PC-basiertes Fuehrungs-Informationssystem bei der Victoria- Versicherung Transparenz bei Schadenzahlung

13.05.1994

Von Lothar Maeusel

Ein auf Basis eines Standard-Tools entwickeltes Fuehrungs- Informationssystem sorgt bei der Victoria-Versicherung in Duesseldorf jetzt fuer mehr Transparenz bei Schadenzahlungen in der Sparte Kraftfahrt. Die Anwender nutzen dabei an ihren PCs Grossrechnerdaten, die von den Datenbanken der Systeme DL1 und DB2 abgezogen werden. Lothar Maeusel* hat sich dort umgesehen.

Die Victoria ist ein klassischer Rundum-Versicherer, der seinen Kunden Produkte in allen Versicherungssparten fuer den privaten, gewerblichen und industriellen Bedarf anbietet. Zum Dienstleistungsspektrum des international taetigen Unternehmens gehoert auch die Kraftfahrt-Versicherung - ein unter anderem wegen der Autodiebstaehle in der gesamten Branche schwieriges Geschaeft. Die Schadenentwicklung in diesem Bereich ist besorgniserregend - wo die neuralgischen Punkte aber tatsaechlich liegen, ist schwer herauszufinden.

Mainframes genuegen den Anforderungen nicht

Um eine moeglichst hohe Transparenz der Entschaedigungsleistungen zu erhalten, sind die vorhandenen Datenbestaende nach Kriterien wie Schadenarten, Konzern- und Regionalstruktur, Vertriebswege und Zeitachse zu betrachten, was im DV-Zeitalter eigentlich als nicht besonders schwierig erscheint. Dass dies dennoch so sein kann, musste man bei der Victoria des oefteren erfahren. "Um die entsprechenden Informationen auf den Grossrechner-Datenbanksystemen DL1 und DB2 zusammenzufuehren, zu verdichten und auszuwerten, ist - je nach Anforderung - in der Regel ein eigenes Programm erforderlich. Es konnte zwar die Gesamtsumme der Schadenzahlungen ermittelt werden - und zwar spezifiziert nach den vier grossen Schadenarten (Personen-, Sachschaeden sowie Voll- und Teilkasko). Eine genaue Aufschluesselung oder gar eine individuelle Auswertung war jedoch schwierig", stellt Heinz-Peter Dickermann fest. Er ist seit ueber zehn Jahren bei der Victoria beschaeftigt und kennt diese Problematik auch aus dem Blickwinkel des Anwenders.

Es musste also ein System zur Anwendung kommen, mit dem Fuehrungskraefte moeglichst rasch einen Ueberblick ueber die kritischen Faktoren in diesem Spartensegment erhalten. Dass hier vorgefertigte, auf dem Markt erhaeltliche Applikationen nicht tauglich sein wuerden, war Dickermann, seit einem Jahr in der DV bei der Victoria taetig, klar.

Nach einer sechsmonatigen Evaluierungsphase, in der die Werkzeuge der groessten Anbieter verglichen wurden, entschied man sich fuer das SAS-System, mit dem man bereits im RZ-Berichtswesen erste Erfahrungen gesammelt hatte.

Die wichtigsten Kriterien waren ein einfacher Zugriff auf gaengige Datenbanksysteme (zum Beispiel DL1 und DB2) mittels Engines, eine komfortable Erstellung grafischer Oberflaechen sowie die Moeglichkeit, die Vorteile einer Client-Server-Architektur nutzen zu koennen. Unterstuetzt wurde die Entscheidung durch eine erfolgreiche Prototyp-Entwicklung.

"Wir haben zehn Tage unserer Phantasie freien Lauf gelassen und das Ergebnis dem Vorstand praesentiert, der von den Moeglichkeiten des Systems sehr angetan war", berichtet Dickermann.

