US-Halbleiterkonzern können schlampig durchgeführte Tests teuer zu stehen kommen:

Pentagon traut den Mikrochips von TI nicht

28.09.1984

WASHINGTON - Kopf und Kragen hätten Texas Instruments die Anschuldigungen des amerikanischen Verteidigungsministeriums kosten können, der texanische Halbleitergigant habe defekte Chips für Rüstungsgüter geliefert. Doch jetzt machten die Pentagon-Sprecher einen halben Rückzieher. So werden nur noch die mangelhaften Testverfahren von TI angeprangert. Nicht zurückgenommen wurde dagegen die Androhung, gegen das Unternehmen wegen Betrugs zu ermitteln, falls sich herausstellen sollte, daß die vorgeschriebenen Tests nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden.

Das amerikanische Verteidigungsministerium wirft Texas Instruments vor, notwendige Qualitätskontrollen nicht durchgeführt zu haben. Nun müsse TI für alle aufgedeckten Schäden die volle Verantwortung tragen. Gleichzeitig wies das Pentagon seine Lieferanten von Rüstungssystemen an, bestimmtes Zubehör mit von Texas Instruments gelieferten Schaltkreisen nicht mehr abzunehmen.

In den letzten acht Jahren, gab das Pentagon bekannt, wurden über 15 Millionen der fraglichen Chips in rund 50 Waffensysteme darunter US-Militärflugzeuge, U-Boote und Raketen eingebaut. Inzwischen habe das Verteidigungsministerium von TI eine Aufstellung von 80 Händlern erhalten, die Bauelemente des Unternehmens vertreiben. Derzeit sei aber noch nicht zu übersehen, in welchem Umfang ungenügend getestete Schaltkreise in Waffen und anderen militärischen Ausrüstungen steckten.

Erste Gerüchte über die unterlassenen Prüfungen waren bei Militärexperten aufgetaucht, als die Pershing-II-Raketen bei allen bisherigen Tests versagten. Auch an der dreimaligen Startverzögerung des Raumtransporters "Discovery soll ein fehlerhafter Chip von TI schuld gewesen sein.

Dieser Vorwurf stammt aus dem Mund von Donald Moore, der im Pentagon für die Qualitätskontrolle verantwortlich ist. Allerdings wird diese Anschuldigung von Texas Instruments bestritten. Das Unternehmen führt den Ausfall auf Fehler zurück, die auch bei Tests nicht feststellbar seien.

Trotzdem dürfte der Rüffel aus Washington bei TI wirtschaftliche Spuren hinterlassen. Dadurch könne sich der Verlust vom Vorjahr in Höhe von 145 Millionen Dollar in diesem Geschäftsjahr weiter erhöhen.

Beim Testen geschlampt

Entdeckt wurde das mangelhafte Testverfahren des texanischen Halbleitergiganten bei Probeläufen von IBM, die auch zu dem Abnehmerkreis von TI gehört. Achtzehn Jahre lang blieb "diese Schlamperei" unentdeckt, so ein Regierungssprecher, bis sie im Frühjahr dieses Jahres an die Regierung gemeldet würde.

"Vielleicht sahen Angestellte von TI", mutmaßt der Unterstaatssekretär im Verteidigungsamt für Forschung und Technik, Richard D. Delauer, "die Tests, die ihre Produktion durchlaufen mußten, als überzogen oder nicht notwendig an und beschlossen, sie abzuändern oder sogar aufzuheben.

Ein Typ von Mikroschaltkreis sollte beispielsweise dahingehend getestet werden, ob er mit 5,5 Volt betrieben werden könne, sei aber nur mit 5,25 Volt getestet worden. Die Frage von Journalisten, ob die Tests, die TI anstelle der geforderten durchführte, auch akzeptiert würden, beantwortete Delauer mit "Ja".

Diese Aussage widerspricht allerdings, so Richard Wittle von den Dallas Morning News, einer Erklärung, die ein paar Tage zuvor herausgegeben wurde. Darin hieß es, das Pentagon werde keine Produkte mehr akzeptieren, die unzureichend getestete TI-Mikroschaltkreise enthielten, bevor diese nicht erneut überprüft würden.

Bundeswehr sucht nach defekten Chips

Kurz danach erklärte das US-Verteidigungsministerium jedoch, daß inzwischen knapp die Hälfte der 4700 fraglichen Chip-Typen nach erneuten Testen als unbedenklich eingestuft worden seien. Die Überprüfung aller betroffenen Waffensysteme werde aber noch einige Wochen dauern.

Auch bei der Bundeswehr hat vor einigen Wochen dort eine umfangreiche Suchaktion begonnen, wo solche Bauteile verwendet wurden. In Frage kämen vor allem nachrichtendienstliche Systeme. Derzeit sei noch kein Versager der Schaltkreise in Waffensystemen bekanntgeworden, sagte ein Pressesprecher des Bundesverteidigungsministeriums.

Bis heute waren die TI-Offiziellen nicht in der Lage, zu erklären, warum die geforderten Tests nicht durchgeführt wurden. TI-Vizepräsident Norman P. Neureiter zeterte indes: "Wir sind von der presse verheizt worden." Aber nicht nur TI zeigte sich über die Berichterstattung in den amerikanischen Medien ungehalten. Auch Verteidigungsminister Caspar Weinberger habe darauf, so ein Sprecher des Pentagon, sehr verärgert reagiert. Er befürchtet, daß die Öffentlichkeit jetzt kein Vertrauen mehr in die Waffensysteme der USA haben könnte .

Nicht überrascht über die mangelhaften Testverfahren von TI zeigen sich dagegen die Chip-Hersteller selbst. So sagte ein Chip-Produzent gegenüber dem Wall Street Journal:" Je näher der Liefertermin kommt, desto weniger wird getestet. Das ist, eben das Risiko in unserem Geschäft".

Die Beanstandung des Pentagon ist der jüngste Fall in einer Serie von Klagen über fehlerhafte oder qualitativ unzureichende Lieferungen der Industrie an die Streitkräfte. Ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums gab zu, daß derzeit mehr als ein Dutzend Chip-Hersteller kontrolliert würden. Auch bei diesen hätten die Regierungsvertreter das Gefühl, daß sie sich nicht an die Vorschriften halten würden. Deswegen glauben Industriekenner, daß das Pentagon mit den Anschuldigungen gegen Texas Instruments ein Exempel statuieren wolle. Man hoffe, daß dann die anderen Unternehmen besser "spuren".

Nutznießer dieses Rückschlags für Texas Instruments könnte jetzt Mitbewerber National Semiconductor sein. Doch im Frühjahr dieses Jahres war das Unternehmen vom Pentagon dazu verdonnert worden, eine Schadensersatzzahlung in Höhe von 1,7 Millionen Dollar zu zahlen. Grund: National Semiconductor hatte schlecht verarbeitete Bauteile für Raketensysteme an das US-Verteidigungsministerium geliefert.