Kolumne

"Netscape: Ein Pionier-Schicksal"

25.11.1998

Der Schuldige für den Untergang des Internet-Pioniers steht für die meisten Branchenbeobachter fest: Microsoft. In der erbittert und mit teilweise unlauteren Mitteln geführten Schlacht um die Vorherrschaft im Browser-Markt hat die Gates-Company Netscape um sein Kerngeschäft gebracht.

Das Unternehmen versuchte zwar der Abhängigkeit vom zunehmend bedrohten Browser-Geschäft bereits relativ früh durch eine Konzentration auf Geschäftskunden zu entgehen. Aufgrund häufig veränderter Strategien wurde aber nie ganz klar, wohin die Reise führen sollte. Zunächst wollte sich Netscape zum Workflow-und Groupware-Spezialisten aufschwingen und bekam die Gegnerschaft von IBM/Lotus zu spüren. Dann gab Netscape-CEO Jim Barksdale die Devise des Networked Enterprise aus. Unternehmen sollte geholfen werden, ihre Intranets zu Extranets zu öffnen. Zu guter Letzt endete man - böswillig gesagt - mit der sehr gut besuchten Portal-Site Netcenter als Content-Provider mit angeschlossenem Internet-Tool-Vertrieb.

Sicher ist vieles, was bei Netscape schieflief, auf den immensen Druck zurückzuführen, den Microsoft ausübte. Doch mit der Hinwendung zu Internet-Server-, Groupware- und E-Commerce-Lösungen erlitt das Unternehmen zudem das typische Schicksal eines Pioniers, dessen Innovationen von anderen nachgeahmt, dann aber aufgrund der größeren installierten Basis und schnelleren Umsetzung lukrativer vermarktet werden.

Für AOL sind vor allem die Millionen Netcenter-Nutzer und die Browser-Technologie interessant. Doch der ganz große Schlag gegen Microsoft ist aus den vorliegenden Informationen nicht abzulesen. Die Redmonder müssen sich kurzfristig lediglich auf eine gestärkte Konkurrenz für ihr MSN-Portal einstellen. Schließlich kann AOL den Netscape-Browser seiner Klientel nicht ohne weiteres anbieten, nachdem zwei Jahre lang das Microsoft-Pendant als Standardzugang propagiert wurde. Und ob der Internet-Provider, der bisher nicht als Tech-nologieschmiede aufgefallen ist, die Netscape-Produkte weiter entwickeln kann, scheint fraglich.

Inwiefern Microsoft im Internet-Server-Segment ein potenter Gegner erwächst, hängt ganz von Sun ab, das die Business-Produkte von Netscape vermarkten soll. Allerdings hat auch die Java-Company bisher kaum Erfahrungen im Lösungsgeschäft.