Schlechte Geschäftslage des Minicomputer-Marktführers erschüttert New Yorker Börse:

Mini-Champion DEC durch PC-Flop angeschlagen

28.10.1983

MAYNARD/MÜNCHEN - Nahezu zwei Jahrzehnte als Sunnyboy der DV-Zunft verhätschelt, muß Digital Equipment (DEC), weltweit zweitgrößter Computerhersteller, nun erstmals zurückstecken. Die Geschäftsergebnisse des ersten Quartals 1983/84 (30. Juni) blieben nach eigenen Angaben "signifikant" hinter den Erwartungen zurück. Die Börse quittierte diese überraschende Eröffnung mit einem rapiden Kursverfall der DEC-Aktie, die innerhalb von 48 Stunden um 27,75 auf 72,50 Dollar nachgab. Vertraut man den Aussagen des deutschen Digital-Managements, so sind die Turbulenzen bei der US-Mutter bisher "weitgehend spurlos" an der GmbH vorübergegangen.

Die Schwierigkeiten der Corporation sieht der Marketingchef der Münchner DEC-Zentrale, Helmut Krings, in einer Vermischung von drei Komponenten: Das Unternehmen habe derzeit mit einer mangelnden Verfügbarkeit der neuen RA80- und RA81-Winchester-Festplatten sowie der RA6O-Wechselplatten zu kämpfen. Dadurch sei die Auslieferung der bewährten Minicomputerserie "VAX" in den letzten Monaten stark beeinträchtigt, gewesen. Der Lieferengpaß ist laut Krings die Folge einer weltweiten Umstrukturierung im Administrations- und Fertigungsbereich des Unternehmens. Wurden beispielsweise die DEC-Platten bisher in mehreren Ländern produziert, so strebe der Konzern jetzt eine kostengünstigere Zentralisierung der Produktionsbereiche an.

Die Neugliederung sowie die damit verbundene Veränderung logistischer Abläufe sei nach Aussage des DEC-Managers noch nicht gänzlich abgeschlossen und habe eine "temporäre Unsicherheit" in die Unternehmensabläufe getragen. Konstatiert Krings: "Das Ganze ist zumindest kurzfristig etwas unübersichtlich geworden."

Zu den Lieferproblemen im Minicomputermarkt gesellten sich obendrein noch Absatzschwierigkeiten bei den im letzten Jahr angekündigten Personal Computern, dem "Rainbow", den "Professionals" und dem ausschließlich in den USA angebotenen "DECmate". Inzwischen mußte auch Digital-Präsident Kenneth H. Olsen zugeben, daß man im DEC-Headquarter in Maynard die Nachfrage im Personal-Computer-Geschäft falsch eingeschätzt habe. Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres (30. Juni) konnte das Unternehmen nach US-Meldungen "nur" 19 000 Rechnerzwerge absetzen, die fast ausschließlich an bisherige Abnehmer gegangen seien wenige an Neukunden. Planzahlen für den Berichtszeitraum wurden nicht genannt, doch sei der PC-Absatz, so heißt es, geringer ausgefallen als vorgesehen. Der Minimaker hatte zu Beginn dieses Jahres bekanntgegeben, in 1983 etwa 100 000 Mikros im Wert von 500 Millionen Dollar verkaufen zu wollen.

DEC-Mikros ohne Markterfolg

Die zum Teil widersprüchlichen und mißverständlichen Angaben bedürften, wie das deutsche DEC-Management mitteilt, einer Interpretation und Konkretisierung. So habe Digital im ersten Auslieferungsjahr der PCs - und das sei am 1. Januar angelaufen - bereits weltweit 70 000 Systeme an den Mann gebracht. Bis Ende des Jahres seien weitere 30 000 zu erwarten, erklärte Pressesprecherin Imai-Alexandra Roehreke. Damit wäre man im Plan. Daß die DEC-Mikros trotz dieser Ergebnisse noch nicht die erhoffte Resonanz am Markt gefunden haben, räumt aber auch Marketier Krings ein: "Uns ist klar geworden, daß es die Software ist, über die heute ein Produkt verkauft wird." Der Münchner schneidet damit eine Problematik an, an der das Unternehmen seit seinem PC-Einstand zu knabbern hat. Digital-Beobachter meinen denn auch, daß es der Mini-Marktführer bis heute nicht geschafft habe, ein befriedigendes Software-Angebot zu schaffen. Dem Mini-Champion sei dabei der gleiche Fehler unterlaufen wie auch anderen großen Rechnerlieferanten. Er habe voreilig Hardware auf den Markt geworfen, ohne das erforderliche Programm- und Support-Umfeld bereitzustellen. Zudem sei es DEC nicht gelungen, einen schlagkräftigen Vertriebsapparat aufzubauen. Als gescheitert gelten auch die Bestrebungen, aus seriösen Minicomputer-Verkäufern aggressive Mikro-Vertreiber zu machen.

