Politik per Computer

07.03.1975

Mit Hans J. Dahms, DV-Referent des Bundeskanzleramts, sprach Dr. Gerhard Maurer

- Wird in Bonn mit Hilfe des Computers regiert?

In Bonn wird mit vielen technischen Hilfsmitteln regiert. Dazu gehört der Computer ebensogut wie die Schreibmaschine und das Kraftfahrzeug. Regiert wird in Bonn mit politischern Engagement und mit Sachverstand, nicht mit "dem Computer".

- Welche Unterstützung durch den Computer gibt es im Bundeskanzleramt?

Im Kanzleramt hilft der Computer dabei, die Übersicht zu wahren über die Vielzahl von Vorhaben, die von der Regierung betrieben werden. Die Bundesregierung insgesamt ist ja mehr eine planende als eine durchführende Verwaltung. Die Durchführung der staatlichen Maßnahmen liegt meist bei den Länderbehörden oder bei nachgeordneten Bundesbehörden. Wenn man bedenkt, daß es in der Bundesregierung etwa 1800 Referate gibt - sie entsprechen als Organisationseinheiten etwa den Abteilungen in privatwirtschaftlichen Unternehmungen - dann wird das

Problem deutlich, über die Vielfalt dieser Planungsaktivitäten die Übersicht zu behalten.

- Sie halten also Inventur mit Hilfe der EDV?

Ja, wenn Sie wollen, eine wöchentlich fortgeschriebene Inventur der Gesetzgebungsprojekte, die von der Bundesregierung betrieben werden. Wir nennen das "Erfassung der Vorhaben". Der Computer wird eingesetzt im Rahmen unseres "Informationssystems zur Vorhabenplanung der Bundesregierung".

- Braucht man dazu wirklich einen Computer?

Insgesamt haben wir es mit etwa 2000 Vorhaben zu tun. Das sind zum Beispiel Gesetzgebungsentwürfe, Verordnungsentwürfe, geplante Berichte der Bundesregierung, aber auch Vorhaben, die in den europäischen Gemeinschaften betrieben werden. Wir müssen verfolgen können wo diese einzelnen Projekte im Entscheidungsgang stehen, - auf dem langen Weg vom Referentenentwurf im Ministerium über die Kabinettsvorlage und die Verhandlungen im Bundesrat, Bundestag und in den einzelnen Ausschüssen bis schließlich zur Verabschiedung, Verkündung und zum Inkrafttreten. Dazu benötigt man eine Menge von Einzelinformationen über jedes dieser Vorhaben. Die haben wir in unserer Datenbank gespeichert. Entscheidendes Hindernis für eine konventionelle oder manuelle Bearbeitung dieser Informationsfülle ist die Vielzahl von Querbezügen. Die Verknüpfung der einzelnen Vorhaben nach allen denkbaren zeitlichen oder sachlichen

Gesichtspunkten kann praktisch nur mit Hilfe einer EDV-unterstützten Dokumentation hergestellt werden.

- Um welches Datenvolumen handelt es sich denn?

Im direkten Zugriff haben wir zur Zeit etwa 20 Millionen Bytes. Etwas anschaulicher gesagt: Die ausgedruckte Loseblattsammlung der Vorhaben umfaßt jetzt große Aktenbände mit über 4000 Seiten. Es ist einfach unmöglich, im Handverfahren das Zusammengehörige unter immer

wechselnden Aspekten zusammenzusuchen. Nehmen wir einige Beispiele: Welche Vorhaben haben Auswirkungen auf die Umwelt? Welche Vorhaben sind zu einem bestimmten Zeitpunkt im Rechtsausschuß des Bundestages anhängig? Welche Projekte führen noch Unklarheiten in den Finanzangaben? Natürlich gibt es weit größere Datenbanken in der kommerziellen Datenverarbeitung und auch im

öffentlichen Bereich aber hier haben wir es mit Planungsdaten zu tun, die eben in sehr intensiver Verknüpfung benötigt werden. Die Größenordnung übersteigt bei uns das was mit herkömmlichen Methoden beherrschbar ist.

