Neues vom Netz hinter dem Netzbetreiber Router bringen Telekom-internes Internetworking auf Vordermann

21.04.1995

Die Deutsche Telekom AG gibt sich eine neue Struktur. Eine der Aufgaben, die im Zusammenhang mit der Etablierung einer vollstaendig neuen Organisationsform anstanden, war die Anpassung des gesamten internen Kommunikationsnetzes, das in der Vergangenheit vorwiegend aus - an Grossrechner angebundenen - Terminals bestand. Michael Zell* beschreibt die Umstellung der DV des Bonner Postriesen, wo heute unter anderem mehr als 1000 Multiprotokoll-Router von Cisco Systems eingesetzt werden.

Die deutsche Telekom strukturiert sich um. Neben der Neugestaltung der einzelnen, neu eingerichteten Unternehmensbereiche galt es dabei auch, das Dienstleistungsangebot zu optimieren und das neue "Innenleben" auch in der internen Kommunikationsinfrastruktur sichtbar werden zu lassen. Das bedeutete unter anderem: Rund 230 000 Telekom-Mitarbeiter muessen ueber leistungsfaehige Netze miteinander und vor allem mit den zentralen und regionalen Rechenzentren kommunizieren koennen.

In Bielefeld, der nach einem staedtischen Werbeslogan "freundlichen Stadt am Teutoburger Wald", ist das sogenannte "Competence Center Netze" ansaessig, das fuer die zentrale Planung und Bereitstellung saemtlicher interner IV-Netze (IV = Informationsverarbeitung) der Telekom zustaendig ist.

Hier, wo bereits im August 1994 der Grundstein fuer das neue Gebaeude des "Strategischen Computer-Zentrums Bereich Mitte" gelegt wurde, arbeitete das Team des Netzzentrums "Dv 3" an zukunftsweisenden Strategien und Konzepten - jeweils in enger Abstimmung beziehungsweise unter Federfuehrung des Unternehmensbereiches IV Kommunikation in Bonn. Urspruenglich war die gesamte DV der Telekom einer Reihe sogenannter Grossrechenzentren und DV-Entwicklungsstellen uebertragen worden. Deren Aufgabe laesst sich in drei Punkten zusammenfassen: Endgeraetetransparenz, einheitliche Inhouse-Verkabelung sowie Konsolidierung der WAN-Bereiche.

Erster Schritt bei einer Neugestaltung der DV-Landschaft musste also zwangslaeufig sein, eine derart aufwendige dezentrale Loesung durch leistungsfaehigere Strukturen zu ersetzen, die ausserdem in der Lage waren, die relativ junge PC-Technologie und Unix- Umgebungen transparent und durchgaengig zu integrieren. Auf dem Reissbrett entstanden so zunaechst sechs groessere Organisationseinheiten: die "Strategischen Computer-Zentren", auf die die gesamte IV-Verarbeitung und Rechnerkapazitaeten konzentriert werden sollten. Aus verschiedenen Gruenden - teils traditioneller Art, teils wegen Etablierung streng voneinander getrennter Teilbereiche - wurden die Staedte Kiel, Magdeburg, Bielefeld, Krefeld, Bamberg und Goeppingen als Sitz dieser zentralen DV-Knotenpunkte auserkoren (vgl. Abbildung 1). Hierarchisch unter diesen Zentren angesiedelt sind wiederum die sogenannten IV-Service-Stellen, die fuer den jeweiligen Vor-Ort- Service zustaendig sind.

Nach dieser Grundsatzentscheidung galt es zunaechst, eine Bestandsaufnahme der eingesetzten Technologien und Rechnerwelten zu machen und daraus die kuenftig einzusetzende Struktur zu bestimmen. In den Rechenzentren liefen die Applikationen auf IBM- Mainframes, BS2000-Rechnern von Siemens und auch Bull-Maschinen, die via SNA und Transdata eingebunden waren. Gleichzeitig befanden sich Unix-Systeme von Unisys und PCs im Einsatz. Etwa 15 000 Datenleitungen wurden ueberwiegend fuer Netzzugaenge genutzt. Zudem existierten drei WAN-Architekturen und mehrere Inhouse- Vernetzungsstrukturen - mit der Konsequenz, dass die Netzuebergaenge kaum mehr zu verwalten und zu ueberwachen waren.

