Länder reißen Fiscus-Projekt an sich

06.07.2005
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

Bei den Mitarbeitern der Fiscus GmbH stoßen die Ministerbeschlüsse auf Unverständnis. Nachdem bereits in den vergangenen zwölf Monaten rund 170 Fiscus-Angestellte ihren Hut nehmen mussten, droht nun 115 Mitarbeitern der Gang zur Arbeitsagentur. Nur rund 40 Lohnempfänger der Fiscus GmbH können darauf hoffen, wieder in den IT-Abteilungen der Länder unterzukommen. Die Belegschaft begleitete daher die Gesellschaftersitzung am 30. Juni dieses Jahres in Bonn mit lautstarken Protesten.

Projektgeschichte

• 1991 Die Finanzminister der Länder vereinbaren, gemeinsam eine bundesweit einheitliche Software für die Finanzämter zu entwickeln. 2006 soll das "Föderale integrale standardisierte computerunterstützte Steuersystem" (Fiscus) fertig sein.

• 1997 Der Bundesrechnungshof weist auf eklatante Schwachstellen hin. Vor allem das Unvermögen der beteiligten Behörden, konkrete Entscheidungen zu treffen, behindere das Projekt.

• 2000 Die Länderfinanzminister beschließen, ein IT-Systemhaus zu gründen und mit der weiteren Entwicklung zu betrauen.
Dezember: Noch vor dem offiziellen Start der Fiscus GmbH kündigt der Freistaat Bayern an, sich nicht zu beteiligen.

• 2004 
Februar: Finanzminister Hans Eichel fordert die Konsolidierung der Fiscus GmbH sowie einen realistischen Zeitplan für die Ablösung der Altsysteme.
Mai/Juni: Rechnungsprüfer in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein kritisieren organisatorische Defizite und fehlende Produkte der Fiscus GmbH.
Juli: Auf einer Sondersitzung beschließen die Länderfinanzminister, die Fiscus GmbH zum reinen IT-Dienstleister zu degradieren. Rund die Hälfte der Mitarbeiter muss gehen.

• 2005
Juni: Die Finanzminister beschließen die Auflösung der Fiscus GmbH und wollen unter der Bezeichnung "Konsens" weitermachen.

Auch das Fiscus-Management kann die Entscheidung der Politiker nicht nachvollziehen. Die Auftragsbücher seien voll, Produkte könnten rechtzeitig auf den Markt gebracht werden, und nach wie vor seien die Kunden an den eigenen Lösungen stark interessiert, versicherte Geschäftsführer Olaf Bruhn. Er hofft, die GmbH im Rahmen eines Management-Buyouts (MBO) weiterführen zu können. Zwar habe der Aufsichtsrat diesen Plänen im ersten Anlauf eine Abfuhr erteilt, berichtet Bruhn. Jedoch habe man die Gesellschafterversammlung zumindest überzeugen können, die Idee zu prüfen. Eine endgültige Entscheidung werde in den kommenden Sitzungen am 10. und 30. August fallen. "Wir sind noch keine Gesellschaft in Abwicklung", stellt der Fiscus-Chef klar.

Unterschätzte Komplexität