- Wo wird gerechnet?

Im Kanzleramt selbst stehen nur Terminals mit Zugriff auf die Rechenkapazität der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung. Daneben rechnen wir auch beim Bundesverteidigungsministerium.

- Und wer sind die Benutzer? Fordert der Kanzler selber seinen Computer-Output an?

Der jetzige Kanzler ist den Umgang mit DV-gestützten Informationsverfahren schon von seinen früheren Funktionen im Verteidigungsministerium und im Finanz- bzw. Wirtschaftsministerium gewohnt.

Hauptbenutzer unserer Auswertungen sind aber die verschiedenen Stabsstellen im Kanzleramt und in den 16 Bundesministerien. Für diese Benutzer liefern wir monatlich etwa 150 Auswertungen aus unserer Datenbank. Das sind teils Daueraufträge, die den jeweils letzten Stand der Vorbereitungs- oder Gesetzgebungsarbeit in mehr oder weniger umfangreichen Listen wiedergeben, teils auch Einzelaufträge .

- Die verschiedenen Bonner Datenbanken und Dokumentationssysteme machen die Regierung immer mächtiger. Der Soziologe Max Weber sprach von "Herrschaftswissen". Führt dieser Trend zu einer Entmachtung des Parlaments?

Auch das Parlament hat seine Datenbanken, - zum Beispiel eine Datenbank über den genauen Stand der Gesetzgebungsvorhaben innerhalb der parlamentarischen Behandlung. Wir tauschen mit der Datenbank laufend Informationen aus, um Doppelarbeit zu vermelden. Beispielsweise übernehmen wir nach jeder Sitzungswoche automatisch alle Informationen über den letzten Stand der Ausschuß-Behandlung aller im Bundestag anhängigen Vorhaben. Es trifft also nicht zu, daß alle Datenbanken nur

der Regierung zugute kommen. Verschiedene Datenbanken und Dokumentationssysteme werden auch von Regierung und Parlament gemeinsam geplant.

- Beantworten Sie auch Anfragen von Parlamentariern? Es wäre doch denkbar, daß sich ein oppositioneller Abgeordneter eine Liste all der Vorhaben ausdrucken lassen möchte, bei der die Regierung hinter ihren Planungen zurückblieb. Man kann sich denken, daß die Veröffentlichung eines solchen "Sündenregisters" der Regierung nicht angenehm wäre?

Auch die Bundesregierung hat einen Intimbereich, der ihr von der Verfassung garantiert wird. Dazu gehört das Recht, ins "Unreine" zu denken und vorläufige Planvorstellungen zu entwickeln, die solange beliebig abänderbar bleiben müssen, bis die Regierung in der verfassungsmäßig vorgeschriebenen Weise verbindlich gesprochen hat.

- Diese Liste gäbe es also nicht?

Wenn es sie im Einzelfall nicht gibt, dann hat das nichts mit Machtverschiebung zu tun, sondern mit Gewaltenteilung. Eine solche Liste würde der Abgeordnete vom Computer gedruckt nicht leichter erhalten als von Hand geschrieben.

Dipl.-Volkswirt Hans J. Dahms, 40, leitet im Bonner Bundeskanzleramt das zur Planungsabteilung gehörige Referat für Informationssysteme, Dokumentation, EDV, Statistik- und Prognoseverfahren (20 Mitarbeiter). Nach dem Studium beschäftigte sich Dahms mit Hochschulplanung und Bildungspolitik, ging dann als Leiter des volkswirtschaftlichen Büros zur Firma Bosch und wechselte zur IBM Deutschland, die er nach fünf Jahren 1970, zuletzt als Leiter der Abteilung für Interne Managements-lnformationssysteme verließ. Dahms zu seinem Wechsel ins Kanzleramt "Eines der viel zu seltenen Beispiele für Durchlässigkeit zwischen Industrie und Ministerial-Verwaltung."