NCR: Die wechselvolle Geschichte einer Firmenuebernahme Im AT&T-Mutterleib endet der Weg des einstigen Kassenkoenigs CW-Bericht, Heinrich Vaske

28.01.1994

Viel Druckerschwaerze musste die COMPUTERWOCHE vor gut drei Jahren aufwenden, um das komplizierte Werben des New Yorker Telefongiganten AT&T um die Gunst der NCR Corp., Dayton, Ohio, zu dokumentieren. Mit Zuckerbrot und Peitsche lockte und drohte der amerikanische Megakonzern, bis die Aktionaere - nach einem fuenfmonatigen Verhandlungspoker - den Weg fuer die Elefantenhochzeit frei machten.

Der American Telephone & Telegraph Company (AT&T) gelang damit nach mehreren gescheiterten Anlaeufen endlich der lang ersehnte Einstieg in das Computergeschaeft.

Erfolge, aber auch herbe Rueckschlaege kennzeichnen den Werdegang beider Unternehmen.* Sowohl AT&T als auch die 1884 von John Patterson gegruendete National Cash Register (NCR) machten unliebsame Erfahrungen mit den Antitrust-Bestimmungen der Vereinigten Staaten. So standen bereits 1910 nicht nur Patterson, sondern auch sein zweiter Mann Thomas Watson wegen des Vorwurfs vor Gericht, gegen kartellrechtliche Bestimmungen zu verstossen. Das Duo soll versucht haben, den Wettbewerb auf unsaubere Art auszuschalten - eine Anschuldigung, die Jahre spaeter in einem Berufungsverfahren aus der Welt geschafft wurde. Allerdings gerieten Patterson und Watson in dieser schwierigen Phase immer haeufiger in Streit.

NCR-Vize Watson gruendet die IBM

Die Auseinandersetzungen waeren von geringem oeffentlichen Interesse, haetten sie nicht dazu gefuehrt, dass der Patterson- Schueler Watson ausstieg und sein bei NCR erworbenes Know-how dazu nutzte, den weltweit groessten Computerkonzern, die IBM, zu gruenden.Zwar galt NCR immer als Unternehmen mit grosser technologischer Innovationskraft, doch wurden im Marketing mehrfach schwere Fehler gemacht. Das Registrierkassen-Geschaeft fest im Griff, schaute sich das Unternehmen nach neuen Maerkten um und kaufte schliesslich 1952 die Computer Research Corp. (CRC). Ende des Jahrzehnts kam ein erster, fuer damalige Verhaeltnisse hochmoderner NCR-Rechner auf der Basis von Festkoerpertechnologie auf den Markt.

Zu diesem Zeitpunkt war die Company drittgroesster US-Hersteller von Bueromaschinen - nur die IBM und Remington Rand konnten hoehere Umsatzraten vorweisen. Statt nun aber die vorhandene Innovationskraft im Computerbereich zu nutzen und die angestammten Maerkte mit neuesten Technologien zu beliefern, rieb sich NCR intern auf: So standen sich der Vertrieb der traditionellen Buchungsmaschinen und der Computerverkauf staendig gegenseitig im Wege. Die Konkurrenz behinderte den Computerabsatz erheblich: Mehr als zehn Jahre schrieb NCR in diesem Bereich rote Zahlen. Schliesslich ging dem Konzern das Bueromaschinengeschaeft mehr oder weniger komplett verloren.

Auch die New Yorker Telefongesellschaft AT&T, die ein Jahr nach NCR gegruendet wurde, drohte schon frueh mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Um einer zu erwartenden Anitrust-Beschwerde seitens anderer Telefonanbieter entgegenzuwirken, verpflichtete sich der Gigant bereits im Jahr 1912, die Grenzen seines Imperiums abzustecken. Man erklaerte sich bereit, keine anderen Telefongesellschaften zu schlucken und die vorhandenen Anteile an der Western Union abzugeben. Wichtiger noch: AT&T verpflichtete sich, auf Aktivitaeten in "verwandten Industriebereichen", sprich im Computergeschaeft, zu verzichten.

Dennoch war die Entwicklungsabteilung des Konzerns so gross, dass AT&T angeblich zeitweise ueber mehr Patente in der Computertechnik verfuegte als alle anderen Unternehmen der Branche - einschliesslich der IBM. Allerdings durfte das Unternehmen lediglich fuer einige Schluesselprodukte Lizenzen vergeben. Erst 1956 bekam AT&T die Chance, Rechner zu fertigen. Allerdings durften diese nur an die eigenen Gesellschaften von Bell Systems verkauft oder vermietet werden.

Gezeichnet von den staendigen Gefechten mit den amerikanischen Antitrust-Behoerden stimmte AT&T Anfang 1982 in einem Vergleichsverfahren zu, sich innerhalb von anderthalb Jahren von insgesamt 22 Tochtergesellschaften zu trennen. Der Konzern behielt die Produktionsfirmen Western Electric und Bell Laboratories sowie das Geschaeft mit den Fernleitungen. Ausserdem konnte AT&T nun voll in das Computergeschaeft einsteigen.

