CeBIT-Motto Shareconomy

Mehrwerte durch Teilen - IT macht’s möglich

18.02.2013
Von 
Uwe Küll ist freier Journalist in München.
Der Begriff Shareconomy weckt eine Reihe von Assoziationen. Je nach Kontext ist das Wort Teilen unterschiedlich besetzt. Manche Beobachter der IT-Szene fragen sich daher: Ist Shareconomy unterm Strich ein positiver, innovationsfördernder Trend?

Als die CeBIT-Macher ihr Leitthema Shareconomy im September 2012 vorstellten, begründete Frank Pörschmann, Vorstand der Deutschen Messe AG, die Entscheidung damit, dass das "Phänomen Sharing" sich als "wesentliche Voraussetzung für verantwortungsvolles Wachstum" herausbilde. Tatsächlich eröffnet der Begriff eine Vielzahl unterschiedlicher Deutungsmöglichkeiten. Vom Car-Sharing über das Teilen von Fotos und Nachrichten im Social Web bis hin zu Collaboration-Szenarien in virtuellen Teams reicht die Palette der Assoziationen. Immer geht es darum, dass im Teilen - von Ressourcen, Risiken und Wissen - das Potenzial für Mehrwerte steckt. Doch ist das wirklich immer so? Und welche Rolle spielt die IT dabei?

Teilen und Geld verdienen passt nicht immer zusammen, meint IDC-Analyst Rüdiger Spies.
Teilen und Geld verdienen passt nicht immer zusammen, meint IDC-Analyst Rüdiger Spies.
Foto: IDC

Rüdiger Spies, IDC-Analyst, Patentanwalt und Experte für Intellectual Property in der IT, sieht - zumindest bezogen auf die Geschäftsmodelle mancher Unternehmen - den Begriff Shareconomy als nicht ganz unproblematisch an: "Phänomene wie Shareware und File Sharing stehen im Widerspruch zum herrschenden Verständnis von Economy in der IT-Industrie." Die derzeitige Popularität des "Sharing" dürfe nicht darüber hinwegtäuschen, dass für eine professionelle Leistung - auch im Netz - eine finanzielle Gegenleistung zu erbringen sei. "Sonst landen wir wieder beim Tauschhandel, und das will kein Geschäftsführer oder Vorstand." Außerdem ließen sich allein mit Tauschgeschäften die komplexen Abläufe in der globalen Wirtschaft nicht abbilden.

Andreas Stiehler, Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC), betont eher die Chancen: "Wenn man sich mit der Frage beschäftigt, wo und wie Firmen heute noch produktiver werden können, dann geht es in erster Linie um eine Optimierung des Wissensflusses und der Zusammenarbeit im Unternehmen und über Unternehmensgrenzen hinweg. Diese Prozesse lassen sich mit Unterstützung der IT optimieren, doch sie betreffen prinzipiell alle Firmen weltweit, ganz unabhängig von der Branche und der jeweiligen Unternehmensgröße."

Karsten Sontow, Vorstand der Trovarit AG in Aachen, die Unternehmen bei der Auswahl von Business-Software unterstützt, weist in diesem Zusammenhang auf die zentrale Bedeutung der betriebswirtschaftlichen Standardsoftware hin: "Die Hardware und Software, die ein schnelles und umfassendes Teilen von Wissen ermöglicht, verändert nicht nur die IT-Landschaften in den Unternehmen, sondern auch die Art und Weise, wie Geschäftsprozesse geplant und gesteuert werden." Insofern erreiche die Shareconomy auch die ERP-Systeme, die diese geänderten Prozesse möglichst umfassend unterstützen müssten.

Hilft Anwendern, die richtige Business-Software zu finden: Karsten Sontow, Trovarit.
Hilft Anwendern, die richtige Business-Software zu finden: Karsten Sontow, Trovarit.

Die Trovarit AG stellt in der ERP-Area der CeBIT mit einem Fachforum (Halle 5, A50) und Guided Tours die Lösungspotenziale von ERP-Software unterschiedlicher Hersteller in Shareconomy-Szenarien vor. Die Besucher können unter anderem Live-System-Vergleiche erwarten, in denen verschiedene Anbieter ihre Lösung für ein vorgegebenes Szenario dem Messe-Publikum live demonstrieren.

