Bilder und Töne sollen Online-Handel beflügeln

Klicken, Hören, Sehen: Streaming-Media

14.07.2000
Medienkonzerne sehen in der breitbandigen Audio- und Videoübertragung die nächste Welle der Internet-Nutzung. Technische Hürden gibt es kaum noch. Jedoch sind Surfer mit Highspeed-Anschlüssen, die für Inhalte zu zahlen bereit wären, noch die Ausnahme. Immer mehr Firmen nutzen Streaming-Techniken daher vornehmlich zur Verkaufsförderung und Kundenbindung. CW-Bericht, Frank Niemann

"Die Zukunft des Internet liegt im Übertragen von Musik und Videos", verkündete Yahoo-Mitgründer Jerry Yang im April dieses Jahres auf einer Konferenz der amerikanischen Fernsehbranche. Medienkonzerne klügeln Strategien aus, ihre Inhalte über den Kanal Internet an den Mann zu bringen. In diese Richtung zielt auch die Übernahme Time Warners durch AOL. Streaming-Media gilt als Schlüssel für die Web-gestützte Berieselung mit Audio und Video.

In der Nahrungskette des Streaming-Media-Business finden sich Content-Anbieter, Softwarehäuser und Netzbetreiber. Zu den Marktführern zählt der amerikanische Softwarehersteller Real Networks, der sowohl Programme für Endnutzer als auch Server-Software für die Inhaltelieferanten entwickelt. 130 Millionen Surfer haben sich laut Hersteller bisher den kostenlosen "Real Player" aus dem Netz geladen. Einnahmen erzielt die Firma mit dem Verkauf von Server-Produkten sowie mit einer professionell ausgestatteten Real-Player-Variante für Endbenutzer. Hinzu kommen noch Einnahmen durch Link-Vermarktung auf der Website Real.com. Content-Anbieter zahlen außerdem dafür, dass sie in der Bookmark-Liste des Players erscheinen. Zu ihnen zählt die Deutsche Welle, die sowohl ihr Radio- als auch ihr TV-Programm in 29 Sprachen über Streaming-Media verbreitet.

Der Real Player verarbeitet ebenso wie die Konkurrenzprodukte "Windows Media Player" von Microsoft und Apples "Quicktime Player" sowohl Audio- als auch Videoinhalte. Noch sind die meisten Real-Player-Nutzer Amerikaner - 92 Millionen der insgesamt 130 Millionen Streaming-Clients laufen auf US-Computern. Europa ist nach den Erfahrungen von Real-Networks-Chef Rob Glaser die wachstumsstärkste Region weltweit. 26 Millionen Surfer spielen dort multimediale Web-Inhalte mit Glasers Streaming-Software ab. Diese Zahlen verraten allerdings nicht, wie oft die Anwender ihren Player benutzen.

Künftig dürfte die Software noch häufiger zum Einsatz kommen; Website-Betreiber gestalten ihre HTML-Seiten nicht mehr nur mit Text und Grafik, sondern berieseln die Besucher zunehmend mit Audio- und Video-Streams. Das Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Gartner Group geht sogar davon aus, dass im Jahr 2001 jede zweite Website Streaming-Media anbieten wird.

Sehr früh fingen Radiostationen an, live im Internet zu "senden". Weltweit verbreiten etwa 3000 Radiostationen ihr Programm auch über das Internet. Doch das Übertragen traditioneller Programme dürfte nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Reine Internet-Radiosender, wie etwa die in Salem, Massachusetts, ansässige Discjockey.com, bieten dem Besucher die Auswahl aus einer Reihe von Musikstilen an. Der Hörer am Browser kann den ganzen Tag Liveradio sortiert nach Sparten online empfangen. Die Einteilung schlachtet die Musik-Site für das Marketing aus. Beispielsweise stellen die Liebhaber von Oldies aus den Siebzigern eine abgegrenzte Zielgruppe mit spezifischen Vorlieben dar. In dem von Discjockey.com angepassten Real Player laufen kontinuierlich Werbebanner, die auf das Profil des Zuhörers abgestimmt sind. So wie der amerikanische Web-Radiosender erfüllt auch Youwant.com, eine Online-Musik-Site aus Berlin, individuelle Musikwünsche der Surfer. Verdienen will die Firma an Werbeeinnahmen sowie an dem Verkauf von CDs, DVDs, Videos, Büchern und Spielen.

Filmworld, ein in London beheimatetes Portal für Cineasten und die gesamte Filmbranche, stellt Trailer, Interviews mit Künstlern sowie Kurzfilme via Streaming-Media ins Netz. Darüber hinaus beliefert die Site ihre Besucher mit News und betreibt einen Marktplatz für Filmemacher, Käufer und Agenten. Auch Filmworld will mit Streaming-Inhalten das Geschäft mit Videos und DVDs ankurbeln. Gleichwohl konsumieren die Web-Surfer den Content auf der Site kostenlos.