Mit anderen Worten: Es herrschte zwar noch kein Chaos, aber die Entwicklung ging in diese Richtung - fuehrte diese Vielfalt doch dazu, dass so mancher Telekom-Mitarbeiter, der sowohl auf MVS- als auch auf BS2000-Applikationen zugreifen wollte, zwei Terminals an seinem Arbeitsplatz benoetigte. Oder dazu, dass bei dem Umzug eines Mitarbeiters die gesamte Verkabelung hinter ihm neu verlegt werden musste. Ein nicht mehr vertretbarer Aufwand also, ohne Aussicht auf Besserung. Das Dv-3-Team verfolgte daher das Ziel, die Wege zwischen dem Anwender und den von ihm benoetigten Ressourcen soweit wie moeglich zu verkuerzen und die Netzzugriffe zu beschleunigen. Ein erster Schritt in diese Richtung war bereits fruehzeitig getan worden: Man verabschiedete sich von der traditionellen Sterntopologie und entschied sich fuer die Errichtung von Backbone- Netzen, die ueber oeffentliche WAN-Verbindungen (DDVs und neuerdings auch Datex-M) verbunden sind.

Wenig spaeter war man bereits ein grosses Stueck weiter: Das dreistufige Verkabelungsprinzip - die Aufteilung in Primaer-, Sekundaer- und Tertiaernetz - war nicht nur geboren, sondern bereits im Entstehen begriffen. Es sah vor, die Primaer- oder Backbone- Netze mit Lichtwellenleitern auszustatten. Ueber diese werden die Sekundaernetze in den Gebaeuden, ebenfalls auf Glasfaserbasis, eingebunden.

Tertiaerverkabelung nicht auf Basis von Glasfaser

Die Tertiaerverkabelung fuer die eigentlichen LANs, ueberwiegend auf Token-Ring-Basis, erfolgte schliesslich mit Twisted-Pair- Kupferkabel und nicht mit Glasfaser, da die DV-Verantwortlichen der Telekom "Altlasten" in Form serieller Endgeraete, die auch heute noch im Einsatz sind, integrieren wollten. Zudem stellte sich im Rahmen von Testinstallationen heraus, dass die preislich guenstigere Kupfertechnologie durchaus in der Lage ist, 100 Mbit/s zu transportieren und sich damit auch fuer Hochgeschwindigkeits- Topologien wie FDDI oder ATM eignet.

Nach der Festlegung der Verkabelungsstrategie folgte der naechste Schritt, als bereits in den Jahren 1992 und 1993 weitere Netzkomponenten angeschafft wurden. Neben vielen Kilometern Kabel investierte man unter anderem in moderne Sternkoppler und Router- Technologie. Im Bereich der Multiprotokoll-Router setzte sich Cisco Systems in einer Ausschreibung gegen die Mitbewerber durch, unter anderem, wie es hiess, aufgrund der umfassenden Produktpalette und einem durchgaengigen Handling-Konzept, das es ermoeglicht, beispielsweise einen kleineren Router der Serie "2500" auf die gleiche Art und Weise zu konfigurieren und zu verwalten wie ein High-end-System der Serie "7000".

Router-Konzept als beste Internetworking-Loesung

Basis fuer dieses Konzept ist das IOS (Internetwork Operating System) von Cisco - ein einheitliches Betriebssystem fuer die gesamte Produktpalette. Weitere Kriterien fuer die Wahl waren die Faehigkeit der Cisco-Komponenten, den SNA-Verkehr zu tunneln sowie als Backbone-Router eingesetzt werden zu koennen. Darueber hinaus bot der Marktfuehrer mit IGRP ein Routing-Protokoll an, das den Anforderungen der Telekom weitgehend entsprach.