Ergebnis bahnte sich an

In einer Phase, in der sich der neu-englische DV-Hersteller vom Hardware-Lieferanten für den technisch-wissenschaftlichen Bereich zum Lösungsanbieter auf einer erweiterten Produktebene wandele, träfen derartige Einbrüche nach Ansicht von DEC-Kennern besonders hart. Dabei wurde Digital aber keineswegs von den Ereignissen überrascht. Eine Schlechtwetterfront bahnte sich bereits im letzten Geschäftsjahr an. Zwar konnte der amerikanische Dauerbrenner unter den Wachstums-High-flyern bei seinem letzten Jahresabschluß bei Gesamteinnahmen von 4,27 Milliarden Dollar immerhin noch einen Umsatzzuwachs von zehn Prozent aufweisen, doch sanken die Gewinne erstmals seit 13 Jahren - und dies gleich um 32 Prozent.

Bei der Deutschlandtochter stiegen die Einnahmen im Berichtszeitraum 1982/1983 von 434,7 auf 461,4 Millionen Mark. Dies entspricht einer Zuwachsrate von 6,1 Prozent, gegenüber einem Vorjahrsergebnis von 21,6 Prozent.

GmbH liegt gut im Rennen

Daß die momentane Krise der Corporation wegen der direkten Verflechtung von Produkten und Vertriebsstrategien auf die GmbH übergreifen könne, hält man an der Isar "zumindest mittelfristig" für nicht wahrscheinlich. Die Münchner Deutschlandzentrale liege zu 99 Prozent in den Planzahlen und verfüge über einen Auftragseingang von 50 Prozent, wird von offiziellen Stellen verbreitet. Dennoch eröffnet Marketing-Boß Krings, der in der GmbH derzeit die Stellung hält, nachdem Geschäftsführer Willy Kister und Vertriebschef Frank Berger zur Lagebesprechung in die USA gereist sind, daß er die Schwierigkeiten der Muttergesellschaft "peripher" zu spüren bekommen habe. Die DEC-Mannen seien hierzulande rechtzeitig dazu übergegangen, geplante Installationen umzukonfigurieren und Alternativlösungen anzubieten. Dies habe sich zwar nicht auf die Umsätze der GmbH niedergeschlagen, sei aber intern mit zusätzlichem Aufwand verbunden gewesen. Branchenspäher wollen indes wissen, daß die überlangen VAX-Lieferzeiten dazu geführt hätten, daß Anwender bereits verschiedentlich zu Konkurrenzprodukten gegriffen hätten.

Von einem spürbar härteren Rechnergeschäft sprechen aber auch andere Minimaker. Gab es bislang nur wenig Berührungspunkte mit Big Blue, so führen die neuen Mini- und Mikro-Produkte jetzt zu einer direkten Konfrontation mit dem Marktführer. Künftige Probleme werden DEC auch durch das Announcement des 4361-Prozessors prophezeit, mit dem der Branchenprimus erstmalig den Minicomputer-Produzenten auf die Pelle rückte.

4361-Auswirkungen befürchtet

Wie renommierte Wallstreet-Experten meinen, habe die IBM-Ankündigung im technisch-wissenschaftlichen Bereich mit dazu beigetragen, daß die Börse auf den Gewinneinbruch bei Digital extrem sensibilisiert reagiert. Finanzanalytiker werten denn auch den spontanen Kursrückgang der DEC-Aktie um rund dreißig Prozent als eine Überreaktion der Kapitalanleger. Folge: Auch einige andere DV-Anbieter mußten trotz positiver Geschäftsberichte Kurssenkungen hinnehmen, da die Investoren offenbar das Vertrauen in die Finanzkraft der Computerindustrie verloren haben. Die IBM-Aktie fiel um drei Dollar, stieg aber schon kurz darauf wieder um 1,75 Dollar, während sich die Börsensituation bei anderen Anbietern weiterhin verschlechterte.

IBM zielt auf Branchenleader

In der DV-Branche werde derzeit mit harten Bandagen gekämpft, verdeutlichen Börsianer des Münchener Brokerhauses Merrill Lynch die Lage am Kapitalmarkt. Die aggressive Marketingpolitik der IBM ziele derzeit vornehmlich auf die Branchenleader einzelner Absatzbereiche. Die Münchner Finanzprofis verweisen in diesem Zusammenhang auf die Probleme bei Apple und Osborne.

Mit der Ankündigung neuer Produkte will sich das Digital-Management jetzt offensichtlich wieder freischwimmen (siehe Seite 4). DEC-Beobachter gehen jedoch davon aus, daß sich der Mini-Champion mit den vorgezogenen Announcements vergaloppieren könne. Sicher scheint, daß Digital mit der neuen "Micro-VAX" nur eine Zwischenlösung aufzeigt, da das Unternehmen bereits vor längerer Zeit durchblicken ließ, daß es die neuen Rechnermodelle auf nur einem Chip präsentieren wolle.

Gesamt-Finanzlage in Ordnung

Während DEC-Gründer "Ken" Olsen einräumt, daß die Schwierigkeiten seines Konzerns im laufenden Quartal nicht zu überwinden seien und Vice President John F. McManus gar eine Verbesserung der augenblicklichen Lage nicht vor Ablauf der nächsten beiden Quartale erwartet, versucht sich das deutsche Management als regionaler Stimmungsmacher. Die Auslieferung der neuen Platten sei inzwischen angelaufen, heißt es in der Isar-Metropole, und man hoffe jetzt, den Auftragsstau abbauen zu können. Auch Helmut Krings ist zuversichtlich: "Mich beruhigt, daß wir vor einer soliden Gesamt-Finanzsituation stehen und keinesfalls Liquiditätsengpässe zu fürchten haben."