Thema der Woche

Outsourcing: Mehr als nur eine Sparmaßnahme

28.02.1997

Outsourcing ist out. Anfang dieses Jahrzehnts noch ein echtes Modewort, wäre der Begriff fast zum "Unwort" des vergangenen Jahres gekürt worden. Der Hautgout, den er ausdünstet, rührt zum einen daher, daß Outsourcing lediglich als Thema für unrentable Firmen gilt. Vereinfacht dargestellt gehe es darum, so die landläufige Ansicht, teure Mitarbeiter loszuwerden und dazu noch Ablöse für veraltete Mainframes zu kassieren.

Zum anderen wird die Entscheidung für eine Auslagerung der Informationsverarbeitung immer noch als Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit betrachtet, schlimmstenfalls sogar als ein Abwälzen von Verantwortung. Die Erkenntnis, daß Outsourcing Teil einer IT-Strategie sein könnte, setzt sich hierzulande nur schleppend durch.

Dabei stellte das Marktforschungsunternehmen Gartner Group schon vor fast einem Jahr fest, daß finanzielle Erwägungen nur für einen kleinen Teil der Outsourcing-Kunden im Vordergrund stehen. Von den Anwendern, die innerhalb der vergangenen zwei Jahre einen Outsourcing-Vertrag abgeschlossen hatten, gaben lediglich 27 Prozent an, sie hätten es hauptsächlich deshalb getan, um IT-Aufwendungen zu sparen.

Allerdings ist der Kostenaspekt in anderen Begründungen oft latent vorhanden. So impliziert das von jedem vierten Unternehmen genannte Motiv, beim Outsourcing-Anbieter erfahrenes Personal vorzufinden, einen Mangel an qualifizierten Mitarbeitern, der sich mit entsprechenden Investitionen beheben ließe.

Immerhin elf Prozent der Befragten erhofften sich vom externen Dienstleister Hilfe beim Betrieb ihrer Altanwendungen. Weitere sieben Prozent wollten sich den Übergang zu Client-Server-Systemen ebnen lassen (siehe obenstehende Grafik).

Die operationalen Altanwendungen auszulagern ist eine Entscheidung, die auf den ersten Blick ausgesprochen sinnvoll erscheint. Professionelle Marktbeobachter wie die Meta Group und die Input Ltd. bezeichnen das reine Mainframe-Outsourcing inzwischen jedoch als überholt.

Als Begründung führen die Analysten die auch von der Gartner Group verkündete Renaissance des Großrechners an. Aufgrund seiner schnellen internen Verbindungen und des relativ simplen System-Managements diene das schwere Eisen zunehmend wieder als Plattform für strategische Applikationen - mithin für Anwendungen, die der Kunde lieber selbst unter Kontrolle habe. In den USA gibt es, so die Meta Group, bereits erste Fälle von Insourcing: Einige Unternehmen seien damit beschäftigt, Teile ihrer ausgelagerten DV-Funktionen zurück ins Unternehmen zu holen.

Ob das Mainframe-Outsourcing sinnvoll ist, hängt allerdings vom jeweiligen Kunden und seinen Zielen ab. Ein Unternehmen, für das die Ablösung der Großrechner-DV beschlossene Sache ist, kann hier - im Rahmen seiner Migrationsstrategie - eine Alternative zur Doppelbelastung des eigenen Personals finden (siehe Kasten "Mainframe-Outsourcing").

Eines der hierzulande ziemlich raren Beispiele für diese Art der DV-Auslagerung - im Anbieterjargon "Transitional Outsourcing" genannt - stellt die Adidas AG in Herzogenaurach dar. Als der heute extrem erfolgreiche Sportartikelhersteller 1994 entschied, seine DV außer Haus zu geben, befand er sich in einer prekären Lage: Seine Marktanteile schwanden, und die Batch-orientierte Informationsverarbeitung bot schlechte Voraussetzungen für eine bessere Abstimmung zwischen den Bereichen Produktion, Vertrieb und Marketing.

