Rückzug auf Raten

05.03.1982

Als Siemens im Herbst 1978 auf dem glatten Parkett der "Mittleren Datentechnik" debütierte, gab es nicht wenige MDT-Experten, die den Münchnern den Durchbruch zutrauten. IBM hatte beim System /32 vorgemacht, daß man Verkaufen nicht mit einem guten Produkt lernt. Was die Hardware betrifft, gaben sich die Systemspezialisten in Neuperlach ohnehin keinen Illusionen hin. Sie war ausgereift (Prozeßrechner-Abstammung), aber nicht unbedingt kommerztauglich - "ein ungehobelter Brocken", wie sich Siemens-Kenner ausdrückten.

Der Einstieg schien gut vorbereitet - lange genug gewartet hatte man in der Isarmetropole mit der Ankündigung des Bürosystems 6000 -, und das Management des neugegründeten Unternehmensbereiches "Basis-Informationssysteme" (Siemens-Kürzel: BI) machte in Understatement: Da mußte doch etwas dahinterstecken.

Freilich nörgelten bereits damals einige Taufpaten, sie hätten sich eine mächtigere Ankündigung gewünscht. Branchenbeobachter schlossen daraus, daß Animositäten im BI-Lager bestünden und der Mißerfolg vorprogrammiert sei.

Jetzt ist das BI-Baby in den Mutterleib der Siemens-Energietechnik zurückgekrochen (Seite 3: "MDT-Kapitel bei Siemens lautlos beendet"). Das Kleinkind hat die Nase herausgesteckt - draußen war es ihm offensichtlich zu kalt. Verständlich, daß die Öffentlichkeitsarbeiter des Elektroriesen in Ihrem Kommuniqué auf die strittige Vaterschaft nicht näher eingehen. Verständlich auch, daß sie aus der Not eine Tugend machen. Man wolle mit gebündelter MDT-Power besser Fuß fassen im Markt der kleinen Computer, heißt es. Derartige Argumente hat man schon an anderer Stelle gehört - bei Univac beispielsweise, als der US-Mainframer seinen BC/7-Bereich wieder in den Gesamtvertrieb eingliederte. Nun wird niemand sagen können, daß die BC/7 sonderlich erfolgreich war.

Zurück zu Siemens: Die 6000 war von Anfang an ein Problemkind - und ein Verlustbringer obendrein. So bleibt als Motiv für die Schweißarbeit der Münchener, daß ein (Rote-) Zahlengrab zugeschüttet wird: Der Vertriebsapparat arbeitet rationeller; Hardwareleute werden eingespart. Pikant ist, daß IBM auch in diesem Punkt vorexerziert hat, wie eine derartige Straffungsmaßnahme den Kunden verkauft werden kann. Das mag die DV-Spitze bei Siemens ermuntert haben, BI als eigenständigen Unternehmensbereich aufzugeben, ohne - drinnen und draußen - das Gesicht zu verlieren.

So ganz haben es die Münchner indes noch nicht gelernt, auf ihre Selbstgenügsamkeit stolz zu sein. Wie ist es sonst zu erklären, daß sie den neuen, alten Unternehmensbereich "Mittlere Datentechnik" getauft haben. Daß sie als "MDT-Crew", als DV-Nostalgiker abgestempelt werden könnten, nehmen die Münchner nur zu gern in Kauf, lenkt dieser Begriff doch davon ab, wes Geistes Kind die MDT-Verweser eigentlich sind: Prozeßrechner. Die Energietechniker hoffen natürlich, daß sie auch weiterhin vom "Small Business-Kuchen" zu essen bekommen. Reinheitsfanatiker nennen das Etikettenschwindel. Und um ein kleines Flunkern handelt es sich schon, ein harmloses freilich, weil leicht zu durchschauen: Der Markt wird schnell merken, wie präsent die "Mittlere Datentechnik" von Siemens sein kann - mit den bekannten Produkten, mit weniger Leuten.

Bleibt festzuhalten: Siemens macht sein Vorhaben wahr, nicht mehr auf allen DV-Hochzeiten zu tanzen. Im Falle "Basis-Datensysteme" mag es der große deutsche Computer-Hersteller verschmerzen, daß ihn die Gäste - sprich: Anwender - nicht vermissen werden.