Mangelware Bandbreite

12.01.2009
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Das Datenvolumen im Corporate Network explodiert, der Rich Media Content wächst ständig - damit wird Bandbreite wieder zum knappen Gut. Einen Ausweg aus diesem Dilemma eröffnet die "WAN Optimization".

Bandbreite wird Commodity, mit Breitbandnetzen wird künftig niemand mehr Geld verdienen - so oder ähnlich klangen vor wenigen Jahren auf dem Höhepunkt des Dotcom-Hypes die Analysen zur Zukunft des Breitbandmarktes. Heute können sich Netzwerk-Manager angesichts dieser Prognosen nur noch verwundert die Augen reiben, denn die Realität sieht anders aus: Das WAN wird immer mehr zum Nadelöhr.

Produktivitätsbremse WAN

Welche Konsequenzen das in der Praxis hat, verdeutlicht ein Beispiel: Im Auslieferungslager eines deutschen Sportartikelherstellers stürzten täglich zwischen 9 und 11 Uhr die SAP-Anwendungen ab, so dass keine neuen Lieferungen kommissioniert werden konnten. Die Ursachenforschung gestaltete sich mühsam und aufwändig, denn weder bei der SAP-Implementierung war ein Fehler zu finden noch in der WAN-Anbindung selbst. Als des Rätsels Lösung entpuppten sich schließlich die Virenscanner: Täglich luden zur gleichen Zeit zahlreiche Rechner die aktuellen Virensignaturen herunter. Dabei verbrauchten sie so viel Bandbreite, dass die Echtzeitanwendung SAP in die Knie ging.

Fehlersuche

Wie das Beispiel zeigt, führt der Versuch, eine singuläre Ursache zu suchen, schnell auf einen Irrweg. Zumal verschiedene Entwicklungen und Paradigmenwechsel die immer größeren Engpässe hervorgerufen haben. So gibt es zwar auf WAN-Seite schnelle dedizierte Glasfaserverbindungen, doch sie kommen etwa für die Vernetzung von Zweigstellen oft aus Kostengründen nicht in Frage. Erschwerend kommt hinzu, dass in einer globalen Wirtschaft nicht an jedem Standort Glasfasern bis zum Gebäude verfügbar sind und auf Techniken wie DSL oder Funk beziehungsweise Mobilfunk ausgewichen werden muss. Im Zusammenhang mit DSL wird dabei häufig der Fehler begangen, dass das Preiskonstrukt des Consumer-Segments auf die Enterprise-Ansprüche projiziert wird. Dieser Vergleich hinkt jedoch, da die Anschlüsse für Privathaushalte in der Regel den QoS-Anforderungen im Unternehmensumfeld nicht gerecht werden. Und der Mobilfunk ist selbst in Zeiten von UMTS und HSDPA ein Kapitel für sich, wie viele Unternehmen wissen, die mobile Mitarbeiter unterwegs mit Echtzeitanwendungen versorgen müssen.

Hausgemachte Ursachen

Allerdings sind die Ursachen für WAN-Engpässe auch hausgemacht. Denn egal, ob es sich um die Konsolidierung von Rechenzentren dreht, eine Rezentralisierung ansteht, Unternehmen mit Software as a Service (SaaS) oder Cloud Computing liebäugeln, auf Terminal-Server-Applikationen migrieren oder die Einführung von VoIP oder gar Unified Communications ansteht, unter dem Strich steigen die Anforderungen an die Netzinfrastruktur. Was sich vor Ort, im LAN, noch mit einer Migration auf Gigabit Ethernet abfangen lässt, führt im WAN schnell zu Engpässen.

Problemfall WAN

  • Lange Reaktionszeiten von Anwendungen;

  • Echtzeitanwendungen wie SAP oder VoIP kämpfen mit Ausfällen;

  • Übertragung großer Dateien dauert lange;

  • Bandbreiten-Upgrade nicht bezahlbar;

  • WAN-Kosten explodieren aufgrund von Rechenzentrums-Konsolidierung etc.;

  • zu lange Latenzzeiten im Mobilfunk;

  • DSL häufig mit ungenügender QoS.

Last, but not least existiert noch ein drittes Problemfeld: Geschwätzige Applikationen beziehungsweise Protokolle, die die knappe und teure Ressource WAN-Bandbreite mit unnötigem Datenverkehr zumüllen. Als besonders kommunikationsfreudig entpuppen sich in diesem Zusammenhang beispielsweise CIFS (Common Internet File System), das von Microsoft 1996 als erweiterte Version von SMB eingeführt wurde, oder die diversen Messaging-Protokolle. Ungeschickt implementierte Applikationen wie etwa Citrix fressen ebenfalls schnell kostbare Bandbreite.