Ob Surfer einmal bereit sein werden, für Inhalte zu bezahlen, sei es eine monatliche Gebühr oder im Pay-per-View-Verfahren, darüber zerbrechen sich die Branchenexperten schon lange den Kopf. Andy Perez, Vice President von Real Networks und verantwortlich für das Real Broadcast Network (RBN), ist da optimistisch. Schließlich würden auch heute schon Leihgebühren für Videos entrichtet oder Zeitungen abonniert.

Solange das nicht der Fall ist, verlassen sich Anbieter von Streaming-Media-Produkten und -Services auf Unternehmenskunden. Sie hoffen, dass Firmen künftig per Audio und Video auf ihren Web-Shops Produkte multimedial anpreisen, Mitarbeiter oder Vertriebspartner via Web schulen oder Kunden bei der Fehlersuche unterstützen. So könnte sich ein Interessent einen Film von einem Server laden, um sich eine kurze Produktpräsentation anzuschauen. Speziell für Firmen entwickelte Real Networks eine Intranet-Version seines Players, in der die bei der marktgängigen Variante üblichen Links auf Content-Provider nicht vorkommen.

Daneben sehen Streaming-Firmen den geschäftlichen Nutzen etwa im Übertragen von Sitzungen, Hauptversammlungen etc. Sowohl Real Networks als auch Microsoft bieten Software an, mit der sich Powerpoint-Präsentationen "streamen" lassen.

Damit der Hör- und Sehgenuss nicht zur Geduldsprobe wird, muss sich in der Internet-Infrastruktur noch einiges tun. Auch wenn der Web-Nutzer über eine breitbandige Netzverbindung verfügt, bedeutet das noch lange nicht, dass ein Live-Video in Fernsehqualität über seinen Bildschirm flimmert. Je mehr Netzknoten (Hops) die Inhalte zwischen Media-Server und dem Konsumenten durchwandern müssen und je niedriger die Bandbreite zwischen den Hops, desto geringer die Qualität des Output. Hier springen eine Reihe von meist recht jungen Netzwerkdienstleistern in die Bresche. Die US-Firma Akamai mit deutscher Niederlassung in Dornach betreibt weltweit eine Vielzahl von Servern, die multimediale Inhalte möglichst nah, sprich über wenige Hops, zum Endbenutzer bringen sollen. Akamais Server agieren dabei wie ein Cache-Speicher. Die amerikanische Startup-Firma Mirror Image, ein direkter Konkurrent Akamais, will weltweit Content Access Points (CAPs) aufbauen. Das sind kleine Rechenzentren, die ebenfalls Inhalte in der Nähe der Kunden vorhalten sollen. Ein solches CAP hat das Unternehmen neben 17 anderen Standorten auch in Frankfurt am Main eingerichtet. Andere Service-Provider wie Abovenet und Digital Island bieten Firmen Services an, die für eine bessere Übertragungsbandbreite für Streaming-Inhalte sorgen sollen.

Zu den europäischen Anbietern von Netzdiensten für Streaming-Media aus Europa zählt der ehemals auf Token Ring spezialisierte Anbieter Madge Networks mit dem Content-Distributionsdienst "Madge Web". Das Unternehmen betreibt ein Broadcast-Network und agiert als eine Art Sendeanstalt zur Vermittlung von Audio- und Videoinhalten von Firmen. Statt eigene Streaming-Server zu betreiben, mieten sie sich den Service von Madge. Sie können dann entweder Live-Events übertragen lassen oder den Nutzern archivierte Inhalte zur Verfügung stellen. Einer der ersten Kunden von Madge ist die bereits erwähnte Kino-Site Filmworld.

Zwar läuft die Abspielsoftware für Multimedia aus dem Web fast ausschließlich auf Computern, doch die Zielgruppe soll nicht mehr nur auf PC-User beschränkt bleiben. Hersteller von Settop-Boxen wie beispielsweise Intel oder Thomson Multimedia integrieren entsprechende Software in ihre Produkte. Zukünftig sollen sogar Mobilfunkanwender in den Genuss von Audio- und Videoinhalten aus dem Internet kommen. Real Networks und Nokia wollen bis 2001 den Real Player in das Betriebssystem "Epoc" implementieren, mit dem der "Nokia Communicator", eine Kombination aus persönlichem digitalen Assistenten und Handy, ausgestattet ist. Auch Sanyo hat ein Handy mit integriertem Audio-Player angekündigt, das im Laufe dieses Jahres auf den Markt kommen soll. Bis dahin müsste sich die in mobilen Netzen verfügbare Bandbreite allerdings deutlich erhöhen, denn die bisher im GSM-Netz gebotenen 9600 Bit/s laden kaum zu Multimedia via Internet ein. Erst mit der neuen GSM-Datenübertragungstechnik General Packet Radio Service (GPRS) sowie dem neuen Mobilfunkstandard Universal Mobile Telecommunications System (UMTS), für die in Europa zur Zeit die ersten Lizenzen vergeben werden, stehen ausreichend hohe Datenraten zum Abspielen von Audio- und Video-Streams zur Verfügung.

