Über 50 Prozent der IBM-386-Maschinen sind keine MCA-PCs

Mikrokanal richtet sich gegen den Industrie-Standard

24.11.1989

MÜNCHEN (CW) - Die diesjährige SYSTEMS eröffnete mit der Vorstellung verschiedener EISA-Maschinen den Disput um die konkurrierenden Bus-Strukturen MCA und EISA. Die COMPUTERWOCHE druckt auszugsweise ein Streitgespräch ab, das auf der Münchner Messe zwischen dem Geschäftsführer von Compaq Computer Deutschland, Andreas Barth, und Reinhard Fasshauer, Leiter Produktmanagement Endbenutzerprodukte bei der IBM, stattfand.

- Die IBM hat vor kurzem neue Features für den Mikrokanal angekündigt, die Bestandteil der gesamten IBM-Produktlinie werden sollen. Welche strategische Komponente verbirgt sich dahinter, Herr Fasshauer?

Fasshauer: Wir sagen, daß wir auf der Basis von heute bestehenden technologischen Möglichkeiten den Mikrokanal in Leistungsbreiten hineinbringen können, wie sie auch im Großsystembereich vorhanden sind. Das heißt etwa, wir können mit dem Mikrokanal im Streaming-Mode durchaus 160 Megabyte pro Sekunde über den Kanal bringen. Damit glauben wir, eine Basis gelegt zu haben für das gesamte Thema Mikrocomputer. Also nicht nur für den Bereich der PCs oder PS/2-Maschinen, sondern auch für die Mikrocomputerworkstation.

Auf diesen Workstations können Sie etwa zusätzliche Prozessoren, Proprozessoren laufen lassen, und dazu benötigen Sie einen leistungsstarken Kanal. Dieser Kanal ist durch die Mikrokanalarchitektur implementiert und wird auch noch ausgebaut.

Barth: Bei der Definition von EISA ging es in erster Linie um die Beibehaltung des Industriestandards. Er wird heute in millionenfacher Ausführung eingesetzt. Wir sind der Meinung, daß die Beibehaltung dieses Industriestandards gewährleistet ist, indem ein Peripheriebus definiert und für zukünftige Applikationen natürlich auch entsprechend entwickelt wird. Er muß technologischen Fortschritt bieten. Gleichzeitig muß aber die Kompatibilität zum bestehenden Industriestandard beibehalten werden.

Der Weg, den IBM 1987 mit dem Mikrokanal einschlug, ist für uns eigentlich ganz unverständlich. IBM sagte sich von etwas los, das millionenfach installiert ist, das sich sehr bewährt hat und das eben aufgrund seiner System-Offenheit erst den Vorsprung und Durchbruch der PC-Industrie ermöglicht hat. Nur durch die Offenheit dieses Standards haben sich Tausende von Entwicklern auf die Entwicklung von PCs und PC-Peripherie konzentriert und konnten immer die neueste Technologie anbieten - letzten Endes nur zum Vorteil des Anwenders.

Sehr viele Mitbewerber entwickeln auf diesem Standard und bieten Produkte an. Das impliziert wesentliche Preisvorteile - Kostenvorteile für den Anwender. Ein proprietärer, also ein von einem einzigen Hersteller kontrollierter und angebotener, Standard ist aus dieser Sicht deshalb absolut der falsche Weg. Deswegen haben sich neun sehr prominente Vertreter der PC-Industrie zusammengetan, gründeten die EISA-Gruppe und spezifizierten einen Peripherie- also den EISA-Bus.

- Wo steht die IBM heute hinsichtlich der MCA-Marktanteile in Deutschland?

Fasshauer: Im professionellen Bereich, in dem wir vor allem Rechner mit 386-Prozessoren vertreiben, sind nach GfK-Zahlen schon knapp 50 Prozent der in Deutschland ausgelieferten 386-PCs MCA-Maschinen. Dieser Trend setzt sich fort. Insgesamt bieten 38 deutsche Hersteller 87 Mikrokanalkarten an, weltweit sind es über 2700 Karten. Da wir auch bereits 19 Bus-Masterkarten vorweisen können und 157 IDs für die Entwicklung solcher Busmasters vergeben haben, wird der Trend zum MCA deutlich.

