Neue Vorgangsbearbeitung nutzt Open-Source-Software

Polizei Niedersachsen fahndet mit Linux-PCs

26.09.2003
MÜNCHEN (wh) - Die Polizei Niedersachsen nutzt für ihr neues Vorgangsbearbeitungssystem knapp 12000 PCs und Server unter Linux. Gegenüber einer vergleichbaren Ausstattung mit Windows-Rechnern spart die Behörde nach eigenen Angaben rund 20 Millionen Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren.

Als Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann am 16. September die neu entwickelte Software für Polizeibehörden präsentierte, bedeutete dies zugleich einen Meilenstein für die Open-Source-Entwicklung: Das "Niedersächsische Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informationssystem" (Nivadis) läuft auf einer Linux-Infrastruktur. Mit 11620 PCs in der vollen Ausbaustufe und mehr als 100 Servern stemmen die Norddeutschen das bisher bundesweit größte Linux-Projekt.

Das komplett in Java geschriebene Nivadis löst rund 23 Einzelanwendungen ab, die die Polizei Niedersachsen seit Anfang der 90er Jahre im Unix-gestützten Altsystem "Mikado" gebündelt hatte. Erstmals werde die klassische Vorgangsbearbeitung mit weiteren Funktionen etwa für Analyse und Dokumentation verbunden, lobte Schünemann das gemeinsam mit der Unternehmensberatung Mummert Consulting realisierte Vorhaben. Neben einer effizienteren Vorgangsbearbeitung hofft er, aussagekräftigere Kennzahlen für die Kriminalitätsbekämpfung zu gewinnen.

Die Entscheidung für Linux fiel bereits im April 2002, berichtet Nivadis-Pojektleiter Axel Köhler. Ausschlaggebend seien sowohl technische als auch betriebswirtschaftliche Gründe gewesen. Ein Kostenvergleich mit Windows-XP-basierenden Client-PCs habe ergeben, dass die Open-Source-Lösung über einen Zeitraum von zehn Jahren um 20 Millionen Euro billiger ist. Das Projektteam orientierte sich dabei an den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeitsberechnung IT-WiBe 97 der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik (KBSt). Insgesamt veranschlagt Niedersachsen für das Nivadis-Projekt 82,5 Millionen Euro.

Vorteile biete Linux aber auch in puncto Sicherheit und Verwaltung, so Köhler weiter. So wäre es mit den Microsoft-Systemen sehr aufwändig gewesen, Single-Sign-on-Funktionen und das Authentifizierungssystem Kerberos in die bestehende IT-Infrastruktur einzubinden. Besonders wichtig war dem IT-Verantwortlichen die zentrale Softwareverteilung mit dem Tool "Autoyast" von Suse Linux. "Damit schießen wir die Java-Bohnen durch die Gegend", beschreibt er die Ferninstallation und -administration der Programmkomponenten. Eine lokale Änderung der PC-Konfiguration sei den Benutzern nicht möglich.

Die Java-basierenden Nivadis-Anwendungen laufen zentral auf mehreren Itanium-2-Servern von HP unter Red Hat Linux. Die Polizeibehörde nutzt dazu die Dienste des Informatik Zentrums Niedersachsen (IZN), das sowohl den Rechenzentrumsbetrieb als auch das Netz zur Verfügung stellt. Das IZN betreibt zudem die Oracle-Datenbank im Backend, die unter dem Unix-Derivat HP-UX arbeitet.

Open Office auf dem Desktop

Auf den PCs nutzen die Polizeibeamten unter anderem die Bürosuite Open Office, den Browser Mozilla sowie E-Mail- und lokale Kalenderfunktionen des Groupware-Systems "Evolution". Hinzu kommen weitere Open-Source-Tools etwa für die Bildbetrachtung. Mehr als hundert dezentrale Server unter einer Distribution von Suse Linux stellen diverse Netzdienste zur Verfügung.

Der Austausch der veralteten Unix-Hardware begann im November 2002. Seither haben die Niedersachsen knapp 6000 PCs mit Linux installiert. Weitere 6000 Client-Systeme sollen bis April 2004 in Betrieb gehen. Über einen Rahmenvertrag mit Fujitsu-Siemens Computers (FSC) habe man sich günstige Konditionen gesichert, so Köhler.

Technisch sieht er sich mit der modernisierten Infrastruktur auf dem neuesten Stand: Die Implementierung der Nivadis-Anwendungen auf Beas "Weblogic Application Server" in der Version 8.1 gehöre in Verbindung mit den Itanium-2-Servern zu den europaweit ersten Installationen dieser Art. Schon jetzt setze man Java 1.4 ein. Bis Mitte Oktober soll die Umstellung auf die neue Version der plattformunabhängigen Programmiersprache durchgängig realisiert sein. Nivadis-Anwendungen können aufgrund der Java-Implementierung auch auf anderen Betriebssystemen, zum Beispiel Windows, laufen.

Anbindung an Inpol-Neu?

Weniger innovativ schätzen die Niedersachsen offenbar das Fahndungssystem des Bundeskriminalamts (BKA) "Inpol-Neu" ein. Zwar soll Nivadis eine Schnittstelle zum BKA-System enthalten. Eine echte Server-Server-Kopplung aber lasse die BKA-Komponente "Inpol-Land" nicht zu, moniert Köhler. Mit der "proprietären Schnittstelle" von Inpol-Neu sei es seiner Behörde nicht möglich, Geschäftsprozesse komplett abzubilden. Die Polizei Niedersachsen habe sich deshalb eine eigene Schnittstelle zum System des Bundes gebaut.

Einer bundesweit engeren Verzahnung der Fahndungsarbeit stehen indes auch die untereinander inkompatiblen Ländersysteme entgegen, räumt Köhler ein. So entwickelten Polizeibehörden in mehreren Bundesländern "mit viel Aufwand" eigene Programme für die Vorgangsbearbeitung. Einige Bundesländer warten ab und klinken sich später in die neu entstandenen Systeme ein. So plane etwa Bremen, das Nivadis-System einzuführen. Köhler: "Wir reden mit weiteren Bundesländern."

Bayern gehört nicht dazu, denn dort ist bereits ein separates System entstanden. Zudem kooperiert die bayerische Verwaltung mit Nordrhein-Westfalen und Thüringen. Ein drittes Polizeisystem haben die Länder Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg aus der Taufe gehoben. Laut Köhler wurde aus dieser Entwicklung das BKA-System abgespalten.