TKIS-Geschäftsführer Peter Chylla im CW-Gespräch

Plan, build, run gilt auch für das E-Business

19.01.2001
MÜNCHEN - Spätestens nach der Übernahme der früheren Aventis-Tochter Hightech International Services GmbH (Hiserv) spielt die Thyssen-Krupp Informations Services GmbH (TKIS) schon allein aufgrund ihrer Unternehmensgröße eine wichtige Rolle im deutschen IT-Dienstleistungsmarkt. CW-Redakteur Gerhard Holzwart sprach mit Peter Chylla, Vorsitzender der TKIS-Geschäftsführung, über künftige Markttrends.

CW: Ihr Unternehmen hat im vergangenen Jahr mit dem Kauf von Hiserv sowie in der Folge mit einer sehr ambitionierten Zielsetzung für Schlagzeilen gesorgt. Immerhin wollen Sie sich nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit in der Topliga der IT-Dienstleister etablieren. Haben Sie keine Bedenken, dass es für einen der klassischen Vertreter der Old Economy sehr schwer sein dürfte, im Zukunftsmarkt E-Business Kompetenz zu signalisieren?

Chylla: Ich kann darin kein Defizit erkennen. Wir stehen zu unserer Vergangenheit, noch dazu, wo wir von unserer Historie her das 24-Stunden-an-sieben-Tagen-Denken gewohnt sind. Denken Sie nur an unsere Stahl-Herkunft und den Bereich Gebäudetechnik. Ich denke also, dass man uns eine gewisse Servicekompetenz abnimmt. Was das viel zitierte E-Business angeht, dürften uns unsere Wurzeln auch nicht schaden. Ja, wir kommen aus der Old Economy, aber wir stehen für einen glaubhaften und sicheren Migrationsweg in das Internet-Zeitalter.

CW: Das müssen Sie im Markt aber auch entsprechend kommunizieren. Wie würden Sie die Rolle von TKIS im derzeit sehr vielstimmigen Chor der IT-Dienstleister definieren?

Chylla: Zunächst als Service-Provider pur, getreu dem alten Motto: Plan, build, run! Wir sind also kein Hardware- und Softwareproduzent, haben auch keinen Ehrgeiz, uns nennenswert in diese Richtung zu entwickeln. Wenn man aber diese - neudeutsch würde man sagen: Mission - ernst nimmt, bedeutet dies, dass man die gesamte Wertschöpfungskette der IT abdecken können muss. Unsere Kunden verlangen von uns jedenfalls komplette Lösungen aus einer Hand - und die liefern wir.

CW: Mit anderen Worten: Das klassische Repertoire eines IT-Dienstleisters, angefangen vom Outsourcing über die Einführung großer ERP-Lösungen bis hin zum entsprechenden Consulting in Sachen Technologie und Geschäftsprozesse. Es gibt viele Kritiker, die dies als unzeitgemäßen Bauchladen bezeichnen würden - angesichts eines Marktes, der in den beiden vergangenen Jahren eher von Spezialisierung und zum Teil erfolgreichen Nischenanbietern geprägt war.

Chylla: Nur auf den ersten Blick, wohlgemerkt! Schauen Sie sich die Margen der meisten Multimedia-Agenturen, Internet-Beratungshäuser, Web-Hosting-Anbieter oder Application-Service-Provider (ASPs) doch näher an. Ich will jetzt gar nicht auf die vermeintlich gescheiterte New Economy einprügeln. Aber alle so genannten neuen Dienstleister waren und sind bemüht, Kompetenzen, die ihnen fehlen, hinzuzukaufen. Den Trend zur Spezialisierung kann ich also nicht erkennen.

CW: Heißt das, dass alle Beobachter nur dem Internet-Hype aufgesessen sind?