Barth: Die Zahlen überraschen mich sehr, denn man kann bei den Marktforschungsinstituten eigentlich ziemlich genau nachlesen, was der Marktanteil von MCA ist. Laut Dataquest beträgt der Marktanteil von MCA-Maschinen in Europa unter 13 Prozent - bezogen auf den gesamten Business-PC-Markt. Dieser Anteil ist in den letzter, Quartalen konstant geblieben, war sogar im ersten und zweiten Quartal 1989 leicht rückläufig. Das bestätigt, daß sich der MCA nicht durchsetzt. Zudem wissen wir von Anwendern, daß der Kauf eines IBM-Rechners in erster Linie eine Entscheidung zugunsten des Labels IBM ist und kein Votum für die Mikrokanalarchitektur darstellt. Zur Board-Problematik: Bei den MCA-Karten, die Herr Fasshauer jetzt zitiert, handelt es sich im wesentlichen, zu 90 Prozent, um umentwickelte Industriestandardkarten. Aus der Tatsache, daß die elektrischen und mechanischen Spezifikation des Mikrokanals eben nicht mehr identisch sind mit dem Industriestandard, ergab sich die Notwendigkeit, diese Karten neu zu entwickeln. Irgendwelche technischen Neuerungen wurden da nicht appliziert.

Der große Vorteil bei EISA ist demgegenüber, daß hier die Kompatibilität zu ISA-Standard-Karten - vollkommen gewährleistet ist. Das Bedeutete wir haben es nicht nur mit 2700 Karten, sondern sicherlich der dreifachen Menge zu tun, die heute im Industriestandard existieren. Und die sind in jeder EISA-Maschine vollkommen funktionsfähig. Es entstehen keine unnötigen Entwicklungskosten.

Fasshauer: Fachleute wissen, daß der AT-Bus - von dem aus Sicht der Kompatibilität gesprochen wird - mit 8 Megahertz getaktet wird. Wenn Sie auf diesem Kanal hohe Datenübertragungsraten erzielen wollen, schaffen Sie das auf einem alten herkömmlich getakteten Bus gar nicht mehr im Multitasking. Nehmen Sie etwa die neu entwickelten 16-Megabit-Token-Ring-Karten oder Speicherkarten, die in der Vergangenheit noch Geschwindigkeiten von 2.50 Nanosekunden hatten: Heute bewegen wir uns in Bereichen von 80 bis 40 Nanosekunden.

Diese Geschwindigkeitssteigerungen beziehungsweise die Möglichkeiten, die in neuen Kartenentwicklungen stecken, werden durch den alten AT-Bus gebremst. Bei Speicher-, Token-Ring- oder Festplatten-Controller-Karten kann man heute ganz andere Geschwindigkeiten realisieren. Dafür benötigt man aber auch einen dementsprechend schnellen Kanal.

Barth: Meiner Meinung nach kommen heute 16-Bit-Karten für viele Dinge zum Einsatz und reichen vollkommen aus für das, was der Anwender für seine Applikationen benötigt. Insofern ist der 16-Bit-Peripherie oder XF-Bus für die heutigen Applikationen durchaus notwendig. Man sollte übrigens eine technische Anmerkung machen: MCA ist nicht nur ein Peripherie-Bus! MCA stellt eine komplette neue Architektur des PCs dar. Wir reden aber bei EISA nur über den Peripheriebus, das heißt den Bus, der dem Anwender zugänglich ist. Und hier ist die Kompatibilität ein ganz wichtiges Argument, weil die Anwender draußen Tausende von ISA-Karten im Einsatz haben. Hier einen Bruch zu machen, ist absolut nicht im Interesse der Anwender.

- Läßt sich der zeitliche Vorsprung, den die IBM durch die fast zweieinhalbjährige Marktpräsenz mit MCA-Rechnern gewinnen konnte, von der EISA-Gruppe überhaupt noch aufholen?

Barth: Ich glaube, es ist falsch zu sagen, daß IBM mit MCA schon einen zweieinhalbjährigen Vorsprung hat. Es geht im wesentlichen nicht um MCA gegen ISA, sondern um MCA gegen den Industriestandard. EISA, der erweiterte Industriestandard, ist nur ein integraler Bestandteil dieses Industriestandards. Das Wichtige ist aber, daß der Anwender eine durchgängige Kompatibilität aller seiner Komponenten besitzt von acht Bit bis 16 Bit und 32 Bit.