Das Unternehmen ging in die Offensive, faßte den Entschluß, von der Mainframe-zentrierten auf eine Client-Server-basierte IT-Landschaft umzusteigen. Aufgrund der beschränkten Ressourcen - für zusätzliche Mitarbeiter gab es kein Budget - drohte diese Umstellung jedoch, zu Lasten des Tagesgeschäfts zu gehen.

Aus dieser Zwickmühle befreite sich Adidas, indem es den Betrieb der Mainframe-Anwendungen mitsamt einem Drittel des IT-Personals aus der Hand gab - an die Sema Group Outsourcing GmbH, Hamburg. Durch die organisatorische Trennung von Mainframe- und Client-Server-Welt schuf sich das Unternehmen Freiräume für die Entwicklung neuer Client-Server-Anwendungen.

Mittlerweile sind die meisten Applikationen auf die dezentrale Architektur umgestellt. Nur noch drei Anwendungen laufen auf dem Mainframe. Der ursprünglich auf zwei Jahre befristete Vertrag mit der Sema Group wurde jedoch bereits verlängert. Das hat seinen Grund vor allem darin, daß der Umstieg doch nicht so schnell vonstatten ging wie geplant.

Ein wenig liegt es vielleicht aber auch daran, daß sich der Dienstleister darum bemüht, die neuen Anwendungen ebenfalls zu übernehmen - zumindest teilweise. Nach den Erfahrungen der Meta Group ist diese Haltung symptomatisch. Wie Andreas Pestinger, als Research Director für den Bereich IT-Services verantwortlich, erläutert, gibt es bislang keine Beispiele für ein befristetes Outsourcing, weil die Anbieter dazu tendieren, immer mehr Teile der Kunden-DV in die Verträge einzubeziehen. Die Klientel sei damit zufrieden, solange der Dienstleister die Effektivität seines Service unter Beweis stellen könne.

Im Fall Adidas beißt die Sema Group jedoch bislang auf Granit. Die Drei-Streifen-Company erwägt derzeit lediglich die Möglichkeit, die operativen Funktionen des Client-Server-Systems, beispielsweise das Backup und das Netz-Monitoring, einem Dienstleister anzuvertrauen. Ob die Sema Group diesen Service erbringen könne, sei noch nicht sicher.

Im Idealfall endet der Vertrag für ein Transitional Outsourcing mit der Implementierung der neuen Systeme. Da dieser Abnabelungsprozeß bei Adidas bislang nicht vollzogen ist, kann der Fall auch nicht als Prototyp für diese Art der zeitlich begrenzten DV-Auslagerung dienen. Immerhin ist er ein Beispiel dafür, wie sich Outsourcing als Hilfestellung für den Umstieg auf neue IT-Architekturen nutzen läßt.

Daß sich hier ein Trend abzuzeichnen beginnt, hat seine Ursache vor allem darin, daß der SAP-Boom mittlerweile auch die kleineren und mittleren Anwenderunternehmen erfaßt. Nur wenige von ihnen können auf Personal zurückgreifen, das genügend Fachkenntnisse in bezug auf die R/3-Software des größten deutschen Softwarehauses besitzt.

Hat ein Betrieb aber erst einmal entschieden, das Know-how extern einzukaufen, so ist der erste Schritt auf dem Weg zum Outsourcing bereits getan. Heute offerieren die Dienstleistungsanbieter nicht nur den Betrieb der SAP-Software, sondern bereits die Migration auf die R/3-Pakete mitsamt der Hardware-Umstellung.

Auf dem Gebiet des SAP-Outsourcing ist auch die Informationssysteme Beratungs- und Betriebsgesellschaft mbH (IBB) tätig. Die in Schweinfurt ansässige Tochter der IBM GmbH, Stuttgart, ist ein Ergebnis des spektakulärsten Falls von Transitional Outsourcing in Deutschland. Sie entstand 1993 als Buyout aus der FAG Kugelfischer AG, Schweinfurt, die damals erheblich ins Trudeln geraten war und sich gezwungen sah, Teile des Unternehmens abzustoßen. Die rund 250 DV-Mitarbeiter des Automobilzulieferers wechselten geschlossen zur IBM - mit der Maßgabe, zunächst die Informationstechnik ihres alten Arbeitgebers auf SAP-Software umzurüsten.

