"Offene Systeme sind ein Faktor von Machtpolitik"

02.03.1990

Ein großer Teil der DV-Anwender betreibt seine Maschinen auf der Basis von Leasingkontrakten. Der Leasingmarkt ist im wesentlichen ein Mainframemarkt, und dieser wird von der IBM nahezu monopolisiert. Demzufolge sind sowohl die Leasingkunden als auch die Anbieter sehr stark davon abhängig, wie sich Big Blue als Hardwarehersteller und Leasingunternehmen verhält. Auf der Jahrestagung des europäischen Leasing-Dachverbandes ECLAT in London sprach der Präsident der deutschen ECLAT-Sektion, Dr. Klaus Messelhäußer, mit CW-Redakteur Heinrich Seeger über das Leasinggeschäft.

CW: Weiche Chancen und Risiken resultieren für die Leasingnehmer aus den unterschiedlichen Vertragsformen, und welche würden sie grundsätzlich empfehlen?

Messelhäußer: Der Zeit würde ich ein Full-pay-out, also ein Financial-lease mit Vollamortisation, empfehlen, weil die Nutzungsdauer der jeweiligen Maschinen länger ist, als man eigentlich erwartet hat. Getrieben durch die IBM-Technologiepolitik war es früher so, daß Maschinen nach zwei bis drei Jahren ganz ausgetauscht werden mußten.

Die IBM hat heute im Bereich 3090 und auch 4381 eine Upgrade-Strategie: Die Basismaschine wird im Feld aufgerüstet, also leistungsmäßig verbessert; dadurch bleiben die Rechner länger stehen. In der Konsequenz läuft das auf ein Shortterm-lease, also ein Operational-lease mit kurzer Mietdauer und Restwertübernahme durch den Leasinggeber, hinaus. Der Kunde glaubt nämlich nicht, daß nach Ablauf von zwei Jahren ein System genügend Geld bringt, um den Restwert abzudecken. In so einer Situationen muß der Leasingvertrag verlängert werden. Das aber ist für den Anwender teurer als ein Full-pay-out.

CW: Welchen Vorteil können unabhängige Leasinggesellschaften den Kunden bieten im Vergleich zum IBM-Leasing?

Messelhäußer: Wir bieten Flexibilität. Das heißt, daß wir unseren Kunden alle Möglichkeiten während der Leasingdauer offerieren. Wenn wir eine Maschine hingestellt haben, die in dieser Zeit umgerüstet, aufgerüstet oder erweitert werden muß mit Memory, Features und ähnlichem, kann unser Kunde entscheiden, woher er diese Umrüstung bezieht. Hat er ein IBM-lease, ist die Entscheidung eigentlich klar: Er kriegt von IBM neue Geräte zum Listenpreis.

CW. Das widerspricht doch IBMs Politik der kundenindividuellen Vertragsgestaltung, KIV genannt. Wenn der Kunde Listenpreise zahlen muß, hat das nichts mehr mit KIV zu tun.

Messelhäußer: Während der Leasingdauer ist es nichts mehr mit KIV, weil die IBM schließlich kein Geld verschenkt. Wenn sie also bei den Leasingraten billig ist, muß sie das Geld, das sie dabei verliert oder nicht einnimmt, über die Upgrades wieder hereinholen.

CW: Meinen Sie, daß die IBM nur daran interessiert ist, das Leasinggeschäft selbst profitabel zu halten, oder versucht sie vielmehr, über Leasing mehr Marktkontrolle auf Kosten der unabhängigen Anbieter zu erlangen?

Messelhäußer: Sicherlich trifft beides zu. Die IBM Möchte zum einen wieder ein Leasing-Portfolio haben, das sie durch das Ende des Mietsystems aufgegeben hatte. Ein Portfolio zu haben bedeutet permanente Einnahmen aus Lease-Kontrakten, je nachdem, wie sie finanziert sind. Das ist bei der IBM nach Ländern unterschiedlich.