Heute sind weltweit 26 Millionen Industriestandard-PCs installiert. Bei einer solchen Zahl kann man nicht sagen, daß der Industriestandard an einer Aufholjagd teilnehmen muß. Umgekehrt: Der Mikrokanal muß gegenüber dem Industriestandard gleichziehen. Denn heute sind lediglich drei Millionen MCA-Maschinen installiert, und wir können feststellen, daß die Anteile des MCAs stagnieren.

- Nach einer Untersuchung von Dataquest ist der IBM-Marktanteil in der Tat generell rückläufig, im letzten Quartal unter 20 Prozent gesunken. Bisher konnten die MCA-Produkte diese Entwicklung nicht aufhalten. Was wollen Sie dagegen tun?

Fasshauer: Diese Zahlen sind europäisch irgendwo aggregiert. Unsere Zahlen lassen wir für Deutschland von der GfK erheben. Die Zahlen, die ich vorhin nannte, gelten für Deutschland im Jahre 1989. Wir wissen, was die Händler welche Produkte verkaufen. Wenn Sie sagen, unsere Marktanteile gehen zurück, dann kann ich dem so nicht zustimmen. Die IBM wird im Business-PC-Markt in diesem Jahr in der Bundesrepublik 500 000 installieren. Zum Thema Kompatibilität möchte ich folgendes sagen: Die alten, langsamen Karten, die auf dem 8Megahertz-Bus laufen, sind doch gar nicht mehr gefragt. Heute investiert man in schnelle, moderne Technologie. Es wird niemandem einfallen, auf einem 386er-Prozessor alte AT-Speicherkarten zu stecken. Die laufen da gar nicht richtig. Dieser Erhaltungstrieb ist insofern auch nicht da. Die Anwender wollen neueste Technologie, weil sie dann langfristig Anwendungen, die sie laufen lassen wollen, auch laufen lassen können.

Außerdem - das zeichnete sich schon auf den ISA-Maschinen ab - ist Multitasking nicht nur eine leere Hülse. Die Anwender wollen Multitasking. Dazu brauchen sie leistungsfähige Bussysteme, und leistungsfähige Peripherie-Geräte. Der Mikrokanal ist ein hochintelligentes Prozessorsystem und nicht einfach ein Datentransfer-Mechanismus. Multitasking-Anwendungen, die sich bei Hunderten unserer Kunden in der Planung befinden, sind ohne MCA nicht denkbar. Insofern sollen da nicht einfach nur alte Welten gerettet werden. Hier geht es um langfristige Investitionen.

- Warum schließt Compaq Lizenzvereinbarungen mit der Firma IBM ab, die auch den Mikrokanal betreffen?

Barth:Zuerst einen kurzen Kommentar zu dem, was Herr Fasshauer gesagt hat: Da gab es einige Dinge, in denen ich absolut nicht übereinstimmen kann. Der Business-PC-Markt beträgt nach Ansicht vieler Fachleute eine Million Einheiten und nicht 500 000. Berechnet man auf dieser Basis den MCA-Anteil, dann bekommt man auch nur den halben Marktanteil.

Was nun die der alten Speicherkarten betrifft: Compaq war der erste PC-Hersteller, der 1986 einen 32-Bit-PC auf den Markt gebracht hat. Deswegen haben wir fortschrittlichere Speicherkarten einsetzen müssen, eben 32-Bit-breite Speicherkarten. Das haben wir gelöst, indem wir schon damals einen 32Bit-Bus einführten - allerdings nur zwischen der CPU und dem Arbeitsspeicher.

Der zweite Bus - eben der 16-Bit-Peripheriebus - ist für den Anwender zugänglich für Peripheriekarten. Dieser 16-Bit-Peripheriebus reicht für alle heutigen Anwendungen aus. Für Abteilungsrechnerfunktionen, für Mehrplatzrechner, für Server in schnellen Netzwerken, ist ein hoher Datentransfer im Peripheriebus notwendig. Hier muß man eine Migration zum 32-Bit-Peripherie-Bus machen. Aber man sollte das unter Beibehaltung der Kompatibilität zum bestehenden Standard machen.