Laut Gerhard Öhring, ehemals DV-Chef bei Kugelfischer und heute Geschäftsführer der IBM-Tochter, war dieser Schritt unumgänglich. Das Anwenderunternehmen hatte erhebliche Schulden, und die besten Mitarbeiter der IT-Abteilung befanden sich bereits kurz vor dem Absprung.

Heute, nachdem die DV-Umstellung abgeschlossen ist, macht die IBB, so Öhring, zwei Fünftel ihres Umsatzes mit Fremdkunden. Dazu benötigt der Dienstleister nur 50 Mitarbeiter mehr, als er bei seiner Gründung hatte. Hier greift das Gesetz der Economies of Scale, das auch der Sema Group erlaubt, mit den von Adidas erworbenen Assets eine Reihe von weiteren Outsourcing-Kunden zu bedienen.

Anders als bei Kugelfischer war es bei dem in Koblenz beheimateten Mittelrhein-Verlag kein aktueller Kostendruck, sondern schlicht der Mangel an R/3-erfahrenem Personal, der die Entscheidung zum Outsourcing begünstigte. Den Auftrag zum Migrations-Management und zum Betrieb der SAP-Software erteilte das Unternehmen der CSC-Ploenzke AG, Kiedrich.

Der Verlag hat mit dem Dienstleister zwei separate Verträge geschlossen: Der eine bezieht sich auf das Outsourcing der BS2000-Umgebung, der andere betrifft die Einführung von R/3. Das "Kerngeschäft" - sprich: die wettbewerbsentscheidenden Anwendungen in den produktions- und vertriebsnahen Bereichen - fährt das Unternehmen aber lieber unter der Regie einer eigenen IT- und Org.-Abteilung.

Der Unterschied zwischen der Adidas-Strategie und der Vorgehensweise des Mittelrhein-Verlags besteht darin, daß dieser seine Outsourcing-Entscheidung quasi als endgültig betrachtet. Der Vertrag mit CSC-Ploenzke sieht eine Laufdauer von zehn Jahren vor. Zudem übernahm der Dienstleister den größten Teil der IT-Mitarbeiter. Trotzdem beteuert DV-Leiter Siegmund Radke, er habe sich die Möglichkeit offengehalten, aus dem Vertrag auszusteigen, wenn er es für notwendig halte. Wie er diese Option im Zweifelsfall einlösen will, verrät er allerdings nicht.

Tatsächlich ist der Outsourcing-Weg in den meisten Fällen eine Einbahnstraße. Schließlich wäre die Entscheidung zum Insourcing gleichbedeutend mit einem Neuaufbau der eigenen DV. Deshalb werden die meisten Outsourcing-Verträge nach Ablauf verlängert. Selbst der Wechsel von einem Anbieter zu einem anderen ist eigentlich nur bei einem partiellen Outsourcing möglich, wie es beispielsweise die Porsche AG im CAD-Bereich praktiziert hat (siehe das Interview auf dieser Seite).

Für Ulrich Bos, den ehemaligen IT-Chef der Frankfurter Hoechst AG und heutigen Geschäftsführer der Hoechst Information Services GmbH (Hiserv), spricht ein weiterer Aspekt gegen die generelle Auslagerung der DV-Funktionen. Der Chemiegiant habe das Thema hauptsächlich deshalb verworfen, weil er sich das firmenspezifische Know-how seiner Mitarbieter sichern wollte. Einem Cobol-Programmierer eine moderne Entwicklungssprache beizubringen sei einfacher, als einen Außenstehenden in die Hoechst-internen Abläufe einzuweihen.

