Predictive und Prescriptive Analytics

Prognosen und automatisierte Entscheidungen auf Basis von Daten

13.11.2015
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.
Predictive Analytics versucht, auf Basis komplexer Datenanalysen Vorhersagen über zukünftige Ereignisse zu treffen. Doch der Blick in die Zukunft bringt nur dann sinnvollen Mehrwert, wenn er in konkrete Use Cases eingebettet und mit Handlungsempfehlungen verbunden ist (Prescriptive Analytics). Im Idealfall erfolgen die Entscheidungen automatisiert auf Basis von Daten.
Ein Anwendungsszenario ist das Churn Management.
Ein Anwendungsszenario ist das Churn Management.
Foto: vetkit - shutterstock.com

Ein wichtiges Anwendungsszenario für Predictive Analytics ist Churn Management, sprich der Versuch, die Abwanderung von Kunden zu vermeiden. SAP hat vor kurzem ein derartiges Projekt für einen nordamerikanischen TK-Anbieter umgesetzt. "Das Modell sagt die Kündigungs-Wahrscheinlichkeit eines Kunden voraus, indem es unterschiedliche Kundensegmente anhand verschiedener Parameter analysiert", erklärt Sven Bauszus, Global Vice President and General Manager, Predictive Analytics bei SAP. "Nachdem durch Analysen Kunden mit einem hohen Abwanderungsrisiko identifiziert wurden, kann das Churn Modell dann beispielsweise das Marketing durch Handlungsoptimierungen dabei unterstützen, Kampagnen zielgerichteter auszurichten."

Dieses Beispiel zeigt zwei Trends der letzten Monate im Analytics-Segment: Zum einen wachsen Predictive Analytics und Prescriptive Analytics immer enger zusammen, zum anderen geht es immer mehr in Richtung automatisierte Entscheidungen.

Verknüpfung von Predictive und Prescriptive Analytics

Predictive Analytics muss sich auf einen konkreten Use Case beziehen und vor allem in konkrete Handlungsempfehlungen übergehen, so Sven Bauszus, Global Vice President and General Manager Predictive Analytics bei SAP.
Predictive Analytics muss sich auf einen konkreten Use Case beziehen und vor allem in konkrete Handlungsempfehlungen übergehen, so Sven Bauszus, Global Vice President and General Manager Predictive Analytics bei SAP.
Foto: SAP

Predictive Analytics beantwortet grundsätzlich die Frage "Was wird passieren?" und liefert auf Basis von Data Mining, maschinellem Lernen und anderen statistischen Methoden Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Ereignissen. Prescriptive Analytics geht hier noch einen Schritt weiter. Es liefert zusätzlich Handlungsempfehlungen, wie man einen bestimmten Trend in eine gewünschte Richtung beeinflussen, ein vorhergesagtes Ereignis verhindern oder auf ein zukünftiges Ereignis reagieren kann. Die Frage lautet: Wie müssen wir handeln, damit ein zukünftiges Ereignis (nicht) eintritt?

Predictive Analytics wird künftig eng mit Prescriptive Analytics verknüpft sein. Dazu Sven Bauszus von SAP: "Predictive Analytics muss sich auf einen konkreten Use Case beziehen und vor allem in konkrete Handlungsempfehlungen übergehen. Die konkrete Anwendung beziehungsweise das zu erreichende Ziel treibt auch die Datenauswahl, die eingesetzten Algorithmen sowie statistischen Methoden für die Analyse."

Churn Management: Die Grundlage bildet die Analyse verschiedener Kundensegmente anhand verschiedener Parameter.
Churn Management: Die Grundlage bildet die Analyse verschiedener Kundensegmente anhand verschiedener Parameter.
Foto: SAP

SAP entwickelt seine Algorithmen nicht selbst, sondern ermöglicht in seiner Lösung SAP Predictive Analytics den Zugriff auf Open Source Libraries mit Algorithmen, die auf Basis der freien Programmiersprache R für statistisches Rechnen entwickelt wurden. Zudem greift SAP auf Technologien der 2013 akquirierten Firma KXEN zurück, eines Anbieters von statistischen Algorithmen mit Patenten für einen automatisierten Machine-Learning-Ansatz.

Auch Lars Trieloff, Director Product Management bei der Blue Yonder GmbH, einem Anbieter von Predictive Applications, bestätigt, dass Predictive und Prescriptive Analytics immer enger zusammenwachsen: "Es geht mittlerweile nicht mehr primär um Einsicht und Erkenntnisse über eine mögliche Zukunft, sondern darum, auf Basis von Daten automatisiert Entscheidungen zu treffen. Von grundlegender Bedeutung ist immer die Zielsetzung. Was will ich vorhersagen? Wofür nutze ich diese Ergebnisse?" Blue Yonder entwickelt die Algorithmen für seine statistischen Modelle größtenteils selbst, setzt aber wie SAP teilweise auch Open Source-Algorithmen ein.

Vier Säulen-Modell mit Ziel Automatisierung

Vier Säulen-Modell: Blue Yonder verknüpft Predictive und Prescriptive Analytics mit dem Ziel, automatisierte Entscheidungen zu unterstützen.
Vier Säulen-Modell: Blue Yonder verknüpft Predictive und Prescriptive Analytics mit dem Ziel, automatisierte Entscheidungen zu unterstützen.
Foto: Blue Yonder

Blue Yonder hat ein Vier Säulen-Modell entwickelt, das Predictive und Prescriptive Analytics verknüpft und letztendlich automatisierte Entscheidungen unterstützen soll.

