"Netweaver ist besser integriert"

22.10.2004
SAPs Infrastrukturlösung "Netweaver" konkurriert mit "Websphere" von IBM. SAP-Vorstand Shai Agassi behauptet, nur die eigene Plattform tauge für Web-Services-gestützte Applikationen.

Viele Anwender, die bereits größere Summen in IBMs Websphere-Plattform investiert haben, sind unsicher, ob sie nun auch Geld in SAPs Netweaver-Architektur stecken sollen. Immerhin weisen die Plattformen viele Gemeinsamkeiten auf. Beide verfügen über einen Java-Applikations-Server, Integrationslösungen und ein Portal. SAP wie IBM bieten zudem Funktionen für das Stammdaten-Management ("SAP Master Data Management" beziehungsweise "Websphere Product Center") und haben diesen Bereich durch Übernahmen ausgebaut: IBM schluckte die Firma Trigo, SAP die Technikschmiede A2i. Beide Hersteller versprechen den Kunden, ihre Plattform sei die ideale Umgebung zum Entwickeln und Betreiben von Web-Services.

Shai Agassi, Mitglied des SAP-Vorstands, hält die Konzepte dennoch für nicht vergleichbar: "Netweaver und Websphere adressieren unterschiedliche Anforderungen", erläutert der Softwareexperte im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. So sei Netweaver eine Plattform zum Bauen neuer, anwendungsübergreifender Applikationen ("Composite Applications" oder "Xapps"), während Websphere sich lediglich zur Integration unterschiedlicher IT-Systeme eigne. Mit Composite Applications meint der SAP-Manager auf Netweaver ablaufende Programme, die bestimmte Abläufe oder Prozesse steuern und hierzu auf Funktionen der "Mysap Business Suite" sowie auf Nicht-SAP-Software zurückgreifen. Doch auch heute schon sei Netweaver eine Plattform zum Betreiben von geschäftskritischen Anwendungen. Als Beispiel führt Agassi die Netweaver-gestützten Unternehmensportale von Siemens und Lufthansa auf, die viele tausend Benutzer einbinden. "Ich kenne kein Unternehmen, das so große Java-Applikationen auf Websphere betreibt", so Agassi. Allerdings läuft die betriebswirtschaftliche Software von SAP mitnichten auf Java, sondern auf der altbewährten Abap-Engine, die wie die Java-Ablaufumgebung Teil der Netweaver-Komponente "Web Application Server" ist.

Der für die Netweaver-Entwicklung verantwortliche Agassi will darüber hinaus technische Defizite beim Mitbewerber ausgemacht haben. So habe Big Blue viele Websphere-Komponenten zugekauft, und diese seien längst nicht so gut miteinander verzahnt wie die Net- weaver-Elemente. "In den nächsten fünf Jahren wird niemand unsere Software auf einer anderen Infrastruktur als Netweaver betreiben", gibt sich der Softwareexperte überzeugt.

David Yockelson, Senior Vice President beim Beratungshaus Meta Group, stimmt dem SAP-Manager teilweise zu: "Die Netweaver-Komponenten sind besser aufeinander abgestimmt, als es bei Websphere der Fall ist." Dazu zähle beispielsweise, dass die einzelnen Netweaver-Bestandteile mittlerweile einem einheitlichen Release-Zyklus unterliegen.

Websphere und Netweaver sind keineswegs deckungsgleich

Allerdings hinke ein Vergleich ohnehin, da Websphere nicht immer den Anspruch erhebe, dieselben Funktionen wie Netweaver abzudecken. So müsse man darüber hinaus auch die Produkte von Rational (Softwareentwicklung), Tivoli (System-Management) und Lotus (Knowledge-Management, Collaboration) in eine Bewertung einbeziehen. Yockelson widerspricht jedoch Agassis Werbung, Netweaver eigne sich für die Komposition neuer Applikationen, während Websphere nur eine Integrationsplattform darstelle. "Ein SAP-Kunde könnte mit diesen IBM-Produkten das Gleiche erreichen wie mit Net- weaver, wenn auch der Aufwand höher sein dürfte."

Dem Meta-Experten zufolge sind sich selbst eingefleischte SAP-Kunden noch unschlüssig, ob sie Netweaver als Standardplattform nutzen sollen. Dies hänge stark davon ab, ob die Firmen hauptsächlich SAP-Software einsetzen und wie viele Systeme sie betreiben. Die meisten derzeitigen Netweaver-Kunden verwendeten die integrierten Business-Intelligence-Funktionen und das Portal oder nur eines von beiden.

Eine Herausforderung für SAP sei, dass Anwenderfirmen bislang Infrastrukturelemente nicht als Ganzes erworben hätten, sondern meist nur Einzelteile, etwa eine Workflow-Komponente oder einen Integration-Broker.

Obwohl SAP seinen Kunden Netweaver als Standardinfrastruktur andient, hat der Konzern eingesehen, dass er konkurrierende Lösungen nicht ohne weiteres verdrängen kann. So mussten die Walldorfer auf Kundendruck die eigene Plattform für IBMs Websphere und Microsofts .NET öffnen. Schnittstellen sollen eine Interoperabilität zwischen SAP-Anwendungen und auf Websphere beziehungsweise .NET laufender Software ermöglichen.

Agassi zeichnet neben Netweaver auch für das ERP-Paket "Business One" verantwortlich. Die Version 2004 der Business-Software für kleine Firmen ging unlängst in die Ramp-up-Phase (siehe Seite 29: "SAPs Business One plant ..."). Neuerdings verfügt das System über eine eigene Fertigungssteuerung. (fn)