Zum anderen hat Big Blue durch das Eigentum an der Leasingmaschine auch eine gewisse Kontrolle über den Kunden. In der Realität zeigt sich aber, daß diese Kontrolle nicht unbedingt funktioniert. IBM-Leasing hat ja zwei wesentliche Vertragstypen. Der erste ist das normale Financial Lease: Kaufoption und dann zurückgeben oder weitermieten. - Der Typ zwei, der häufiger in KIV eingebunden ist, sagt, daß der Kunde nach Ablauf der Leasingdauer die Maschine zu einem Fair-market-value kaufen kann. Er muß das aber nicht machen, denn die IBM hat aus den Verträgen kein Andienungsrecht.

Bei diesem Vertragstyp passiert folgendes: Der Kunde weiß, daß die Maschine einen Wert hat. Der Fair-market-value ist ja nicht in Listen faßbar, sondern er entwickelt sich aktuell im Markt und ist zeitlich - bei großen Maschinen - schwankend. Eine 3090-600E kann zu verschiedenen Zeitpunkten neun, zehn oder elf Millionen Mark kosten. Das hängt nicht vom Alter der Maschine, sondern von der Nachfrage ab, und der Preis kann durchaus um eine Million pendeln.

Die Endanwender durchschauen diese System natürlich: Sie wissen, daß sie am Wert der Maschine partizipieren können. Wenn ich Endanwender bin und ich habe einen Broker, mit dem ich immer zusammenarbeite, dann weiß ich: Die Maschine wird zu einer bestimmten Zeit frei. Ich mache mit dein Broker einen Preis aus, gehe zu IBM und sage: "Ich würde gern kaufen. Was ist euer Preis?" Dann nennt die IBM einen Preis, worauf der Broker sagt: "Das ist kein Marktpreis. Definiert mir einen!"

In der Regel ist es so, daß die Endanwender dann eine Maschine zu einem am Markt orientierten Preis kaufen können und sie gleich mit einer Differenz weiterverkaufen an den dahinterstehenden Broker. Kundenkontrolle funktioniert also nur während der Laufzeit der Leasingkontrakte. Danach ist alles wieder offen.

CW: Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die Zukunftschancen unabhängiger Leasinganbieter im Wettbewerb mit der IBM?

Messelhäußer: Gar nicht so schlecht, aber es kommt die Frage nach der Marktmacht hinzu. Wenn ein Hersteller, der sowieso fast ein Monopolist ist, alles hat - von der Maschine über die Software bis zur Finanzierung, - darin ist das für den europäischen Anwender eine unangenehme Abhängigkeitssituation, aus der zu entfliehen jeder geneigt ist.

CW: Ist überhaupt möglich?

Messelhäußer: Die ganzen Aktivitäten mit Open Systems, mit Unix, mit definierten Schnittstellen, haben eigentlich nur das Ziel, Abhängigkeiten zu vermeiden. Gerade von öffentlicher Anwendern wird das Unix-Thema sehr weit vorangetrieben. Anwender, die alle ein bestimmtes proprietäres Betriebssystem haben, sind auf die entsprechenden Softwarelieferungen angewiesen. Darum ist Unix auch ein machtpolitisches Thema für die Länder und die Wirtschaftsregionen. Wenn bei Daimler-Benz der Rechner ausfällt, drehen 10 000 Arbeiter Däumchen. Durch die Indikation der DV wird auch die Risikoanfälligkeit der Unternehmen auf diesen Punkt konzentriert.

Wegen dieser machtpolitischen Überlegungen, die sich vielleicht weniger rational als im Bauch abspielen, entscheiden sich viele Anwender, die vorausdenken, für die Beschäftigung mit Unix, anstatt der IBM die Kontrolle über die Firma zu geben. Wer das Rechenzentrum und die Anwendungen liefert, der hat die Firma.