Hyperdesk, HP, DEC und Sun: Jeder will der erste sein

Konkurrierende Objekttechniken fuer heterogene DV-Umgebungen

19.02.1993

Sowohl DEC als auch Hewlett-Packard haben auf der eben beendeten Fachmesse Objectworld in Boston ihre ORB-Implementierungen angekuendigt. Fuer die Bedeutung dieser Ankuendigung spricht, dass jeder Mitbewerber, wozu auch Sun mit "Tooltalk" und Hyperdesk mit "Doms" zaehlen, fuer sich beansprucht, entweder die erste oder die vollstaendigste Loesung zu praesentieren. In gewisser Weise haben sogar alle Recht: Jedes Unternehmen hat seinen Schwerpunkt etwas anders gesetzt und kann daher auf dem jeweils eigenen Feld Vorteile verbuchen.

So hat Hewlett-Packard jetzt mit "HP Distributed Smalltalk" eine komplette Entwicklungsumgebung fuer verteilte heterogene Umgebungen vorgestellt. Neben der ORB-Technik fuer das unternehmensweite und transparente Verschicken von Nachrichten, Befehlen und Aufrufen basiert das Produkt auf der objektorientieren Programmiermsprache "Smalltalk" von Parcplace-Systems.

Mit Distributed Smalltalk lassen sich, so meldet der britische Branchendienst "Computergram", portable Anwendungen fuer heterogene Umgebungen entwickeln. Diese sollen zudem so gestaltet sein, dass prinzipiell ein Sun- und ein DEC-User gleichzeitig mit einer Applikation arbeiten koennen, die auf einem HP-System laeuft. Fuer das Management der verteilten Objekte selbst ist die hauseigene Objekt-Datenbank "Open ODB" vorgesehen.

HP daempft uebertriebene Erwartungen

Doch ganz so weit ist es noch nicht. "Die Umgebung wurde fuer den internen Gebrauch entwickelt, und ob daraus ein Produkt wird, ist noch nicht entschieden", daempft Mike Matthews, Product Marketing Manager fuer verteilte Umgebungen bei HP, Cupertino, ueberzogene Erwartungen. Distributed Smalltalk habe sich beim Erstellen und Testen von Objekten in ORB-Umgebungen bewaehrt, ob die Qualitaet fuer die Vermarktung reicht, werde noch geprueft.

Wie HP hat Sun Microsystems mit seinen ORB-basierten Objektechniken vorerst den Weg in Richtung Entwicklungswerkzeuge eingeschlagen. Dabei kann das Unternehmen fuer sich in Anspruch nehmen, mit Tooltalk als erstes eine Teilimplementation der ORB-Technik auf den Markt gebracht zu haben. Es handelt sich hier um ein mit Solaris 2 fuer Sparc geliefertes Werkzeug, das Entwickler benutzen koennen, um Anwendungen netzweit kommunizieren zu lassen.

An die Vollstaendigkeit von HPs Smalltalk-Umgebung reicht Tooltalk jedoch nicht heran. Auch eine komplette Implementierung des Object Request Brokers soll folgen.

Bereits am Markt ist dagegen die ORB-Implementiertung von Digital Equipment. Diese rangiert dort unter der Bezeichnung Application Control Architecture (ACA) Services als Komponente der hauseigenen NAS-Netzwerkumgebung. Der Fokus liegt deshalb weniger bei der Anwendungsentwicklung als bei der netzweiten Verteilung und Verwaltung von Anwendungen. Dabei legt DEC sowohl auf die Offenheit des Produkts Wert als auch darauf, dass hier zum ersten Mal eine ORB-Implementierung angeboten werde, die nicht nur auf den eigenen Systemen laeuft, sondern auch auf den Plattformen der Konkurrenten.

Freigegeben wurde ACA schon im vergangenen Jahr fuer die hauseigenen VMS- und Ultrix-Rechner sowie fuer Suns Sparcstations und Windows-PCs.

Diese Palette erweiterte sich durch Ankuendigung auf der Objectworld um Versionen fuer Open VMS auf der Alpha-Plattform sowie um Produkte fuer die Betriebssysteme HP-UX von Hewlett- Packard, IBMs AIX und Macintosh System 7. Die Auslieferung hat mit Ausnahme der Macintosh-Variante, die im Maerz auf den Markt kommen soll, bereits begonnen.

Ebenfalls verfuegbar ist die Implementierung des Object Request Brokers von Hyperdesk. Wie bei DECs ACA geht es auch bei Doms vor allem um netzweite Kommunikation zwischen Anwendungen. Dabei hat das Unternehmen auf eine Client-Server-Architektur mit einem Unix- Server und MS-DOS, Windows und Unix als Client-Systeme gesetzt. OS/2- und Macintosh-Varianten sind in Vorbereitung.

Zugriff auf Doms hat inzwischen auch Unix-Einsteiger Novell. Kurz bevor das Unternehmen Ende 1992 die Absicht bekanntgab, die alleinige Unix-Lizenzgeberin USL Inc. zu kaufen, erwarb Novell 20 Prozent von Hyperdesk. Nun soll Doms auf Netware portiert werden (vgl CW Nr. 5 vom 29. Januar 1993, Seite 11).

Der Objekt Request Broker

Beim Object Request Broker (ORB) handelt es sich um eine Technologiefestlegung des Industriekonsortiums Object Management Group (OMG), dem inzwischen ausser Microsoft alle namhaften DV- Anbieter angehoeren. Die Organisation bemueht sich um objektorientierte Standards fuer verteilte Datenverarbeitung, wobei bestehende Programme durch eine Objektschnittstelle einbezogen werden sollen.

Im Rahmen dieses Konzepts wurde ein standardisierter Satz von Befehlen entwickelt, von verschiedenen, auf heterogenen Plattformen laufenden Entwicklungswerkzeugen und auch Anwendungen verstanden werden sollen. Dabei uebernimmt der Object Request Broker die Aufgabe, bei Funktionsaufrufen oder bei der Nachrichtenuebermittlung festzustellen, auf welchem Zielsystem sich die gesuchte Applikation befindet. Er ruft dann Unterprogramme auf, die dafuer sorgen, dass die Message oder der Aufruf in ein fuer das Zielsystem verstaendliches Format gebracht wird. Dabei ist es unerheblich, ob diese Uebersetzungsprogramme objektorientiert oder herkoemmlich codiert sind.

Anwender bedeutet der ORB, dass sie sich nicht mehr darum kuemmern muessen, wo im Netzwerk die gewuenschte Anwendung zu finden ist und wie man sie auf einem fremden System aktiviert.