WMF baut dezentrale und zentrale EDV weiter aus:

Mini mit System für chaotisches Lager

16.04.1981

Die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) in Geislingen/Steige ist seit 20 Jahren EDV-Großanwender. Sie hat viele EDV-Trends mitgemacht und durchgestanden und dabei sehr viel Erfahrung gewonnen. Diese ist unter anderem eingeflossen in das heutige Konzept des sinnvollen Mix zwischen zentraler EDV, deren Kapazität gerade verdoppelt wurde, und einzelnen Minicomputern für spezielle Funktionen und Aufgabengebiete, in denen die aktuelle Dialogverarbeitung wichtiger ist als der zuständige Zugriff zu zentralen Datenbeständen.

Das gilt für die Bereiche Exportfakturierung und Leiterplattenkalkulation, die seit zwei Jahren mit Hilfe von zwei Systemen (V77-400) von Sperry Univac erfolgreich unterstützt werden. Entscheidend für die vor kurzem erfolgte Anschaffung eines dritten Systems (V77-600) waren außerdem das ausgereifte Datenbanksystem Total, der Teleprocessing- und Transaktions-Monitor Pronto, die problemorientierte Programmierung in Cobol, die weiteren Ausbaumöglichkeiten und die Aktivierung des Technischen Kundendienstes bei drei Systemen am gleichen Ort "für den Fall des Falles".

Der dritte V77-Minicomputer bei WMF erfüllt anspruchsvollere Aufgaben, denn er steuert das Lager- und Warenverteilzentrum LWZ. So ist er konfiguriert : 512 KB Hauptspeicher mit eigenem Mikroprogrammspeicher (WCS), zwei Plattenspeichern mit je 61 MB, sieben Bildschirmgeräten, drei Matrixdruckern, einem Magnetbandgerät und einem Datenkommunikations-Multiplexer für 32 Anschlüsse.

Der LWZ-Komplex gliedert sich in zwei Lagerbereiche: das Palettenlager mit 24 000 Lagerplätzen in 17 Regalgassen (das zur Zeit durch den Rechner eines anderen Herstellers gesteuert wird) und das noch im Bau befindliche Behälterlager für die kleineren Teile (Glas- und Metallwaren), das ab Sommer 1981 durch den V77-Minicomputer verwaltet und gesteuert wird. Dieses Lager ist "chaotisch" organisiert, das heißt, neue Ware wird jeweils dort eingelagert, wo gerade Platz frei ist. Nur ein Rechner ist folglich in der Lage, anzugeben, wo sich welcher Artikel befindet. Verwendet werden in dem Behälterlager Kunststoffkästen, und zwar auf 25 000 Plätzen in neun Regalgassen. Die Anzahl der einzulagernden Artikel beträgt zirka 5000 bis 7000. Im täglichen Acht -Stunden-Rhythmus werden jeweils zirka 4000 Behälter aus- und eingelagert, und zwar mit Hilfe von automatischen Regalförderzeugen, die auf einer Doppelgabel immer zwei Behälter gleichzeitig ein- oder auslagern.

Der Minicomputer für Lagerverwaltung und -steuerung ist Bestandteil eines hierarchischen Systems, an dessen Spitze sich der zentrale Planungs- und Dispositionsrechner IBM 370-158 befindet. Über BSC-Protokoll besteht eine Online-Verbindung zur V77-600 und von dort wiederum über TTY- beziehungsweise Current-Loop-Schnittstelle zu zwölf Mikrocomputern von Siemens, die die eigentlichen Förderabläufe steuern.

Der Zentralrechner führt die Bearbeitung der Aufträge durch und verwendet dabei die im Minicomputer gespeicherten Behälterdaten. Er legt jeweils für einen Tag die Auslagerungsserien fest und gibt diese wiederum an den Minicomputer, damit dieser die Verwaltung und Steuerung autark vornehmen kann. Gleichzeitig druckt er die notwendigen Entnahme- und Verteilbelege aus. Mit ihrer Hilfe wird aus den ausgelagerten Behältern die gesamte, kumulierte Auftragsmenge des Tages entnommen und geht in Transportbehältern zur Warenverteilung. Durch eine spezielle Codierung erfolgt der Transport gezielt zu bestimmten Kundenfächern.

Bei sogenannten Sonderentnahmen werden die erforderlichen Transaktionen an einem der fünf Bildschirmgeräte im Lager eingegeben.

Alle Lagerveränderungen des Tages werden wiederum abends an den Zentralrechner überspielt. Durch die Sofortverarbeitung aller anfallenden Daten ist der Lagercomputer jederzeit auskunftsbereit.

Als weitere Aufgabe erhält der Minicomputer aus den 87 Filialen der WMF in der Bundesrepublik die mit den dort installierten Erfassungsterminals von Walther Elektronik registrierten Auftragsdaten, verarbeitet diese und gibt sie per Magnetband an den Zentralcomputer weiter.

Die Entscheidung für den Rechner fiel Anfang 1980, die Grobplanung wurde im Sommer 1980, die Feinplanung im Herbst 1980 abgeschlossen die Programmentwicklung soll bis Mitte 1981 soweit gediehen sein, daß ein Probebetrieb gefahren werden kann. Der volle Betrieb soll dann im September 1981 aufgenommen werden.

Ein umfassender Testbetrieb soll das in jedem Fall reibungslose Funktionieren von Hardware und Software sicherstellen. Der Grund: Bei etwaigem Ausfall wäre die WMF nicht in der Lage, die bestellten Waren auszuliefern, und zwar nicht nur bei den Kleinteilen, sondern insgesamt.

Deshalb und aus baulichen sowie organisatorischen Gründen (Art der Disposition in Verbindung mit der Auftragsbearbeitung) betreibt die WMF eine völlig eigene Entwicklung. Zielsetzung ist ein autonom arbeitender Computer mit den Möglichkeiten des Datenaustausches zum Großrechner einerseits und den Anschlüssen für externe Steuerungen andererseits.

Die WMF verspricht sich von dem neuen vollautomatisierten Lager eine erhebliche Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und des Kundenservice. Die kleineren Läger in verschiedenen Gebäudeteilen werden in einem Komplex zusammengefaßt, die Bestände sind gesichert, Fehler aufgrund menschlicher Unzulänglichkeiten werden nahezu ausgeschlossen, der Lagerzugriff wird beschleunigt und eine permanente Inventur vermeidet den sonst üblichen Aufwand am Jahresende. Durch entsprechende Statistiken, wie Tagesbericht, Liste der Bewegungen und Neueinlagerungen, Reports über Stillstandszeiten der Fördergeräte etc. erhält das Management des Lager- und Versandbereichs die Grundlage für seine Entscheidungen.

*Angelika G. Loewenheim ist freie EDV-Fachjournalistin, Hünstetten-Wallbach.