Über die Kunst, Ideen zu finden

Open Innovation

11.07.2014
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Hermes will Pakete aufblasen

Der Paketzusteller Hermes bat die Ideengeber: "Entwerfen Sie für uns die Dienstleistung der Zukunft." 5000 Euro gingen an den Gewinner, der vorschlug, auf Kundenwunsch Sendungen einzulagern und zeitversetzt zuzustellen. Gegen Aufpreis packt der Dienstleister Lieferungen in sein Lager, um sie dann so auszuliefern, dass sie exakt zum richtigen Zeitpunkt beim Adressaten sind. Über ein Portal kann der Versender Lieferdatum und Empfangsadresse nach Bedarf anpassen. Was banal klinge, könne viele Vorteile haben: Warum zum Beispiel nicht schon im August die Spielekonsole für den Neffen im Ausland bestellen und einlagern, wenn sie doch zum Weihnachtsfest höchstwahrscheinlich vergriffen ist?

In einem zweiten Vorschlag ging es um "aufblasbare Verpackungen": In den Paketstationen könne Kunden angeboten werden, leichtere Päckchen in sogenannten Air Packages zu transportieren, die eine zusätzliche Umverpackung durch Kartonagen überflüssig machen. Dank normierter Größe und sicherem Aufprallschutz ließen sich die Transportbedingungen vereinfachen und die Kosten reduzieren.

Im Falle des Paketversenders Hermes wurden folgende Kriterien für die Bewertung der Ideen angelegt:

  • Neuartigkeit,

  • Kundenmehrwert,

  • Marktdurchdringung,

  • wirtschaftliches Potenzial,

  • Umsetzbarkeit,

  • Nachhaltigkeit.

Die Jurymitglieder in diesem Fall kamen von der Hermes Logistik Gruppe Deutschland (CEO sowie Bereichsleiter Yield Management & Strategie), der Otto Group (Bereichsleiterin Corporate Strategy & Development sowie Direktor Kundenservice & Logistik) und dem Institute for Transformation in Business and Society der European Business School.

Evonik lässt die Städte leuchten

"Degaroute" ist ein seit mehr als 50 Jahren ständig weiterentwickeltes Material von Evonik, das für die Herstellung von Fahrbahnmarkierungen verwendet wird. Das Unternehmen suchte nach Ideen für neue Anwendungsfälle und Funktionen, an die noch niemand gedacht hatte. Ein Beitrag schlug vor, das Material mit einem phosphoreszierenden Effekt auszustatten, so dass es nach Sonnenuntergang noch eine Weile weiterleuchtet. Auf diese Weise ließe sich die Sicherheit im Straßenverkehr erhöhen und der Elektrizitätsverbrauch im öffentlichen Bereich senken. Dabei sei eine Anbringung dieses Stoffgemischs nicht nur auf Straßen, sondern auch auf Gehwegen oder vertikalen Flächen wie Garagentoren, Fassaden, Schallschutzwänden etc. denkbar. Evonik prämierte den Vorschlag mit 5000 Euro.

Balkons und Fassaden

Carbon-Beton ("Carbocrete") ist ein hochsolider Verbundwerkstoff, den SGL Carbon entwickelt hat. Das Unternehmen sammelte Ideen, welche Produkte aus Carbocrete sinnvoll sein könnten - und bekam 293 Antworten. Der Gewinner schlug vor, mit dem stabilen, leichten und gut zu verarbeitenden Material die Balkone und Fassaden in den städtischen Betonwüsten modern und filigran zu gestalten. Architekten und Ingenieure könnten ganze Gebäudehüllen entwerfen und dabei von Anfang an neue Formen der Bepflanzung und der Balkonnutzung berücksichtigen. Erste Entwürfe zeigten dem Unternehmen, wie eine solche Carbon-Großstadt aussehen könnte. Küstenschutz-Anker, Fahrradständer, Sockel für den Bau von Offshore-Windanlagen - die Ideen zur Verwendung von Carbonbeton sind vielfältig und oft naheliegend.

Ariane Derks, Geschäftsführerin der Land der Ideen Management GmbH, berichtete auf der Berliner Messe "Tools 2014" über ihre Erfahrungen mit der Open-Innovation-Initiative. Demnach lässt sich der Ansatz, an dem sich ihren Ausführungen zufolge von Beginn an Teilnehmer aus aller Welt beteiligten, für folgende Handlungsfelder nutzen:

  • Neue Ideen zu Produkten sowie Anwendungsbeispiele für bestehende Produkte und Materialien;

  • Vorschläge zum Erschließen neuer Kundengruppen sowie zum Binden des vorhandenen Kundenstamms;

  • Marktentwicklungen nachvollziehen, künftige Marktchancen frühzeitig erkennen;

  • interne Strukturen verbessern, sich als interessanter Arbeitgeber positionieren.

"Wichtig ist, dass die Unternehmen voll dahinterstehen", sagte Derks. Sie müssten - angeführt von den Geschäftsleitungen - finanzielle, personelle und technische Ressourcen bereitstellen und dabei die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung einbinden. Sonst entstehe das "Not-invented-here-Syndrom". Zudem gelte es, die richtigen Communities zu finden und zu einer Teilnahme zu ermuntern. Dazu sei Werbung über verschiedene Kommunikationsplattformen hinweg wirksam.

Matthias Wendt, Geschäftsführer der inno-focus Businessconsulting, ergänzte, dass für den Ideenwettbewerb auch transparent sein müsse, wer in der Jury sitzt und nach welchen Kriterien diese die eingereichten Projekte bewertet. Ferner sei eine Plattform wichtig, auf der sich die Unternehmen darstellen und ihre Problemlage individuell zum Ausdruck bringen könnten. Diese Plattform müsse offen für alle sein - doch es gebe auch Ausnahmen. Seien Fragen des geistigen Eigentums unmittelbar betroffen, könne Vertraulichkeit beziehungsweise die Öffnung nur für einen ganz bestimmten Teilnehmerkreis sinnvoll sein.