Dass das Thema Shareconomy kein akademisches ist, zeigt die Einschätzung von Alexander Holst, Leiter Sustainability Services im Beratungshaus Accenture: "Die Shareconomy wird an die Unternehmen aus zwei Richtungen herangetragen: Von innen durch ihre Mitarbeiter und deren selbstverständlichen Umgang mit Social Media und mobilen Geräten und von außen durch Kunden und Partner, die eine moderne IT-Infrastruktur mit Schnittstellen nach außen erwarten. Die Aufgabe der Unternehmen ist es jetzt, die technischen Grundlagen dafür zu schaffen. Denn nur so können sie die Datenhoheit behalten und verhindern, dass sich im Unternehmen eine Schatten-IT etabliert." Als gutes Fundament für eine Shareconomy haben sich laut Holst Platform-as-a-Service-(PaaS)-Architekturen erwiesen. Sie bieten den Unternehmen die notwendige Flexibilität, um beispielsweise IT-Prozesse schnell an Marktveränderungen anzupassen. Auf solchen Plattformen könnten durch agile Entwicklungsmethoden schnell so genannte Mashups aufgesetzt werden - also Webapplikationen, die bestehende interne und externe Daten nutzen und neue Funktionen und Mehrwerte bieten. Ein Beispiel sind digitale Landkarten und Staumeldungen, die in Vertriebssoftware integriert werden.

Tripdiscover.de - Reisende teilen Informationen

Als ein weiteres Beispiel führt Holst die Reiseplattform tripdiscover.de an, die Accenture im Auftrag der Deutschen Telekom umgesetzt hat: "Die Webseite bündelt Urlaubsbilder und vorhandene Reiseinformation über verschiedene Schnittstellen. Außerdem können Anwender ihre Erfahrungen und ihr Wissen auf der Seite direkt teilen. Intelligente Algorithmen helfen den Moderatoren dann unter anderem bei der Bildauswahl. Gleichzeitig wird ständig das Feedback der Nutzer gesammelt. Daraus leiten die Entwickler neue Funktionen ab und bieten ständig bessere Suchergebnisse und neue, relevante Destinationen. Der Nutzer bekommt dadurch eine Urlaubsberatung, wie er sie bisher nur im Reisebüro erhalten hat. Die Deutsche Telekom wiederum erschließt sich mit Online-Reiseberatung und -buchung neue Märkte. Die Anwender bekommen auf der anderen Seite eine einheitliche Plattform, die sich aus den Inhalten vieler verschiedener sozialer Netzwerke speist."

Messemacher Frank Pörschmann steht zum CeBIT-Motto Shareconomy.
Messemacher Frank Pörschmann steht zum CeBIT-Motto Shareconomy.
Foto: Deutsche Messe AG

Auch BMWs Car Sharing-Angebot DriveNow zeigt für Holst die wirtschaftlichen Chancen des Teilens auf: "Der Autohersteller bietet mit DriveNow nicht nur ein eigenes Carsharing-Angebot, sondern nutzt DriveNow auch als Marketingplattform für seine neuen Autos. Damit hofft BMW, die Kundenbindung auszubauen: Junge Städter, die durch Carsharing gute Erfahrungen mit einem Auto gemacht haben, kaufen sich vielleicht später eines, wenn sie aufs Land oder in die Vorstadt ziehen."

Holst empfiehlt deshalb: "Unternehmen in Deutschland sollten sich jetzt Gedanken machen, wie sie den Trend Shareconomy am besten für sich nutzen. Die Entwicklung lässt sich aus zwei Gründen nicht aufhalten: Es wächst eine Generation heran, für die andere Dinge wichtiger sind als der Besitz von Statussymbolen, und wir müssen unsere Ressourcen effizienter einsetzen, wenn wir nachhaltig leben wollen."

Nutzen statt Besitzen: Dieser Idee kommt Software as a Service entgegen, so Sage-Chef Dewald.
Nutzen statt Besitzen: Dieser Idee kommt Software as a Service entgegen, so Sage-Chef Dewald.
Foto: Sage Software

Der Trend zum "Nutzen statt Besitzen" ist besonders im Software-Markt zu beobachten. Immer mehr Kunden wollen Softwarelösungen nicht besitzen - also auch installieren, warten und pflegen -, sondern einfach nur nutzen. Hersteller wie Sage Software bieten deshalb immer mehr Produkte auf Basis dieses Modells an. Von der Online-basierenden Lohnabrechnung "einfachLohn" für kleine Unternehmen bis zur umfassenden Buchhaltungs- und Warenwirtschaftslösung "Office Line 24" für mittelständische Firmen.

