Transatlantische Zusammenarbeit: Studenten entwickeln für die Industrie

Lernen von den Amis

23.04.1999
Zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt der Deutsch-Amerikaner Bernd Brügge an der TU München. Die Informatikstudenten arbeiten dort an einem Projekt für die Großen der Industrie und das gemeinsam mit Kommilitonen aus Pittsburgh.

von Ingrid Weidner*

Am Lehrstuhl für Angewandte Software-Technik von Bernd Brügge an der TU München (TUM) beschäftigt sich eine studentische Arbeitsgruppe neben der vierstündigen Vorlesung zum Thema Software-Engineering mit dem Projekt "Paid" (Platform for Active Information Dissemination). Dabei wird großer Wert auf Praxis gelegt.

Die Studenten entwickeln ein Programm, mit dem Daimler-Chrysler Informationen schneller zu den einzelnen Händlern schicken kann. Bisher geschieht das noch per Post oder mit CD-ROMs - ein sehr umständliches und kostenintensives Verfahren. Paid soll nun eine elegantere Lösung finden. Insgesamt nehmen 66 Studenten an diesem Projekt teil, von denen 36 an der TU München und 30 an der Carnegie Mellon University (CMU) in Pittsburgh studieren.

Wie funktioniert ein transatlantisches Projekt, an dem zwei Universitäten beteiligt sind? Im vergangenen Herbst begannen die CMU-Studenten mit dem ersten Teil der Arbeit. Anfang Dezember saßen die Münchner Studenten gebannt vor den Bildschirmen, als ihre Kommilitonen aus den USA ihre Ergebnisse in einer Abschlußpräsentation vorstellten. Im Frühjahr 1999 werden sie an der Reihe sein, denn auch in München wird es eine Videokonferenz geben, in der die Studenten ihr Konzept für das Transfersystem vorstellen.

Die Studenten erhielten das vom Auftraggeber formulierte Problem und analysierten zunächst die Ergebnisse ihrer amerikanischen Kommilitonen, um dann im zweiten Teil ein eigenes Modell zu entwickeln.

"Anfangs war es kompliziert herauszufinden, was wir eigentlich machen sollen", erklärt Asa MacWilliams, einer der Münchner Studenten, "denn im Gegensatz zu anderen Praktika ging es hier nicht um eine kleine, überschaubare Programmieraufgabe, die sich

IT-Konzerne unterstützen TU-Projekt

jemand für uns ausgedacht hatte, sondern um ein richtiges Problem." Und somit sind die Studenten mitten in der Praxis, denn Software-Engineering heißt vor allem, sich genau mit der Aufgabenstellung zu beschäftigen und die Wünsche des Kunden zu klären, bevor die Programmierarbeit beginnt.

"Dieses Praktikum hatte eine lange und intensive Vorbereitungszeit", erzählt Günter Teubner, Assistent von Hochschullehrer Brügge und einer der Coaches der Studenten. Der Projektauftrag wurde vom Konsortium Global Field Support (GFS) vergeben, an dem neben dem Autobauer Daimler-Chrysler und der Carnegie Mellon University auch Bosch, IBM, Picturetel, Silicon Graphics, Siemens, Sun und die Deutsche Telekom beteiligt sind.

Die Studenten entwerfen zunächst einen Prototyp für ein Programm, das kein kommerziell verwertbares Produkt darstellt. Die beteiligten Firmen teilen sich die Ergebnisse und Informationen, meistens forschen die Entwicklungsabteilungen parallel zu den gleichen Themen und erhalten durch die Universitäten neue Impulse und umgekehrt. Gerade in angewandten Fächern ist diese Kooperation ein großer Vorteil für die Studenten, denn sie sammeln erste Praxiskontakte und erfahren, welche Anforderungen im Arbeitsalltag auf einen Software-Entwickler zukommen. Ein weiterer Pluspunkt des Projektes ist seine internationale Ausrichtung.

Brügge, der auch in Pittsburgh lehrt, hat den amerikanischen Unterrichtsstil an die TU gebracht. Seine Vorlesung zum Thema Software-Engineering hält er auf englisch, was auch die Projektsprache ist. Mit der fremden Sprache hielt auch ein neuer Umgangston Einzug: Der Professor heißt nun einfach Bernd. Auf diese Weise läßt sich die Distanz zu den Studenten reduzieren, so daß ein angenehmes Arbeitsklima die Forschung bestimmt.