Im Rahmen der konzernweiten Dezentralisierungsstrategie lagert Hoechst seine Informationstechnik dennoch aus. Die DV-Dienstleistungen für alle Hoechst-Betriebe werden heute von der Hiserv als eigenständiger Tochtergesellschaft erbracht.

Die Furcht vor dem Verlust des fachlichen Gewußt-wie geht in Deutschland einher mit dem Bemühen, die Kontrolle über die eigene Informationstechnik zu behalten. Sie spiegelt sich unter anderem in den zahlreichen Joint-ventures wider, wie sie beispielsweise die Debis Systemhaus GmbH mit ihren Kunden gründet. Die Anwender hoffen, wenn sie zumindest 51 Prozent ihrer IT-Abteilungen ihr eigen nennen können, das Szepter in der Hand zu behalten.

Eine Unternehmensleitung, die DV-mäßig auf dem Stand der Technik bleiben möchte, aber vor dem Gedanken an eine generelle Auslagerung der IT zurückschreckt, ist möglicherweise die perfekte Zielgruppe für ein Angebot, das die Outsourcing-Unternehmen gerade erst wiederentdecken: die Übernahme kompletter Geschäftsprozesse (Business Process Outsourcing).

Nach dem Vorbild der guten alten Datev offerieren die Dienstleister den Kunden die vollständige Unterstützung für Geschäftsvorgänge mit einem hohen Anteil an Informationstechnik, beispielsweise für das Buchungswesen oder die Wertpapierverwaltung. Als spektakulärer Einzelfall bekanntgeworden ist das "Knöllchen"-Management, das EDS für die Verwaltung der spanischen Stadt Sevilla leistet. Diese Art von Outsourcing-Abkommen taugt aber lediglich für Unternehmen, die nicht nur wissen, wohin sie mit ihrer Informationstechnik wollen, sondern bereits ein gutes Stück auf diesem Weg zurückgelegt haben.

Mainframe-Outsourcing

Die Auslagerung der operativen Mainframe-Anwendungen gilt bis dato als sinnvolle Form des Outsourcing. Nach Ansicht der Gartner Group ist sie aber ein zweischneidiges Schwert. Bevor ein Unternehmen eine solche Entscheidung trifft, sollte es sich, so die Analysten, drei Fragen stellen:

- Werden wir weiterhin in den Mainframe investieren?

- Wird es neue Anwendungen geben, die auf dem Mainframe laufen?

- Werden wir in drei bis fünf Jahren immer noch eine Mainframe-Umgebung haben?

Diese Fragen dienen dazu, herauszufinden, welche Bedeutung der Großrechner langfristig für das Unternehmen haben wird. Falls die Antwort in einem oder mehreren Fällen positiv ausfällt, könnte der Main- frame neue, geschäftsentscheidende Applikationen auf sich ziehen. In diesem Fall steht das Outsourcing für den Zwang, Kompromisse in bezug auf mögliche Geschäftsvorteile einzugehen.

Bei einem eindeutigen "Nein" auf alle drei Fragen ist das Schicksal des Großrechners quasi besiegelt. Er bietet nicht mehr länger eine strategische Plattform für die Systementwicklung, sondern fungiert nur noch als notwendiges Werkzeug. In diesem Licht betrachtet, wird er zum Outsourcing-Kandidaten par excellence.

Drei Möglichkeiten

Für Gehard Schempp, Leiter Outsourcing bei CSC-Ploenzke, gibt es drei verschiedene Varianten des Transitional Outsourcing. Im Einklang mit der Gartner Group unterscheidet er zwischen folgenden Konstellationen:

1. Der Serviceanbieter übernimmt die "Altlasten", der Anwender die Neuentwicklung.

2. Die Mainframe-Anwendungen bleiben beim Kunden, der Dienstleister widmet sich den künftigen Applikationen.

3. Der Outsourcing-Anbieter sorgt für das eine wie das andere.

"Uns ist die Komplettlösung am liebsten", bekennt Schempp. Die Analysten der Gartner Group hingegen empfehlen die erste Variante als das Modell mit den größten Erfolgsaussichten.