Leserbriefe/Zukunft wird ohne Zweifel objektorientiert

22.12.1995

Betrifft Leserbrief in CW Nr. 47 vom 24. November 1995, Seite 8: "OO-Cobol: Desolate Situation"

In dem genannten Leserbrief hat Herr Hagen Cyrus, der immerhin einen namhaften Cobol-Compiler-Hersteller vertritt, von einer desolaten Situation bezueglich OO-Cobol gesprochen. Fruehzeitige Implementierungen der Spracherweiterung wuerden die Arbeit an einem gemeinsamen Standard erschweren und daher mehr schaden als nutzen.

Ich frage mich, welchen desolaten Zustand Herr Cyrus meint. Etwa den im eigenen Unternehmen, das bis heute noch nichts beziehungsweise nur Ablehnendes zum neuen Cobol-Standard verlauten liess?

Wenn das, was Herr Cyrus behauptet hat, wirklich stimmen wuerde, dann muesste sich die C++-Gemeinde in einer geradezu katastrophalen Situation befinden. Dort gibt es bereits seit einigen Jahren die unterschiedlichsten Dialekte, und Tausende von Programmierern haben damit in der Vergangenheit Hunderte (bestimmt viel mehr) Applikationen unterschiedlichster Qualitaet erstellt. Es ist beispielsweise nur mit Muehe moeglich, einen C++-Source zu schreiben, den man gleichermassen mit einem Microsoft- und einem Borland-Compiler uebersetzen kann. Und selbst wenn man dies erreicht, ist noch lange nicht sicher, ob beide Programme auch dasselbe machen.

Eben genannte Hersteller sind sich bis heute nicht einig, wann ein dynamisch erzeugtes Objekt wieder abgebaut werden soll: am Ende einer Funktion? Am Ende des Programmes? Ueberhaupt? An eine Kombination verschiedener Programmbibliotheken unterschiedlicher Hersteller ist ueberhaupt nicht zu denken. In der diesjaehrigen Ausgabe Nr. 35 der CW vom 1. September ist auf Seite 4 zu lesen, dass Anfang 1996 (!) endlich ein einheitlicher Standard fuer C++ kommen soll. Erst dann wird es moeglich sein, plattformuebergreifend zu programmieren. Damit ist uns Cobol-Programmierern die C++-Welt gerade einmal eineinhalb Jahre voraus.

Aeusserungen wie die von Herrn Cyrus koennen nur dazu dienen, Object- Cobol zu behindern, und zielen auf die Ewiggestrigen, die Angst vor neuen Sprachentwicklungen haben und sich nichts mehr als ANSI- 74 wuenschen.

Die Tatsache, dass sowohl Micro Focus als auch IBM bereit sind, so fruehzeitig eigene Implementierungen auf den Markt zu bringen, zeigt, dass es beiden um das Bestehen von Cobol in der Zukunft geht, die ohne Zweifel objektorientiert sein wird.

Uwe Rozanski, 91111 Schwabach