Die Preiskarte ist ausgereizt

Auf der Suche nach einem Ausweg aus diesem Dilemma kommt in Zeiten knapper IT-Budgets für die meisten IT-Abteilungen die naheliegende Lösung eines Bandbreiten-Upgrades nicht in Betracht. Eher trifft das Gegenteil zu: Das Weitverkehrsnetz hat mehr Anwendungen zu bewältigen, und gleichzeitig sollen die Kosten stabil gehalten, wenn nicht gar gesenkt werden. Nur an der Preisschraube können die meisten Netzadministratoren häufig nicht mehr drehen, da sie bereits in der Vergangenheit die bestmöglichen Konditionen ausgehandelt haben. Unter dem Strich drückt der WAN-Schuh die Netzverantwortlichen also gleich an mehreren Stellen - und es führt kaum ein Weg an der Optimierung des erzeugten Datenverkehrs vorbei, wenn sie den Imperativ "Mehr mit weniger Ressourcen" erfüllen wollen.

Dabei umfasst das Thema WAN-Optimierung - im Rückgriff auf eine Definition von Gartner - gleich mehrere Felder. So führen nach Ansicht der Gartner-Analysten Severine Real und Joe Skorupa Techniken wie Bandbreiten-Management (QoS), Datenkomprimierung, Caching und Protokoll-Optimierung zum Ziel und helfen, Engpässe bei Bandbreite, Latenzzeit oder den Protokollschwachstellen zu überwinden. Für scharf kalkulierende Großunternehmen ist dabei laut Gartner die WAN-Optimierung längst kein Exotenthema mehr. Nach einer Studie des Beratungshauses nutzen bereits 34 Prozent von 422 befragten Großunternehmen entsprechende Verfahren, und 28 Prozent planen deren Einführung. Die Motivation ist dabei meist die gleiche: kürzere Antwortzeiten und eine bessere Ausnutzung der vorhandenen WAN-Verbindungen, um kostentreibende Upgrades zu vermeiden.

Server-Anschaffung gespart

Häufig können so auch Investitionen in zusätzliches IT-Equipment vermieden werden, wie das Beispiel eines US-amerikanischen Maschinenbauers zeigt. Das Unternehmen stand vor dem Problem, dass die Mitarbeiter in der deutschen Niederlassung teilweise bis zu einer Stunde warten mussten, bis die Directories auf den Servern in der Zentrale auch auf ihren PCs zugänglich waren. Die klassische Lösung, die Installation eines eigenen Servers in der Zweigstelle, hätte das Unternehmen rund 100 000 Dollar für Hardware und Softwarelizenzen gekostet. Eine WAN-Optimization-Appliance schlug nur mit 17 000 Dollar zu Buche.

Das bringt WAN-Optimierung

  • Einsparung von Übertragungskosten;

  • besseres Antwortverhalten von Anwendungen;

  • schnellerer Datenzugriff;

  • Echtzeitanwendungen wie VoIP oder SAP laufen flüssiger;

  • weniger Netzkapazität benötigt;

  • Backup-Fenster für Zweigstellen können kürzer gewählt werden;

  • Daten-Recovery aus der Ferne ist im Problemfall schneller zu bewältigen.

Auch wenn die Vorteile der WAN-Optimierung auf der Hand liegen, sollte eines nicht vergessen werden: Die Realisierung entsprechender Projekte ist alles andere als trivial. Oder wie es unsere US-amerikanischen Kollegen von der "Network World" kürzlich formulierten: "WAN Optimization: Useful, still not well understood". Neben den technischen Fallstricken (siehe Seite 14 ) - ist noch ein anderer Aspekt zu bedenken: Ähnlich wie bei der Konvergenz von Telekommunikation und Datenwelt müssen jetzt Mitarbeiter zusammenarbeiten, die zuvor meist in getrennten Abteilungen organisiert waren. Während die Netzwerke mit ihren Routern und Switches sich in der Regel auf den Ebenen 1 bis 3 des OSI-Schichtenmodells bewegen und nur zum Teil bei Access Lists oder QoS-Fragen auf dem Layer 4 aktiv werden, ist die typische Domäne der Anwendungsentwicklung und -betreuung die OSI-Ebene 5 bis 7.

Organisatorische Probleme

Grenzen, an die sich eine Appliance zur WAN-Optimierung aber nicht hält. Konfiguriert werden die Geräte ähnlich wie Router oder Switches per Kommandozeile oder grafische Benutzeroberfläche, die sehr stark an Netzwerkprodukte angelehnt sind. Auf der anderen Seite verhalten sich die Geräte wie Application Proxies, die auf dem Applikations-Layer arbeiten. Um hier den größten Mehrwert zu erzielen, sind bei der Konfiguration der Appliance Detailkenntnisse über das Verhalten und die Anforderungen der einzelnen Anwendungen erforderlich. Wer also die bestmögliche WAN-Beschleunigung will, muss teamübergreifend arbeiten oder unter Umständen seine Organisation umstrukturieren, um den geänderten Anforderungen gerecht zu werden. Zwar versuchen die Hersteller entsprechender Produkte ihr Bestes, um die Konfiguration zu vereinfachen - von einem echten Plug and Play sind sie aber noch meilenweit entfernt. Große, teilweise weltweit agierende Unternehmen sollten zudem, so Dirk Pfefferle, Manager bei Netzanbieter Verizon Business, zentrale Entscheidungsprozesse einführen, denn eine WAN-Optimierung könne nur dann funktionieren, wenn die Anforderungen standort-übergreifend definiert werden.