Welche Entwicklungsaufgabe verbirgt sich nun konkret hinter Paid? Die Studenten sollen eine elegantere Lösung für die Kommunikation zwischen dem Stammhaus Daimler-Chrysler und den Vertragshändlern finden, und zwar via Internet. Dabei sollen die jungen Entwickler vor allem Sicherheitskriterien berücksichtigen.

An der TU haben sich sechs Arbeitsgruppen gebildet, aus denen jeweils ein Mitglied einem übergeordneten Team angehört. Diese Studenten sind für die Bereiche "Dokumentation" und "Architektur" zuständig, so daß auch in

Alle Vorlesungen sind aus dem Internet abrufbar

hektischen Zeiten alle Arbeitsschritte transparent bleiben. Die sechs Gruppen bearbeiten jeweils einen Teil der Aufgabe, wobei jedes Team zusätzlich einen Coach hat. Neben dem Assistenten Teubner betreuen sechs weitere Studenten aus höheren Semestern ihre jüngeren Kommilitonen.

Bei den wöchentlichen Arbeitstreffen besprechen die Studenten ihre einzelnen Schritte zwar in Deutsch, das Protokoll müssen sie allerdings anschließend ins Englische übersetzen. Alle Arbeitsgruppen veröffentlichen ihre Ergebnisse, Überlegungen und die weitere Planung im sogenannten Bulletin-Board, einer Art Schwarzes Brett im Internet, zu dem alle Studenten des Praktikums, Teubner, Brügge, seine Kollegen von der CMU und der Ansprechpartner von Daimler in Stuttgart Zugang haben.

Gleichzeitig dient das Schwarze Brett als Archiv für Vorlesungsskripten und Literaturhinweise sowie als Frageforum.

Die Studenten können jederzeit Fragen an den Auftraggeber, ihren Professor, Assistenten, Coaches oder an die Kommilitonen in den Vereinigten Staaten richten. Diese effektive Kommunikationsform verhindert, daß mehrmals die gleichen Fragen an die einzelnen Ansprechpartner gestellt werden. Gleichzeitig haben die beiden Wissenschaftler Brügge und Teubner auf diese Weise immer einen guten Überblick, in welche Richtung sich die Lösungsansätze bewegen und können bei Fehlern intervenieren.

Die TU-Informatiker sind sehr engagiert, denn es macht einen wesentlichen Unterschied, ob sie eine Aufgabe vom Übungsblatt bearbeiten, das ein Tutor korrigiert oder ob es um "the real thing" geht. Die Arbeitsbedingungen sind ideal. Mit den Projektmitteln wurde ein eigenes Labor mit Macs, PCs, Laserdruckern und einer Videokonferenz-Anlage eingerichtet. Die Studenten können die Geräte rund um die Uhr benutzen - jeder

Engagierte Studenten arbeiten rund um die Uhr

Teilnehmer hat einen eigenen Schlüssel. Ausgesprochene Nachtarbeiter erhalten eine Sondergenehmigung und einen weiteren Schlüssel.

Paid verbindet verschiedene Anforderungen miteinander: Neben dem Software-Engineering trainieren die angehenden Informa-tiker die vielzitierten Soft-Skills. Die Studenten arbeiten in Gruppen zusammen und diskutieren ihre Aufgaben gemeinsam. Sie müssen sich genau überlegen, wie eine Lösung aussehen könnte und die unterschiedlichen Meinungen mit den Kollegen besprechen. Diese Arbeitsweise sind die jungen Leute von anderen Universitätspraktika nicht unbedingt gewohnt, da sie dort in erster Linie Programmieraufgaben alleine oder in Kleingruppen lösen. "In den Arbeitsgruppen kann sich kein Student beleidigt zurückziehen und schmollen, wenn sein Vorschlag nicht positiv aufgenommen wird", betont Betreuer Teubner.

Eine intensive Problemanalyse nimmt den größten Teil der Projektarbeit ein. Bis die Studenten dann das System programmieren, müssen sie zuerst das Ganze theoretisch von allen Seiten geprüft und analysiert haben. Stellen die Studenten beispielsweise fest, daß ihnen noch Software fehlt, müssen sie diese wie in einem Unternehmen auch beantragen, falls sie nicht frei verfügbar ist.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.