Lieber für XOpen

11.11.1988

Es ist kein Zufall, daß sich nun auch deutsche Bundes- und Landesbehörden für den herstellerunabhängigen X/Open-Anwendungsstandard CAE (Common Applications Environment) als DV-Beschaffungsrichtlinie ausgesprochen haben (Seite 1: "Bonn will X/Open-Standard verbindlich machen"). Das Bundesinnenministerium und die Regierung von Nordrhein-Westfalen wissen sich in guter europäischer Gesellschaft. Worum es geht, ist, sich aus der Umklammerung durch die Hardware-Hersteller zu lösen und so die Investitionen in die Anwendungssoftware zu sichern.

Die Entscheidung zeugt von Weitsicht und Entschlossenheit, sich nämlich durch das aktuelle Gerangel der DV-Hersteller um den "richtigen" Betriebssystemkern (Archer-Group contra OSF) nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Für die Regierungsbehörden ist das kein Kernthema mehr: Der "X/Open Portability Guide", Grundlage der neuen DV-Beschaffungsrichtlinien, spezifiziert die einheitliche Anwendungsumgebung, eben "CAE", die Hardwarehersteller und Softwarehäuser unterstützen müssen, wenn sie ins Geschäft kommen wollen. Das wird IBM & Co. Beine machen.

Das Behörden-Diktat stellt aber keine Garantie dar, daß sich die Branchenfürsten im "normalen" Anbieterleben gegenüber den Anwendern der nichtöffentlichen Hand auch CAE-konform verhalten. Schlimmer ist, daß X/Open bei den privaten Anwendern in der Bundesrepublik noch keine starke Lobby besitzt. Ausnahmen (Daimler Benz, Colonia Versicherung) bestätigen die Regel. Solange das so ist, werden AIX-beliebige Aussagen der IBM über herstellerunabhängige Standards Lippenbekenntnisse bleiben. Unix: ja, aber bitte mit SAAhne!

So werden die X/Open-Träume immer wieder von der Wirklichkeit eingeholt. Mehr noch: Das OSF-Marketing (Unix oder doch AIX oder gar nix?) hat zu einer erheblichen Verunsicherung bei den Anwendern geführt. Das Doppelspiel der IBM (AS/400 ohne AIX; vor allem aber SAA) sollte Grund zum Nachdenken geben, zumindest zu der Frage animieren: Was will Big Blue wirklich?

Wir wissen es auch nicht. Aber wer "Unix" und "X/Open" als Symbole der Befreiungsbewegung der Anwender sieht, wie die CW, hat kein Verständnis dafür, daß der Mainframe-Monopolist auch noch hofiert wird. Gäbe es nämlich keine "proprietäre" Diktatur der IBM, gestützt auf Systeme wie MVS, VSE, IMS, DB2, SNA, OS/400, RPG, PL/1 etc., wären Gegenkräfte überflüssig, hätten wir - in einem offenen Markt, längst "Unix"-Verhältnisse. Warum sollten Behörden in dieser Sache nicht einmal Vorbild für die privaten Anwender sein?