Chylla: In gewisser Weise ja. Allerdings nicht nur die Marktforscher und Berater, sondern vor allem auch die Anwender. Sicherlich gibt es unter den Newcomern auch ernst zu nehmende Anbieter, aber genauso oft hat sich auch ein flippiger Auftritt allein als zu wenig erwiesen. Ich halte den Ausdruck New Economy ohnehin für etwas unglücklich, denn im Prinzip geht es doch nur darum, Handel, Industrie und Verwaltung - also Traditionsunternehmen - für das Internet fit zu machen.

CW: Solche pointierten Aussagen hätten Sie wahrscheinlich noch vor einem halben oder dreiviertel Jahr nicht getätigt. Es ist doch unstrittig, dass sich neue Geschäftsmodelle im und mit dem Internet etabliert haben. Daher noch einmal die Frage: Schimmert da nicht der Neid desjenigen hervor, der sich in Sachen E-Business seine Meriten erst verdienen muss?

Chylla: Überhaupt nicht. Unsere Tochter Triaton hat nicht nur das von Ihnen vorher angesprochene klassische Repertoire, sondern die gesamte Palette von Supply-Chain- und Customer-Relationship-Management über Portale, Online-Shops, Auktionsplattformen bis hin zu Marktplätzen in ihrem Serviceportfolio. Dies geschieht auch in Zusammenarbeit mit der Triaton-Schwester Xtend, die in der gesamten New-Media-Landschaft zu Hause ist. Wir brauchen also im E-Business keinen Nachhilfeunterricht. Unser Fehler war bis jetzt vielleicht, dass wir darüber nicht so laut geredet haben wie andere.

Im Übrigen geht es aber, ich wiederhole mich, um andere Dinge. Der Kunde will mehr - und vor allem, dass es funktioniert. Wir reden dann sehr schnell von kompletten Systemumgebungen und ausgelagerten Anwendungen. Spätestens dann trennt sich jedoch auch die Spreu vom Weizen. Noch ein Argument: Wenn ich mir unsere klassische Klientel in der Industrie anschaue, ist auch dort mehr denn je von der Konzentration auf das Kerngeschäft die Rede. Auch daraus ergibt sich für uns die Notwendigkeit, als Komplettanbieter aufzutreten.

CW: Jetzt strapazieren Sie wieder das klassische Outsourcing, das man zumindest in den USA schon seit 30 Jahren predigt. Kein sehr neuer Trend, wie mir scheint.

Chylla: Da mögen Sie Recht haben, aber nie war dieser Trend nachhaltiger als jetzt im Markt zu spüren. Diese Erkenntnis lässt sich auch noch an einem anderen Punkt festmachen. Nehmen Sie den angespannten Arbeitsmarkt. Wo glauben Sie, dass die meisten der händeringend gesuchten IT-Spezialisten hingehen? Zu einem Anwenderunternehmen oder zu einer Company, deren Geschäftszweck die IT ist?

CW: Dass Ihnen der Arbeitskräftemangel in der IT-Branche in die Hände spielt, dürfte unstrittig sein. Doch das gilt für Ihre Wettbewerber ebenso, ein Alleinstellungsmerkmal ist dies also nicht.

Chylla: Das habe ich auch nicht gesagt. Ich habe von einer den Markt antreibenden Entwicklung gesprochen, die letztlich aber nur professionellen Serviceanbietern etwas nützt.

CW: Kommt Ihnen eigentlich, um noch einmal die Historie anzusprechen, Ihre Vergangenheit als IT-Verantwortlicher eines großen Unternehmens zugute? Als ehemaliges Spinoff einer IT-Abteilung und erst recht nach der Fusion mit Hiserv müsste man bei TKIS doch noch die Sprache der Anwender sprechen.