Ein anderes Mißverständnis, das von IBM gerne in die Welt gesetzt wird, ist die Verbindung von OS/2 und Mikrokanal: Hier wird absolut irreführend argumentiert. OS/2 ist ein Betriebssystem, das nichts mit dem Microkanal zu tun hat. Es läuft genauso gut, wenn nicht noch besser, auf den Maschinen von Compaq und anderer Hersteller, die dem Industriestandard entsprechen. Mikrokanal ist eine Hardware-Definition, die nichts mit dem Betriebssoftware zu tun hat.

Dieses Lizenzabkommen hat im Prinzip nichts mit dem Mikrokanal zu tun. Es beinhaltet zwar auch den Mikrokanal, aber es geht viel weiter als das. Die PC-Industrie hat einen offenen Standard. Dieser Standard ist Anfang der 80er Jahre von IBM definiert worden. IBM hält sehr viele Patente in diesem Bereich, und jeder PC-Hersteller, der auf diesem Sektor tätig ist, muß eigentlich damit rechnen, irgendwann mal rechtliche Schwierigkeiten mit den Patentinhabern zu bekommen.

Wir haben schon lange, bevor der Mikrokanal überhaupt eingeführt wurde, mit IBM über diese Patente beziehungsweise Lizenzen verhandelt. Jetzt, 1989, ist es zu einem Abschluß gekommen - zu einem gegenseitigem Lizenzabkommen. Dieses gibt IBM das Recht, Compaq-Patente zu nutzen und uns, alle diesbezüglichen IBM-Patente. Aber wir haben weder etwas in der Entwicklung, was Mikrokanal angeht, noch planen wir irgendetwas auf diesem Sektor.

Fasshauer: Ich finde es toll, wenn Herr Barth sagt, wir brauchten in Zukunft 32-Bit-Kanalsysteme. Alle Kunden, die in den letzten zwei Jahren IBM-Systeme mit Mikrokanalarchitektur gekauft haben, sind also sehr gut dran, weil sie nämlich solch ein Produkt haben und somit investitionsgeschützt sind für die Zukunft.

Wir sagen nicht, OS/2 und Mikrokanal seien eine Verbindung, sondern meinen, wenn man das OS/2-Multitasking implementieren will, dann ergibt sich daraus eine ganz explizite Forderung an das System: Man braucht ein leistungsfähiges Kanalsystem, damit die Anwendungen parallel laufen können. Das heißt, wenn der Prozessor Anwendungen abarbeitet und parallel dazu andere Arbeiten auf dem Kanal gemacht werden - und das können mehr als zwei Tasks sein -, dann benötigt man hierzu ein Kanalsystem, das auch eine Prioritätensteuerung vornehmen kann. Eine Realtime-Anwendung muß also prioritätsmäßig von diesem Kanal zuerst bedient werden. Unterstützt ein Bussystem so etwas nicht, dann nützt einem auch das ganze Multitasking nichts. Genau diese Prioritätensteuerung ist aber im Mikrokanal implementiert. Es ist also mehr als einfach ein 32-Bit-Bussystem.

Die Gunst der Stunde

Selten wohl wurde der Anwender so von den PC-Herstellern umworben wie jetzt. Selten auch erlebt die Branche so unruhige Zeiten, denn sie befindet sich im technologischen Umbruch. Intels 486-Prozessor im April und Zenith auf der Herbst-Comdex 1988 vorgestellter Prototyp eines Mehrprozessor-PCs auf 386-Basis deuten den Technologieschub an.

Voll im Zeitplan präsentieren nun nach eineinhalb Jahren der Planung und Entwicklung immer mehr Unternehmen ihre EISA-Rechner. Multiprozessoren, 32-Bit-Kanal-Architekturen und ein zunehmendes Angebot an hochleistungsfähigen Peripheriebausteinen bescheren dem Anwender ein Weihnachten wie lange nicht mehr.

Mit den neuen Produkten werden alte älter. Drum muß sich, was nicht mehr Stand der Technik repräsentiert, so teuer als möglich verkaufen. Also werden 386-Rechner immer preisgünstiger. All das bedeutet Konkurrenzkampf- Harter Preispoker, steigendes Qualitätsniveau und Hersteller, die nicht müde, werden, das hohe Lied ihrer investitionssicheren Produkte anzustimmen. 1989 stand im Zeichen des PCs - es war das Jahr des Anwenders. jm