Im Mittelstand ist die DV vor allem ein Kostenfaktor

Ohne den Einsatz von Standardsoftware sind mittlere Unternehmen nicht konkurrenzfähig

13.07.1990

Mittelständische Unternehmen, die oft zitierten Konjunkturträger der deutschen Wirtschaft, verhalten sich in DV-Angelegenheiten meistens konservativ. Informationsverarbeitung sehen viele als reines Verwaltungsinstrument, bei der Budgetierung darf geknausert werden. Auf Standardsoftware wird reichlich zurückgegriffen - allerdings in erster Linie aus ökonomischen Gründen: Die DV-Investitionen sollen niedrig und vor allem kalkulierbar bleiben. Mit den notwendigen Sofhvare-Anpassungen betrauen diese Betriebe fast immer Beratungsunternehmen und Softwarehäuser, weil es ihnen selbst an DV-technischem Know-how und vor allem an Kapital für die nötige Manpower fehlt.

Eigentlich müßten die Führungskräfte in den Unternehmen erst einmal eine Schulung besuchen, um dahinter zu kommen, was Datenverarbeitung Oberhaupt ist", urteilt der DV-Sachverständige Werner Walter aus Pforzheim. Als Berater mittelständischer Unternehmen kennt er die Bedürfnisse und Nöte seiner Kunden sehr genau. "Wie viele Unternehmen gibt es, die sich vorfahren für viel Geld ein Programmpaket aufs Auge drucken ließen, nur weil es hieß: Das ist eine bewährte Branchenlösung, die bereits 70mal erfolgreich installiert worden ist!'"

Solche Pakete werden den ratlosen mittelständischen Anwendern nicht selten von branchenspezifischen Dachverbänden und -organisationen als "Quasi-Standards" aufgedrängt. DV-Berater Walter geht davon aus, daß bis zu 30 Prozent der Verbandsmitglieder mitziehen und die oftmals exklusiv für einen Verband zusammengestellten Pakete installieren. Noch heute, so beobachtet Walter, werden diese veralteten Lösungen immer wieder nachgebessert und eingesetzt. Den gegenwärtigen Softwarestandards aber entsprechen sie in keiner Weise mehr.

Datenverarbeitung wird von diesen mittelständischen Anwendern zumeist als eine Art "notwendiges Übel" empfunden. Das Personal ist knapp und die DV wird zumeist "stiefmütterlich behandelt", das muß auch Programmierer Thomas Hammer von der Nemectron GmbH in Karlsruhe einräumen. An die Möglichkeit, auf DV-technischem Wege die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens zu steigern, glauben offensichtlich nur wenige mittelständische Unternehmer.

Mittelständler verkennen oft den Nutzen der EDV

Entscheidungen hängen in diesen Betrieben traditionell von der Frage nach einem konkret meßbaren Nutzen ab - der aber wird nach Einschätzung des Beraters in den meisten Fällen nicht gesehen. Die Unternehmer wollen handfeste Ergebnisse sehen, zum Beispiel die Einsparung von Personal, oder - noch besser - in Form von klingender Münze. Eine langfristige strategische Unternehmensplanung, in der die Datenverarbeitung eine tragende Rolle spielt, können sich bis dato nur wenige vorstellen. Ein solches Konzept aber entscheidet nach Ansicht vieler Branchenkenner über die zukünftige Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen: "Die langfristige DV-Entwicklung geht dahin, daß die traditionelle Software, mit der bisher reine Fachprobleme gelöst wurden, durch strategische Produkte ersetzt wird", so die Prognose von DV-Berater Walter. Seiner Ansicht nach wird unter anderem die DV-technische Optimierung des Marketings in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen.

Dann stehen, so die Vision des Beraters, moderne Informationssysteme im Vordergrund, mit denen "Anbieter umgehend an Informationen herankommen und mit denen sie schneller am Markt sind". Datenbanksysteme spielen in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle.

Auch organisatorisch muß sich nach Einschätzung des Beraters einiges ändern. Die wenigen DV-Projekte in mittelständischen Unternehmen, die schon heute erfolgreich laufen, sind laut Walter vor allem durch ein Charakteristikum gekennzeichnet: Verantwortlich ist eine Person, die nicht nur die DV, sondern die gesamte Unternehmensstruktur überblickt. "Das ist allerdings nicht oft der Fall, zumal in der mittelständischen Wirtschaft meistens noch ein relativ autoritärer Führungsstil vorherrscht."

Diese moderne Konzeption, in vielen Großunternehmen schon längst eine Selbstverständlichkeit, findet sich in mittleren Betrieben bisher nur vereinzelt. Ein Beispiel ist die VwA Flußspat Chemie in Stulln: "An der reinen Massenabfertigung von Daten haben wir kein Interesse mehr", betont Reinhard Pöhlmann, Leiter der Abteilung Organisation und DV. Sein Unternehmen habe im Hard- und Softwarebereich die "alten Zöpfe abgeschnitten" und mit einer Reihe von Standardsoftware-Lösungen und einer modernisierten Organisation noch einmal von vorne angefangen.

"Für unser Unternehmen war es außerordentlich wichtig, ein Ziel vor Augen zu haben, das von allen, einschließlich der Geschäftsleitung, verstanden und unterstützt wird", erläutert der DV-Experte. Pöhlmann bezeichnet sich selbst als die "Projektsteuerungs-Instanz" oder auch den Koordinator, der den Prokektverantwortlichen in leitender Funktion beigeordnet ist.