Säule 1 = Infrastruktur:
Grundlegende Voraussetzung für die effiziente Datenanalyse ist eine leistungsfähige Big Data-Infrastruktur, die auch große Datenmengen schnell auswertet. Das System sollte mit verschiedenen Formen von Daten zurechtkommen und Daten aus unterschiedlichsten Quellen aggregieren und analysieren. Sämtliche Datenquellen (Maschinen, Prozesse, Produkte, Wetterdaten etc.) und Systeme (ERP, CRM, BI etc.) müssen miteinander vernetzt werden.

Säule 2 = Algorithmen und Machine-Learning-Modelle:
Blue Yonder entwickelt seine Algorithmen stetig weiter und verfeinert sie mit dem Ziel, dass sie auch mit einer geringen Datenbasis bessere Ergebnisse liefern. Wichtige eigene Algorithmen sind der NeuroBayes-Algorithmus, der auf neuronalen Netzen mit vielen Input-Parametern und komplexen Zusammenhängen beruht, oder der Cyclic-Boosting-Algorithmus. Letzterer verarbeitet große Datenmengen ohne Clustering, kann gut mit unvollständigen Datenlieferungen umgehen und sorgt für Transparenz, indem er beispielweise bei der Absatzprognose alle benutzten Faktoren (Temperatur, Ferien etc.) offenlegt. "Die Transparenz ist sehr wichtig für die Prozessautomatisierung, damit der menschliche Nutzer die Ergebnisse der Maschine versteht", so Lars Trieloff.

Säule 3 = Domain Expertise:
Hier geht es darum, auf Basis der Algorithmen und statistischen Methoden ein Modell beziehungsweise eine Applikation für den konkreten Business Case zu bauen. Ein Beispiel ist die dynamische Preisgestaltung mit dem Ziel, anhand von der Berechnung von Preiselastizitäten den optimalen Preis zu bestimmen und damit Umsatz oder Gewinn zu steigern. Die Lösung rechnet hier mit Hilfe externer Daten (Wetter, Feiertage etc.) und interner Faktoren wie Einkaufspreise, Umsatzziel, historische Preise etc. mehrere Szenarien durch und ermittelt den optimalen Preis.

Stufe 4 = Vollautomatisierung des Prozesses:
"Die Prognose und die Handlungsempfehlung erfolgen quasi auf Knopfdruck. Der Kunde übermittelt über eine API die entsprechend benötigten Daten, das Modell gibt dann das Ergebnis automatisiert aus", erläutert Lars Trieloff. Dank der Automatisierung können Unternehmen eine Vielzahl von Entscheidungen treffen. So übernimmt beispielsweise ein Lebensmittelhändler und Kunde von Blue Yonder eine Million Bestellungen pro Tag nahtlos in sein Bestellsystem.

Permanente Verbesserung der Prognosen und Empfehlungen

Es geht mittlerweile nicht mehr primär um Einsicht und Erkenntnisse über eine mögliche Zukunft, sondern darum, auf Basis von Daten automatisiert Entscheidungen zu treffen, Lars Trieloff, Director Product Management bei der Blue Yonder GmbH.
Es geht mittlerweile nicht mehr primär um Einsicht und Erkenntnisse über eine mögliche Zukunft, sondern darum, auf Basis von Daten automatisiert Entscheidungen zu treffen, Lars Trieloff, Director Product Management bei der Blue Yonder GmbH.
Foto: Blue Yonder

Doch inwieweit können sich Unternehmen oder Data Scientists auf die Prognosen und automatisierten Handlungsempfehlungen verlassen? "Welche Methode und welcher Algorithmus am besten funktionieren, hängt vom individuellen Ziel und der Fragestellung ab", betont Sven Bauszus von SAP. "Um den Ergebnissen vertrauen zu können, ist es notwendig, das Modell und die Parameter stetig anzupassen, zu trainieren und in einem immerwährenden Prozess neu zu kalibrieren." Da sich die Modelle laut Bauszus auch durch Machine Learning anhand vorgegebener Algorithmen im Laufe der Zeit immer weiter verbessern, werden auch die Vorhersagen und Empfehlungen immer präziser. Kenngrößen für die Qualität einer Prognose sind etwa der Vergleich mit der Realität, mit den bislang im Unternehmen eingesetzten Methoden (zum Beispiel Regressionsanalyse in Verbindung mit dem Bauchgefühl des Managers) oder mit Konkurrenz-Algorithmen.

Kriterien für die Auswahl eines Anbieters

Worauf sollen Unternehmen bei der Auswahl eines Anbieters für Predictive/Prescriptive-Lösungen achten? Die Kriterien sind vom Ziel abhängig. Soll die Software hauptsächlich ein Tool darstellen, das die Arbeit der Data Scientists unterstützt, stehen vor allem die Visualisierungs-Werkzeuge und die einfache Bedienung im Vordergrund.

Verfolgen die Unternehmen das Ziel, ihre Geschäftsprozesse und Entscheidungen zu automatisieren, sind folgende Kriterien ausschlaggebend:

  • Expertise des Anbieters (Anzahl der Projekte)

  • Referenzen: Kontaktaufnahme zu bestehenden Kunden etc.

  • Business-Know how und (Branchen-)Erfahrung des Anbieters

  • Plattform muss Automatisierung und Modell-Management unterstützen

  • Einfache Integration in Backend-Systeme

  • Performance und Skalierbarkeit der Lösung

  • Kosten und Preismodell: Da eine erfolgreich eingesetzte Lösung für Predictive/Prescriptive-Analytics sich positiv auf die Geschäftszahlen auswirkt (schneller Return on investment), bieten einige Anbieter erfolgsabhängige Prämien an. Der Preis kann auch vom Datenvolumen oder der Rechenleistung (Anzahl der Prozessoren etc.) abhängig sein.