Aber wie? Der Telegigant hatte sich in nahezu allen wichtigen Geschaeftsfeldern auf den US-Markt beschraenkt. Eine Internationalisierung, wie sie die IBM erreicht hatte, schien zu aufwendig und zudem unternehmenspolitisch wenig sinnvoll. Schliesslich ging der Konzern Partnerschaften mit Computerunternehmen ein, um global auftreten zu koennen. Wenig erfolgreich waren Abkommen mit Olivetti - zeitweilig besassen die New Yorker 25 Prozent der Anteile am italienischen Computerprimus - sowie mit Philips.

Im Jahre 1990 verbiss sich AT&T schliesslich in die Idee, den Computerhersteller NCR zu erwerben. Zweifellos passten die Unternehmen gut zueinander. NCR hatte sich mit einer geschickten Strategieaenderung als einziges BUNCH-Unternehmen (Burroughs, Univac, NCR, Control Data, Honeywell) zumindest einigermassen gegen die erdrueckende Dominanz der IBM wehren koennen.

Erbitterte Gefechte zwischen AT&T und NCR

Man entschied sich dafuer, die proprietaeren Systeme komplett auszumustern und eine konsequent offene Strategie zu waehlen. Diese Ausrichtung unterstrich das Unternehmen Ende der 80er Jahre mit der Bekanntgabe, kuenftig nur noch Rechnerplattformen auf Basis von Intel-Chips zu bauen und ausschliesslich die Betriebssysteme Unix, OS/2 und MS-DOS zu unterstuetzen. Auf diesem Weg wollte sich NCR zumindest in wichtigen Nischenmaerkten gegen die IBM behaupten.

AT&T, deren Computergeschaeft ueber Jahre hinweg nur Defizite erwirtschaftet hatte, sollte das NCR-Angebot sinnvoll ergaenzen. Fuer den Kommunikationskonzern war jedoch die internationale Praesenz von NCR am wichtigsten. Diese eroeffnete dem Telefongiganten die Chance, seinem primaeren Ziel fuer das Jahr 2000 ein Stueck naeher zu kommen: der Steigerung des eigenen Auslandsumsatzes auf 50 Prozent.

Trotz dieser eigentlich plausiblen Argumente und trotz der Aussicht, zu einem der groessten DV-Konzerne weltweit zu werden, verlief die Uebernahme alles andere als friedlich. AT&T-Boss Robert Allen und NCR-Chairman Charles Exley lieferten sich erbitterte Gefechte, die Auseinandersetzungen zogen sich von November 1989 bis Mai 1990 hin.

Der Streit eskalierte. NCR verklagte AT&T, weil der Telefonriese in einer Tender-Offerte angeblich "falsche, manipulierende und irrefuehrende" Angaben gemacht und damit gegen ein Wertpapiergesetz sowie die Regelungen der US-Boersenaufsicht verstossen hatte. AT&T bemuehte sich nun ihrerseits, die Wiederwahl der insgesamt 13 NCR- Direktoren, darunter auch Chairman Charles Exley, zu hintertreiben. Der Telekonzern bereitete dazu eine ausserordentliche Hauptversammlung der NCR- Aktionaere vor.

Schliesslich gelang es jedoch der AT&T, sich den Computerhersteller per Aktientausch einzuverleiben. Die Unternehmen einigten sich auf 110 Dollar pro NCR-Aktie, der Gesamtwert der Transaktion betrug damit 7,48 Milliarden Dollar. Zufrieden mit dem ausgehandelten Preis, reichte Exley seinem Kontrahenten die Hand, als waere nichts gewesen, und kuendigte an, nach Abschluss der Fusion zurueckzutreten. Seinen Platz sollte der bisherige President Gilbert Williamson uebernehmen.

Hierzulande wurde die Akquisition distanziert wohlwollend betrachtet. "Aus der Sicht von NCR bedeutet die Uebernahme einerseits eine Einschraenkung der Handlungsfreiheit, andererseits erhaelt das Unternehmen einen kapitalstarken Hauptaktionaer, der ein langfristiges Ueberleben wahrscheinlicher macht", urteilte Diebold- Chef Gerhard Adler im Gespraech mit der CW.

Rainer Liebich, seinerzeit Chef der deutschen NCR GmbH in Augsburg, hatte sich schon waehrend der Uebernahmewirren mit dem Gedanken angefreundet, kuenftig zum AT&T-Konzern zu gehoeren. "Ob wir nun als Company eigenstaendig bleiben oder ob wir Teil der AT&T werden - AT&T steht im Wort, die NCR im Falle einer Uebernahme selbstaendig weiteragieren zu lassen."

Mit dieser Selbstaendigkeit ist es nun endgueltig vorbei. Seit Mai letzten Jahres ist NCR-Boss Williamson nicht mehr im Amt. Statt seiner trat Jerre Stead an die Spitze der NCR - ein AT&T-Mann. Der traditionsreiche Name NCR wird aus den Handelsregistern dieser Welt getilgt und fristet sein Dasein kuenftig nur noch als Label auf Registerkassen und Geldautomaten.