Chylla: Diese Medaille hat zwei Seiten. In unserer Sturm- und Drangphase nach der Ausgründung waren wir natürlich zunächst bestrebt, uns von unserer Vergangenheit abzunabeln, alte Zöpfe abzuschneiden, haben die Marktorientierung über alles gestellt. Ich denke, das ist auch ganz natürlich für eine Organisation, die erst einmal lernen muss, als Unternehmen aufzutreten und zu agieren. Mittlerweile kennen wir unsere Stärken und Schwächen sehr genau. Wir wissen zum Beispiel, dass wir im Marktauftritt nach wie vor nicht unbedingt die Besten sind. Das muss sich natürlich ändern. Unsere Marschrichtung lautet aber: Spiele deine Stärken aus und lenke nicht sämtliche Energie auf die Behebung deiner Defizite. Insofern denke ich schon, dass wir beim Kunden noch über eine Spur mehr Einfühlungsvermögen als manche Konkurrenten verfügen. Was nichts daran ändert, dass wir wirtschaftlich arbeiten und kalkulieren müssen.

CW: Dienstleistern wie TKIS, die durch die Ausgliederung ehemaliger IT-Abteilungen entstanden sind, wirft man gemeinhin auch Etikettenschwindel vor. Die so genannten Außenumsätze seien gering; vielfach sei dieser Schritt nur gemacht worden, um den betreffenden Mitarbeitern höhere Gehälter zahlen zu können und damit den sicheren IT-Betrieb im eigenen Mutterkonzern zu gewährleisten.

Chylla: Wir gehen davon aus, dass wir im laufenden Geschäftsjahr 2000/01 etwa 65 Prozent des geplanten Umsatzes von rund einer Milliarde Mark mit Aufträgen außerhalb des Thyssen-Krupp-Konzerns erwirtschaften. Insofern müssen wir uns diesen Schuh nicht anziehen.

CW: Sie haben mit Hiserv, ebenfalls ein Spinoff eines früheren IT-Shops, ein ähnlich geartetes Unternehmen übernommen. Was sprach denn für diesen Merger? Schließlich hätten Sie doch auch einen im Markt bereits etablierteren Wettbewerber kaufen können.

Chylla: Die Frage, ob Hiserv im Markt etabliert war oder nicht, ist müßig. Ich würde jedenfalls davor warnen, Dienstleistungsanbieter, die auf diese Weise entstanden sind, langfristig zu unterschätzen. Viele haben offenbar vergessen, welche Wurzeln beispielsweise EDS, Debis oder Sabre haben. Für uns war entscheidend, dass uns die Kollegen und Strukturen von Hiserv international ein deutlich stärkeres Standbein brachten und auch in Deutschland die Synergieeffekte überzeugend waren. Auch die Tatsache, dass die Verschmelzung beider Firmen schnell und reibungslos abläuft, bestätigt uns in diesem Schritt.

CW: Wie ist denn der Stand in diesem Integrationsprozess?

Chylla: Die Geschäftsprozess- und Systemvereinheitlichung bedarf sicher noch einiger weniger Zeit, aber organisatorisch und formalrechtlich ist dieser Merger abgeschlossen. Wir haben uns ja in diesem Zusammenhang bewusst für die Gründung eines neuen Unternehmens entschieden. Mit dem Namen Triaton haben beide Welten, beide Kulturen die Chance, neu zu beginnen, ohne dass sich eine Seite von der anderen übervorteilt fühlen muss. Allerdings heißt das auch, dass die Kollegen ohne den großen Namen Hoechst oder Thyssen-Krupp auskommen müssen. Ich denke, dass auch dies den Anspruch symbolisiert, einen eigenen erfolgreichen Weg zu gehen.

CW: Kommen wir noch einmal auf Markttrends zu sprechen. Sie haben vorhin das Hohelied vom One-Stop-Shopping gesungen und der Spezialisierung eine deutliche Absage erteilt. Themen wie ASP oder Web-Hosting dürften demnach Eintagsfliegen bleiben.

