni 2000 gegründete Peppercon AG aus Zwickau “kranke Rechner” mit einem neuen Tool künftig “aus der Ferne warten”. Der anlässlich der Preisverleihung gleich noch ins Leben gerufene Inkubator “Evo-incubate your E-Vision” soll, so Schommer, Startups helfen, “die richtigen Partner auf dem Weg zum erfolgreichen Unternehmen zu finden”. Gemessen am Gründerboom in Städten wie Berlin, München oder Hamburg geht es in Sachsen ein wenig etwas bescheidener zu, doch von der Aufbruchsstimmung mehr als zehn Jahre nach der Wende lassen sich nicht nur jene anstecken, die frisch von der Uni kommen. So gründeten Leipziger Schüler die Firma “Piksl”, eine Weiterentwicklung des Projektes “Senioren @ns Netz”, bei dem talentierte Neunt- und Zehntklässler der Generation ab 50 Computerwissen vermitteln. Seit dem Herbst 2000 tragen die Schüler erstmals auch die wirtschaftliche Verantwortung für ihre Bildungsseminare. Die Senioren wiederum hoffen auf den speziell für ihre Altersgruppe entwickelten Rechner der sächsischen Lintec AG, der noch in diesem Jahr auf den Markt kommen soll. Besonders Unternehmen, die technologischen Schrittmachern mit seltenen Materialien oder mit Equipment zuarbeiten, so Gerald Brendler von der Wirtschaftsförderung Sachsen, bewirken internationales Interesse und einen wachsenden Bedarf an Arbeitskräften. In Freiberg befindet sich Europas einziger Hersteller von Verbindungshalbleiterscheiben auf der Basis von Gallium-Arsenid. Multikristalline Siliziumscheiben für die Photovoltaik kommen ebenfalls aus Freiberg. Der heute etwa 47 000 Einwohner zählende Ort am Rande des Erzgebirges lockt Gäste und Studenten noch immer mit der Formel “Silberstadt” in seine Mauern. Dabei wäre “Chip-Town” nicht weniger treffend. Allein 1998 wurden 160 000 Gallium-Arsenid-Scheiben - die, wie es heißt, schnellsten Chips der Welt - in Freiberg hergestellt. Dem vorausgegangen war die Übernahme des einstigen VEB (volkseigenen Betriebes) Spurenelemente im Jahr 1995 durch die israelische Federmann Enterprises Ltd., dem einzigen Hersteller von Gallium-Arsenid-Scheiben in Europa.

80 Millionen Mark wurden in das Freiberger Unternehmen, das nunmehr unter dem Namen FCM (Freiberger Compound Materials) firmiert, investiert, 280 Millionen Mark sollen in den kommenden Jahren für eine zweite Fabrik zur Verfügung gestellt werden. Sind die Investitionen erst einmal abgeschlossen, könnten in der einstigen Hochburg des Silberbergbaus wieder ebenso viele Menschen Arbeit haben wie vor 1990, schätzt der Bürgermeister. Zu den mittelständischen Unternehmen mit Erfolgsgeschichte und Fachkräftebedarf zählt auch die DAS Dünnschicht Anlagen Systeme GmbH aus Dresden. Die Firma hat sich darauf spezialisiert, jene Abgase zu entsorgen, die bei den Produktionsprozessen in der Halbleiterindustrie entstehen. Die Abgasentsorgungstechnik der DAS unter dem Namen Escape steht mittlerweile in den Fabriken führender Chiphersteller überall auf der Welt. Zwei Drittel des Umsatzes der DAS werden im Ausland erzielt. Unternehmen wie DAS können Jobsuchende inzwischen problemlos im virtuellen Technologie Zentrum Sachsen aufspüren. Das Hightech-Umfeld beflügelt nicht zuletzt Sachsens Forscher. Die vier Universitäten und sechs Hochschulen produzieren nicht nur einen Großteil des Führungskräftenachwuchses für AMD, Infineon & Co., sie zählen deutschlandweit zu den innovativsten in Sachen Hochtechnologie. Grundlagenforscher des Instituts für Nachrichtentechnik an der Technischen Universität Dresden arbeiten zum Beispiel an Netzwerken, die nicht per Kabel, sondern durch die Luft mittels elektronischer Funksignale und Lichtwellen Daten austauschen. Sowohl an den Technischen Universitäten in Dresden und Chemnitz als auch an den Hochschulen für Technik und Wirtschaft Dresden und Mittweida sowie der Westsächsischen Hochschule Zwickau werden die Ausbildungs- und Forschungskapazitäten erweitert und modernisiert. Die TU Dresden hat seit Herbst 2000 die Anzahl ihrer IT-Studienplätze verdoppelt und ist nach eigenen Angaben damit die “Nummer eins der deutschen Ausbilder” für die gefragten Spezialisten. “Überholen ohne einzuholen” war gerade in Sachsen viele Jahrzehnte ein geflügelter Ausdruck der Ironie mit Blick auf die industrielle Leistungsfähigkeit zu DDR-Zeiten. Inzwischen saust das Land tatsächlich schneller als andere. Der Raum Dresden zählt zu den Regionen mit der höchsten Qualifikations- und der niedrigsten Arbeitslosenquote Sachsens und der neuen Bundesländer. Noch ist die Ausgangsbasis, auf der das wirtschaftliche Wachstum in zweistelligen Steigerungsraten heute beruht, relativ klein, die Arbeitslosenquote im gesamtdeutschen Vergleich noch immer recht hoch. Doch die Veränderungen sind vielerorts deutlich, und die Zahl derer, die sie aktiv mitgestalten, wächst.