Das Fuehrungs-Informationssystem sollte auf Windows-PCs lauffaehig und von Anwendern (Mitglieder des oberen Managements) zu bedienen sein, die sich nicht lange mit dem Studium von Handbuechern befassen wollen. Als Entwicklungsplattform war ein OS/2-Rechner vorgesehen. "Die Plattformunabhaengigkeit der Software, die bei der Betrachtung kein vorrangiges Auswahlkriterium war, sollte uns spaeter zugute kommen", meint Dickermann. Die Portierung einer Applikation auf eine andere Plattform, in diesem Falle Windows, dauere nur wenige Minuten. Die Datenbereitstellung und - aufbereitung sollte auf einem Host ablaufen, mit anschliessendem Download auf einen Server. Nachdem mit der Anforderung der Sparte Kraftfahrt ein fuer eine Pilot-Anwendung komplexes, aber dennoch klar abgrenzbares Anwendungsgebiet ausgemacht war, begannen Dickermann und zwei Mitarbeiter der DV mit der Entwicklung.

Der selbst gesteckte Zeitrahmen fuer das Vorhaben betrug drei Monate, wovon zwei Drittel allein auf die Datenaufbereitung entfielen. Problematisch war hierbei nicht das Datenvolumen der DL1- und DB2-Datenbanken oder der Zugriff mittels SAS-System, sondern "historisch gewachsene" Datenstrukturen, die eine Verknuepfung und Verdichtung erschwerten. Zur Tatsache, dass alle Entwickler der Victoria gerade die Grundlagenkurse absolviert hatten und sozusagen auf der gruenen Wiese anfingen, kam noch hinzu, dass die fachliche Vorgabe der Fachabteilung anfangs noch recht grob war und permanent verfeinert werden musste. Feststellungen anderer Anwender, wonach die Datenaufbereitung zirka 80 Prozent der gesamten Anwendungsentwicklung ausmacht, waren anfangs zwar noch in Zweifel gezogen worden, stellten sich jedoch als durchaus zutreffend heraus.

Die Entwicklung der Oberflaeche mit der 4GL des SAS-Systems nahm einen Monat in Anspruch. Die Moeglichkeiten der Objektorientierung wurden dabei jedoch noch nicht genutzt. "Wir werden diese in Zukunft sicherlich pruefen. Die Analyse kostet am Anfang allerdings viel Zeit, die wir fuer diese Anwendung einfach nichts hatten", ergaenzt Dickermann.

Mit der Maus zu den Details vordringen

Die intern mit dem Arbeitstitel "Ermitteln Zahlung" recht nuechtern beschriebene Loesung ist nun schon einige Monate im Einsatz. Die Aufbereitung und Verdichtung der Daten auf dem Host und Download auf den Server im Novell-Netz erfolgen monatlich. Das fuer den Zeitraum Januar bis Oktober 1993 angefallene Datenvolumen im Netzwerk betraegt 50 MB. Auf Basis dieser Informationen kann der Benutzer, der am Bildschirm ausschliesslich mit der Maus agiert, nun alle gewuenschten Verknuepfungen und Verdichtungen herstellen. Er waehlt dabei zwischen einer Aufschluesselung nach Gesellschaft, Schadenabteilung und Sachbearbeiter oder Geschaeftsstelle und Agentur.

Als Einstiegsbild praesentiert sich dem Anwender immer der Gesamtkonzern. Von hier aus sind nach der sogenannten "Drill-Down- Methode" Detailauswertungen moeglich. Das Handling des Systems ist dabei denkbar einfach gestaltet. "Wir haben Wert darauf gelegt, die grafische Benutzeroberflaeche so schlicht wie moeglich auszulegen. Im Extremfall sind wir davon ausgegangen, dass der Benutzer seinen Rechner einschalten kann und weiss, dass etwas passiert, wenn er mit der Maus auf einen Knopf oder ein Icon klickt. Wir haben den Anwendern gesagt, dass sie auf alles klicken koennen, was wie ein Knopf aussieht oder nicht schwarz dargestellt ist. Farbe haben wir sehr sparsam eingesetzt", erlaeutert Dickermann.

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Executive Information System (EIS) sollen in die Konzeption eines unternehmensweiten Informations-, Planungs- und Steuerungssystems einfliessen. Zuvor will man bei der Victoria jedoch noch weitere Teilprojekte mit dem Anwendungs-Entwicklungssystem verwirklichen: ein Statistik-System fuer den Personalbereich sowie ein System zur Bestandsanalyse im Sachbereich.