Chylla: Ich fürchte ja. Zumindest wenn es um eine vertikale Wertschöpfung beim Kunden geht. Hier wird es zu der von vielen Fachleuten vorhergesagten Konsolidierung unter den Anbietern kommen. Ich streite gar nicht ab, dass der ASP-Gedanke Charme hat, aber vieles daran ist eben nicht neu. Zudem wird nicht bedacht, dass dieser Markt bereits weitgehend von den großen Systemhäusern und Dienstleistern besetzt ist. Was ist denn - wenn man den Finanzierungsaspekt bei ASP einmal beiseite lässt - SAP-Outsourcing oder die Auslagerung von Payroll- und Accounting-Funktionen? Genau da werden heute übrigens auch die größten Margen verdient. Das eigentlich Neue wäre jetzt, die kleinen und mittelständischen Firmen anzusprechen, wo die Claims noch nicht abgesteckt sind. Aber ich fürchte fast, dass man dort noch nicht so weit ist, dass man nicht weiß, was und und wie viel man aus der Steckdose beziehen möchte.

CW: Kann man daraus schließen, dass dieser Markt für TKIS nicht interessant ist?

Chylla: Nein. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass gerade die kleinen und mittelständischen Anwender mittelfristig an ASP-Angeboten interessiert sein dürften und hier auch eher die Chance für kleinere Dienstleister bestehen dürfte, erfolgreich zu sein. Aber ich warne auch hier davor, auf irgendwelche Hypes hereinzufallen und die Komplexität des Geschäfts zu unterschätzen. E-Business ist kein selbständiges abgehobenes Genre, sondern zunächst im Wesentlichen die Verlängerung des eigenen ERP-Systems zu Kunden und Lieferanten. Und bereits das ist alles andere als trivial.

TKIS - DIE STRATEGIEDas Systemhaus Thyssen-Krupp Information Services (TKIS) wurde im März 1999 gegründet und gehört zum Konzernbereich Materials & Services AG. Die Wurzeln der Gesellschaft reichen zurück auf eine Ausgründung der früheren IT-Abteilung der Thyssen Stahl AG (als Thyssen Informatik GmbH) im Jahr 1994, deren damaliger Leiter der jetzige TKIS-Chef Peter Chylla war. Chylla war von 1994 bis 1997 auch alleiniger Geschäftsführer von Thyssen Informatik. Er kennt somit "beide Seiten" - die Anwender- und die Industrieperspektive.

Mit mehr als 3000 Mitarbeitern und einem für das laufende Jahr geplanten Umsatz von gut einer Milliarde Mark reihte sich die TKIS nach der Hiserv-Übernahme unter die Top Ten der deutschen IT-Dienstleister ein. In dieser Liga will Chylla seine Company in absehbarer Zeit auch weltweit spielen sehen und schließt deshalb in puncto Wachstumsstrategie den Kauf eines weiteren "Krachers" nicht aus. Neben Deutschland und Europa soll die Internationalisierung vor allem in Südamerika und Asien vorangetrieben werden - Märkte, wo man durch frühere Hoechst- beziehungsweise Hiserv-Aktivitäten bereits über ein Standbein verfügt. TKIS soll sich dabei mit seinen diversen Tochtergesellschaften (siehe Abbildung) als "Mittler zwischen der Old und New Economy" positionieren und mittelfristig auch im Wettbewerb mit den Großen à la IBM, EDS oder SBS die Margen dort verdienen, wo nach Ansicht des TKIS-Chefs heute noch die "Kärrnerarbeit" zu verrichten ist: bei der Anwendungsintegration, bei E-Business-Szenarien im Sinne des Ausbaus von Supply-Chain-Management- und Customer-Relationship-Management-Lösungen. Über kurz oder lang werde hier, so Chylla, über den Erfolg eines IT-Dienstleisters entschieden - nämlich durch die Fähigkeit, solche Systeme ähnlich wie heute beispielsweise eine große SAP-Anwendung im "run", also im zuverlässigen Betrieb für den Kunden zu betreuen.

Abb: Komplettangebot: Mit klassischen IT-Dienstleistungen, Telematik-/Logistik-Angeboten, den Bereichen Health Care und New Media erhebt die Thyssen-Krupp Information Services GmbH den Anspruch eines Full-Service-Providers. Quelle: TKIS