Netzwerke auf der Basis von Routern sind heute nicht nur nach Ansicht der Telekom-Verantwortlichen die einzig sinnvolle Loesung fuer grosse Netzwerke - bieten sie doch eine optimale Pfadauswahl fuer die Datenuebertragung durch die Verwendung von dynamischen, intelligenten Routing-Protokollen. Weil Router-Internetworks auf Protokoll-Adressen und logischen Gruppen von Workstations und Netzressourcen basieren, gewaehrleisten sie aber auch ein hohes Mass an Sicherheit. Das Ergebnis ist also letzlich, dass grosse Router- Netze sehr stabil sind.

Wenn sie zudem durch intelligente Router-Software optimiert sind, bieten sie sichere Pfade und alternative Routing-Optionen fuer den Fall, dass Verbindungen zwischen Niederlassungen zusammenbrechen.

Waehrend die Backbone-Ringe der Telekom mittlerweile ueber ganz Deutschland miteinander verbunden sind und die Sekundaernetze die Gebaeude ringfoermig durchziehen, verlaeuft die Tertiaerverkabelung von Konzentratoren aus sternfoermig in die sogenannten Subnetze (vgl. Abbildung 2). In diesem Zusammenhang ist eine weitere Vorgabe des Dv-3-Teams bemerkenswert: Wenn ein, im alten Telekom- Amtsdeutsch, "Bedarfstraeger" (zum Beispiel ein Fernmeldeamt) eine Etage eines Buerogebaeudes oder auch nur einen Raum mit einem Netzwerkanschluss ausgestattet haben will, erhaelt er nicht nur die geforderte Anschlussdose, sondern gleich ein komplettes Subnetz mit den dazugehoerigen Anschluessen ans Sekundaer- und Backbone-Netz.

Dies soll mit dazu beitragen, dass das weitere Wachstum der Telekom-DV harmonisch und vor allem oekonomisch ablaeuft, da bei dieser Vorgehensweise nicht bei der Einrichtung eines jeden neuen Netzknotens eine voellig neue Verkabelung inklusive der Ausstattung mit entsprechenden Netzwerkkomponenten notwendig ist. Diese Vorgabe bedeutete zunaechst natuerlich gewaltige Investitionen - mit dem Vorteil jedoch, dass man eine Basis gelegt hat fuer den Komplettausbau

eines neuen "Telekom-Netzes". Der wiederum ist nun vergleichsweise preisguenstig zu bewerkstelligen, da es nur noch darum geht, in die Tertiaerverkabelung und die Backbone-Anbindung zu investieren.

Um auch im WAN-Bereich Ordnung zu schaffen, galt es, die nach wie vor im Einsatz befindlichen SNA-, Transdata- und IP-Netze zu integrieren und die Daten transparent fuer jeden Nutzer zur Verfuegung zu stellen. Dabei muss man sich allerdings vergegenwaertigen, dass die verschiedensten Emulationen nebeneinander liefen, ohne jedoch zueinander kompatibel zu sein. In einem - im wahrsten Sinne des Wortes - Kraftakt wurde hier in Zusammenarbeit mit einem Softwarehaus eine Emulation entwickelt, die allen Anforderungen gerecht wird, was zu Beginn sicherlich ein Fass ohne Boden bedeutete. Schliesslich existieren in einem Unternehmen von der Groesse der Telekom unzaehlige verschiedene Drucker, ja sogar Tastaturen, die eine eigene Emulation erfordern, um sie ueberhaupt an die unternehmensweite Kommunikation anschliessen zu koennen. Doch wie war es letztlich moeglich, den WAN- Verkehr so vereinheitlichen, dass eine einzige Emulation ausreichte? Bei der Beschaeftigung mit dem sogenannten "FAUN"-Netz (Fernmeldeamt-Unix-Netz), einer der drei grossen Netzstrukturen bei der Telekom (neben FAUN fuer Unix-Umgebungen gibt es das sogenannte "Telekom-IBM"-Netz und "Netz 90" fuer BS2000-Anwendungen) kam man schliesslich auf eine praktikable Idee fuer eine umfassende Loesung.

