Lotus Solution Architecture

Notes-Framework soll Entwicklung standardisieren

03.07.1998

Die Diskussion um die Standardisierung der Anwendungsentwicklung beginnt dort, wo man auf Groupware-Basis komplexe, typischerweise operative Applikationen erstellen will. Für derartige Anwendungen gibt es durchaus sinnvolle Einsatzmöglichkeiten, beispielsweise an den Schnittstellen zu modularen operativen Anwendungssystemen (SAP, Baan etc.). Dort kann Groupware etwa die Vorverarbeitung des papiergebundenen Teils eines Beschaffungsprozesses übernehmen. Im Bereich der klassischen operativen Informationsarbeitsprozesse hingegen läßt sich die Anwendungsentwicklung auf Groupware-Basis nur in wenigen Fällen rechtfertigen.

Festzuhalten ist, daß beim "richtigen" - nämlich strategischen Einsatz - von Groupware-Anwendungen die momentan heiß diskutierte Architekturfrage eher wenig relevant ist. Diese Debatte darf deshalb keinesfalls dazu führen, daß zukünftig - nach klassischer Rechenzentrumsmanier - für jede Anwendung zuerst die Konformität mit einem zentral eingeführten und überwachten Architekturinstrumentarium nachgewiesen werden muß. Damit würde die Groupware-Idee zu Grabe getragen. Für Groupware-Anwendungen mit geringem Umfang sollten nur Mimimalstandards wie einheitliche, aber einfache Setup- oder Hilfe-Datenbanken verbindlich sein.

Gerade bei Großkunden stieß Lotus Deutschland häufig auf untereinander nicht kompatible Architekturen von Business-Partnern. Die deutsche Niederlassung der IBM-Tochter schlug deshalb mit der Lotus Solution Architecture (LSA) und dem Lotus Solution Framework (LSF) einheitliche, umfassende Architekturkonzepte vor. Notes-Applikationen sollen zukünftig dem neuen Standard folgen und sich so mit Produkten anderer Anbieter problemlos kombinieren lassen. Damit sich Hersteller auch tatsächlich an die LSA-Vorgaben halten, plant Lotus zusätzlich eine LSA-Zertifizierung.

Die LSA ist als Satz generischer Bausteine zu verstehen, die zwischen Notes-Anwendungen und der Domino-Systemplattform eine Middleware-Funktion übernehmen. Vorgesehen sind dabei folgende Kernmodule:

- Datenbank für die Anwendungskonfiguration (LSA-Configure),

- Datenbank für kontextsensitive Hilfeinformationen (LSA-Help),

- Werkzeug zum Management von Anwendungsschablonen (LSA-Template-Management) sowie

- Tool zur zentralen Verwaltung von Hintergrundaktivitäten (LSA-Activity-Management).

Als weitere Schale, die auf die Leistungen dieser Kernmodule zurückgreift, plant Lotus Datenbanken für die stellenbezogene Beschreibung von Organisationen (LSA-Orga), eine Datenbank zur Erstellung von Aktenplänen (LSA-File), eine Schlagwortdatenbank (LSA-Glossary) eine Textbausteindatenbank (LSA-Textbase) und eine Archiv-Schnittstelle (LSA-Archiv). Eine weitere Standardisierung beim Einsatz von C-, Java- oder anderen API-Modulen schlägt Lotus mit dem UDF-Konzept vor.

Angesichts der Komplexität von LSA vertritt Lotus die Auffassung, daß die dazugehörigen Komponenten nur durch das Unternehmen selbst entwickelt, gepflegt und vertrieben werden können. Noch 1998 sollen Business-Partner, die mit Lotus ein LSA-Solution-Partner-Abkommen geschlossen haben, System-Schnittstellen und Referenzimplementierungen erhalten. Während die Lotus-Business-Partner nach aktuellem Diskussionsstand einen einfachen Zugang zu dem geplanten LSA Documentation Kit sowie dem Development Kit erhalten sollen, werden in Branchenkreisen bemerkenswerte Lizenzkosten für Endanwender diskutiert. Diese könnten im Extremfall zum Ausschluß vieler Mittelstandsunternehmen aus dem Nutzerkreis führen.

Die Notes-Anwenderunternehmen scheinen mehrheitlich die Inititative von Lotus zu begrüßen, da sie auf die ordnende Hand des Herstellers für eine effiziente Entwicklung und Wartung von Anwendungen vertrauen. Einzelne deutsche Business-Partner bejahen die Initiative ebenfalls, insbesondere jene, die über keinen eigenen Anwendungskern verfügen und durch LSA Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Anbietern ausgleichen können. Stimmen aus dem europäischen Ausland signalisieren momentan noch Zurückhaltung, weil bisher nur die deutsche Lotus-Niederlassung hinter LSA steht. Da die amerikanische Zentrale in der Vergangenheit mehrfach Wünsche der Landesniederlassungen übergangen hat, sind Beobachter skeptisch, ob sich die LSA als internationaler Standard durchsetzen kann.

Gerade bei Anwendern herrscht Einigkeit darüber, daß die Standardisierung der Groupware-Anwendungsentwicklung Zeit und Kosten sparen könnte. Weitgehend unbestritten ist dabei, daß Lotus als Hersteller die Marschrichtung vorgeben sollte. Die momentan noch konträren Standpunkte in vielen Themenbereichen verlangen aber von den Beteiligten Diskussionsbereitschaft und Kompromißfähigkeit. Vor allem sollte Lotus in der komplexen Welt der innovativen Groupware-Entwicklung die Einwände und Bedürfnisse erfahrener Partner berücksichtigen.