"Es geht auch um mobile Lösungen"

"Nicht nur Cloud-Produkte sind gefragt, auch mobile Lösungen. Die Nutzer wollen, wie im privaten Umfeld auch, über ihre Smartphones und Tablets einen direkten Zugriff auf wichtige Daten haben und so Informationen teilen", erläutert Peter Dewald, Geschäftsführer der Sage Software GmbH, den Trend. Auch Jochen Jaser, CEO der Matrix42 AG, betont den Zusammenhang zwischen Shareconomy und Cloud Computing, respektive Software as a Service: "In der Wirtschaft geht es zunehmend darum, Wissen zu teilen und neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Damit das funktioniert, müssen die IT-Abteilungen der Unternehmen ein reibungsloses Zusammenspiel physischer, virtueller und mobiler Endgeräte garantieren. Für dieses von Gartner als ‚Workplace Management‘ bezeichnete Vorgehen, bietet Matrix42 eine ganzheitliche Lösung - ab sofort auch in der Cloud."

Zu den Vorreitern dieser Entwicklung gehört zweifellos der CRM-Anbieter salesforce.com. Das amerikanische Unternehmen bietet seine Lösung nicht nur seit Jahren als Browser-basierten Online-Service an, sondern hat mit dem Modul "Chatter" das Prinzip des Social Networking in die Unternehmensprozesse eingeführt. Joachim Schreiner, Area Vice President Central Europe bei salesforce.com, beurteilt das Thema Shareconomy so: "Der Aspekt des Gemeinschaftskonsums - das Teilen und gemeinsame Nutzen von Wissen, Ressourcen und Erfahrungen - rückt immer mehr ins Zentrum. In erfolgreichen Unternehmen sind moderne Instrumente, die ein schnelles und umfassendes Teilen von Wissen ermöglichen, bereits jetzt Realität. Dabei können sich die Unternehmen mit der Unterstützung von innovativen Cloud-Technologien nicht nur mit ihren Kunden, sondern auch Partnern und Mitarbeitern vernetzen und erreichen dadurch eine völlig neue Art und Weise der Kommunikation."

Allerdings ist die hohe Bereitschaft der Social-Web-Nutzer, Informationen zu teilen, noch kein Garant für die Wirtschaftlichkeit solcher Ansätze. "Höhere Umsätze und Erträge mittels Facebook, Twitter, Wiki, Google Plus & Co sind keine Selbstläufer", gibt Andreas Schulz-Dieterich, Business Consultant bei Materna, zu Bedenken. "Der komplette Portal-Auftritt des Unternehmens muss auf das neue Kommunikations-, Dialog- und Informationsmanagement-Paradigma abgestimmt werden." Die Interaktion zwischen den Beteiligten laufe nun dynamisch, formlos, unvorhersehbar, damit unplanbar sowie netzwerkartig ab. "Um sich die Fitness für diese Art der Interaktion anzueignen, muss den Mitarbeitern jenseits bestehender Hierarchien mehr Handlungsfreiraum zugestanden werden", rät Schulz-Dieterich.

"Die Unternehmen müssen ihr Privileg auf Deutungshoheit preisgeben, um offen kommunizieren und eingehende Informationen vorbehaltlos bewerten zu können, bei einem meist offenen Ergebnis", sagt der Materna-Manager. Um Informationen und Dokumente mit Social-Media-Teilnehmern austauschen zu können, müssen die Mitarbeiter außerdem direkten Zugriff auf kollaborative Anwendungen wie RSS-Feeds, Blogs, Foren und Wikis erhalten.

Wie Unternehmen diese Offenheit leben und dabei gleichzeitig Sicherheit und Compliance ihrer IT gewährleisten, dürfte in Zukunft eine entscheidende Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen spielen. IDC-Analyst Spies rät: "Wer sich für das Prinzip der Shareconomy entscheidet, sollte sich vorher genau überlegen, wer was mit wem teilen darf. Und die IT muss sicherstellen können, dass diese Regeln auch eingehalten werden." (hv)