FAUN lief urspruenglich ueber 64-Kbit/s-Leitungen. Diese doch recht langsamen Strecken wurden nun mit Hilfe des Backbones auf dedizierte 2-Mbit/s-Verbindungen aufgeruestet, was heute fuer 80 Prozent der entsprechenden Standorte das Mass aller Dinge ist. Gleichzeitig waren sich jedoch die Netzwerkspezialisten der Telekom darueber im klaren, dass es sich bei dieser Loesung nur um einen Uebergang zur kurzfristigen Bedarfsdeckung handelte. Die Notwendigkeit, schnellere Datenstrecken bereitzustellen, konnte nur eine Frage der Zeit sein.

Systemkundenbereich hilft nun mit Datex-M aus

Fuendig wurde man im eigenen Unternehmen, naemlich beim Geschaeftsbereich Systemkunden. Dieser bietet auf der Basis von SMDS/DQDB (Switched Multimegabit Data Service/Dual Queue Dual Bus) besagten Datex-M-Dienst an, mit Geschwindigkeiten von 2 bis 34 Mbit/s - genug, um als zukunftsorientierte Loesung fuer die Telekom in Frage zu kommen. Die Bereitstellung von SMDS fuer den WAN- Verkehr ist bereits in vollem Gange. Derzeit befindet man sich in einer Testphase. Demnaechst soll ein Pilotprojekt gestartet werden, das schliesslich bis Ende 1995 in der vollstaendigen Integration von SMDS enden soll.

Wird eigentlich ISDN bei der Telekom eingesetzt? Die Antwort ist: Ja. Vor allem externe Organisationseinheiten nutzen es fuer die Kommunikation mit der Zentrale. Allerdings haetten sich die Telekom-Netzwerker wegen des grossen Datenaufkommens eher einen S2M-Router gewuenscht, der aber leider von der Industrie erst jetzt angeboten wird. So behalfen sie sich zwischenzeitlich mit einem S0-Router.

Vielseitig, die Telekom. Aber damit noch nicht genug. Man berichtet von ersten Versuchen, Endgeraete ueber das Mobilfunknetz in die Telekom-Infrastruktur einzubinden. Und auch mit ATM hat man bereits Erfahrungen gesammelt. Im Projekt HITNET 2, das sich mit der universellen Datenkommunikation befasst, wurden erste Multimedia-Sessions uebertragen. Allerdings sind im ATM-Standard die Uebertragungsklassen noch nicht spezifiziert - was bedeutet, dass es sich eigentlich noch gar nicht um einen vollstaendigen Standard handelt, auf den man uneingeschraenkt setzen koennte.

Weiter ist man mit FDDI. Auf lokaler Ebene wurden erste Projekte gestartet. So ist in Muenster bereits ein erster 100-Mbit/s- Glasfaserring in Betrieb. Aber auch im MAN-Bereich (MAN = Metropolitan Area Network) arbeitet man am "schnellen Netz": In Duesseldorf wurden sieben Telekom-Standorte mit FDDI vernetzt, und in Frankfurt wird derzeit ein Konzept fuer die Einfuehrung entwickelt.

HP Openview als Management-Loesung

Ein Netzwerk, wie es die Telekom unterhaelt, kann nicht funktionieren, ohne ueberwacht und gesteuert zu werden. Daten- Management ist hier eine Aufgabe, die so wichtig ist wie der Datenverkehr selbst. Daher wurde auch bei der Auswahl des Daten- Management-Systems genau geprueft, welche Plattform den gigantischen Ausmassen und der Heterogenitaet des Telekom-Netzwerkes gewachsen war. Die Wahl fiel schliesslich auf "HP Openview".

Als sich die Telekom-Verantwortlichen fuer das System grundsaetzlich entschieden hatten, gab es ein Problem. "Ciscoworks", das Router- Management-System von Cisco, lief nicht unter Openview. Wie sollten die Netzadminstratoren das Netz managen, ohne die Router einbeziehen zu koennen? Man sprach mit HP und Cisco, und kurze Zeit spaeter kam Ciscoworks fuer Openview auf den Markt. Ein Beispiel dafuer, wie stark ein grosser Kunde den Markt beeinflussen kann - aber auch, wie flexibel die Industrie reagieren kann, wenn sie gefordert wird.

* Michael Zell ist Berater bei der Fink & Fuchs High-Tech Marketing GmbH, Wiesbaden.