Audioinhalte lassen sich bereits über eine Modemverbindung in akzeptabler Qualität abspielen. Für Videosequenzen reicht dies allerdings nicht. Die ContentAnbieter üben sich in Zweckoptimismus und hoffen auf eine steigende Zahl von Surfern mit breitbandigen Zugängen. In den USA besitzen nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Jupiter Communications etwa vier Millionen Haushalte entweder einen Digital-Subscriber-Line-(DSL-)Anschluss oder gehen über ein Kabelmodem ins Web. In Deutschland verfügen laut der Deutschen Telekom lediglich rund 50000 Web-User über eine DSL-Verbindung.

Download versus StreamingBeim Streaming lädt der Surfer einen kontinuierlichen Datenstrom von einem Server im Internet. Durch Pufferung von Daten lassen sich kurzzeitige Engpässe im Netz überbrücken. Im Gegensatz dazu muss der Web-Nutzer beim Download, etwa von Musik im MP3-Format, so lange warten, bis die Datei vollständig auf seinen Rechner kopiertwurde. Dafür kann das Musikstück beliebig oft von der Festplatte abgespielt, kopiert oder per E-Mail versandt werden, was bei Streaming-Media nicht möglich ist: Die Inhalte werden nicht lokal gespeichert, sondern gehen, wie beim Radiohören, nach dem Empfang verloren.

Für den Empfang von Audiodaten reicht dem Surfer schon ein Modem mit 28,8 Kbit/s Übertragungsrate oder eine ISDN-Verbindung. Videos lassen sich so allenfalls in einem kleinen Fenster abspielen. Doch die Verfahren werden immer besser: Real Networks demonstrierte jüngst mit "Real Video 8", das gemeinsam mit Intel entwickelt wurde, Full-Screen-Video in nahezu VHS-Qualität, wobei dafür nach Angaben des Herstellers eine Datenübertragungsrate von 500 Kbit/s ausreicht. Für Filme in DVD-Güte genüge schon eine Bitrate von einem Mbit/s. In Deutschland verfügen nur sehr wenige Haushalte über diese Bandbreite.

Droht ein Player-Krieg?Schärfster Konkurrent von Real Networks ist Microsoft. Der Softwarekonzern versucht zur Zeit, mit seinem "Windows Media Player" Boden gutzumachen. Die Software ist fester Bestandteil des "Internet Explorer 5". Bei den mobilen Endgeräten zeigt die Gates-Company Flagge: Die Abspielsoftware hat der Hersteller auch in sein Kleingeräte-Betriebssystem "Pocket PC" integriert.

Microsoft triumphierte, als Real Networks das Windows-Media-Format des Konzerns in Lizenz nahm. Die Gates-Company sah sich darin bestätigt, dass der Konkurrent auf die Technik von Microsoft angewiesen sei. Eigenen Angaben zufolge unternahm Real Networks diesen Schritt jedoch nur, um möglichst viele Formate zu unterstützen. Was Microsoft verschweigt: Die Konzerntochter Web TV ist nach Angaben von Real Networks Lizenznehmer des Real Player.

Ein Player-Krieg nach dem Browser-Krieg dürfte eher unwahrscheinlich sein, denn im Gegensatz zu den Web-Clients sind die Streaming-Programme wegen fehlender Formatstandards, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nicht austauschbar: Microsofts Player kann mit Streaming-Inhalten von einem Real Server nichts anfangen und umgekehrt.

Viele Content-Anbieter werden nicht umhinkommen, beide Abspielprogramme zu bedienen, und sind dadurch gezwungen, sowohl Server-Software von Real Networks als auch von Microsoft zu kaufen beziehungsweise zu mieten. Der Nachrichtensender CNN beispielsweise lässt dem Site-Besucher die Wahl, ob er News-Videos lieber mit dem Windows Media Player, Real Player oder Apples Quicktime Player anschauen möchte. Dreigleisig fährt auch der deutsche Internet-Sender TV1. Das Münchner Medienhaus übertrug die Voyeurs-Show "Big Brother" per Streaming-Video live ins Netz.

Zumindest für das Verbreiten von Quicktime-Inhalten benötigen Firmen jedoch keinen zusätzlichen Server von Apple: Ab der Version 8 kann der Real Server dieses Format "streamen", allerdings nur für Quicktime-Player.