Anbieter bevorzugen den unmündigen Kunden

Die Erfahrungen, die der Organisator mit Software-Anbietern gemacht hat, zeigen, daß nicht der erfahrene, sondern der "unmündige Anwender" bei vielen Softwarehäusern ein gern gesehener Kunde ist. Pöhlmann hatte, zunächst mit Unterstützung einer Unternehmensberatung, ein Soll-Konzept entwickelt und anschließend ein Pflichtenheft angelegt, in dem die Anforderungen an die künftige DV-Umgebung genauestens aufgeführt waren.

In der sogenannten "Erfüllungsspalte" sollten die Anbieter eintragen, inwieweit sie den Anforderungen entsprechen konnten und wollten. Gerade bei den großen Herstellern erlebte der akribisch vorgehende DV-Koordinator nach eigenem Bekunden sein "blaues Wunder". "Einige Firmen waren aufgrund des Aufwandes gar nicht erst bereit, das Pflichtenheft auszufüllen. Andere haben es nur überflogen."

Die ungewöhnlich konsequente Vorgehensweise des DV-Verantwortlichen empfanden die meisten Herstellern offensichtlich als unbequem. "Normalerweise", so beschreibt Marketing-Experte Michael Richter von der Universität Gießen, "sind mittelständische Kunden in der Pre-Sales-Phase unerfahren." Die Käufer seien "Generalisten", denen es in erster Linie um Support, Service und Einarbeitung gehe.

Verlangen diese Kunden beim DV-Einstieg vor allem nach "bewährter Technik" und branchenspezifischen Komplettlösungen, so steigen ihre Ansprüche schon bald. Nach relativ kurzer Zeit der DV-Einarbeitung sind bereits spezifische Systemkomponenten und Software-Erweiterungen gefragt. Ein Unternehmen wie IBM, das nach Ausführungen Richters gerade mit unerfahrenen Erstanwendern jahrelang gute Geschäft gemacht hat, laufe heute in der "Post-Sales-Phase" Gefahr, diese Kunden wieder an Mitbewerber zu verlieren.

Allerdings bringen nur wenige mittelständische Unternehmen die finanziellen Voraussetzungen mit, um so tief in die DV-Materie einzusteigen. Nach wie vor halten typische mittlere Unternehmen die DV-Abteilung so klein wie möglich. Softwarestandards werden auch deshalb eingesetzt, um den Entwicklungsaufwand einzuschränken. "Wir haben 90 Prozent Standardsoftware und zehn Prozent Eigenentwicklungen im Einsatz", bestätigt Wolfgang Kohler, DV-Leiter bei der Fahrzeugbau Haller GmbH, Stuttgart.

Die kleine DV-Abteilung ist ausschließlich damit befaßt, die Standardsoftware zu betreuen. Bei größeren Anpassungen greift das Unternehmen auf Beratung und Personal eines auswertigen Consulting-Unternehmens zurück. Kohler weiß: "Die Programme, mit denen wir arbeiten, benutzen auch die meisten anderen." Seiner Ansicht nach darf man den Einfluß der Informationstechnologie auf die Konkurrenzfähigkeit eines mittleren Unternehmens nicht zu hoch einschätzen.

Wie eine Studie des Münchner Marktforschungs-Unternehmens Infratest Industria zeigt, ist die Fahrzeugbau Haller GmbH durchaus keine Ausnahme. Zwei Drittel der mittleren Anwenderbetriebe, die Minicomputer einsetzen und zwischen zehn und 200 Mitarbeiter beschäftigen, haben keine interne Software-Entwicklungskapazität. Das macht sie von der Standardsoftware unabhängig.

Das Verlassen dieser Standardumgebungen bedeutet für die meisten mittleren Betriebe unkalkulierbare Entwicklungskosten und Abhängigkeit von auswertigen Beratern. "Nach Möglichkeit wollen wir den Rahmen der Standardsoftware nicht verlassen", stellt daher auch DV-Koordinator Pöhlmann fest. Die VAW Flußspat Chemie leitet daraus drei Strategien ab: Eigenentwicklungen dort, wo der Markt keine Produkte bietet, sonst Standardsoftware und die Erweiterung von Standards.

Für Pöhlmann ist das wichtigste Kriterium für eine brauchbare Standardsoftware deren Flexibilität. "Wir verwenden nur tabellengesteuerte Software. Daten, die oft geändert werden müssen, sind bei diesen Produkten in Tabellen ausgelagert und damit einfach zu handhaben" erklärt der DV-Mann.

Der Preis, den der DV-Chef für seine Standardumgebung zahlt, ist hoch: "Uns ist klar, daß wir mit unserem Software-Anbieter verheiratet sind." Trotzdem habe sich sein Unternehmen dafür entschieden, alle Pakete von einem Hersteller zu beziehen, weil die Kompatibilität zwischen den Anwendungen zu wichtig sei. Die Hauptsache, ist, so Pöhlmann, daß der Vertrag stimmt. Und da hat sein Unternehmen immerhin die Auslieferung des Source-Codes für sämtliche Standards durchgesetzt, so daß bei der Erweiterung der Software kaum Probleme entstehen können.