Kennzahlen integrieren moderne Finanztheorie und Unternehmensstrategie EVA und MVA verdeutlichen die Krisenlage der DV-Industrie Von Martin Weinert*

25.03.1994

Zwei neue betriebswirtschaftliche Groessen werden in den Fuehrungsetagen diskutiert: "Market Value Added" (MVA) und "Economic Value Added" (EVA) bringen Licht in die Frage, ob das Management den Unternehmenswert steigern konnte oder nicht. Hierbei machen die Fuehrungscrews so mancher DV-Unternehmen alles andere als eine gute Figur.

Eine New Yorker Beratungsfirma hat sich das am Unternehmenswert ausgerichtete Konzept am deutlichsten auf die Fahne geschrieben: Die Zeitschrift "Fortune" veroeffentlichte unlaengst unter dem programmatischen Titel "Americas Best Wealth Creators" eine von Stern Stewart & Co erarbeitete Rangliste von tausend US- amerikanischen Betrieben auf der Grundlage von "Market Value Added" (MVA) und "Economic Value Added" (EVA).Gemessen an diesen beiden Groessen, die sich nicht an traditionellen Werten wie Umsatzwachstum, Mitarbeiterzahl oder Profit, sondern an der erreichten Wertsteigerung und den Kapitalkosten der Unternehmen orientieren, duerfte vor allem den in der Liste vertretenen High- Tech-Unternehmen schwindelig werden. Waere beispielsweise die IBM rechtzeitig der Methode von Stern Stewart gefolgt, so zitiert jedenfalls "Fortune" den CEO eines grossen US-Kapitalanlegers, waeren ihre Probleme von heute schon viel frueher deutlich geworden, naemlich ab Mitte der 80er Jahre.

Dem Grundgedanken der zukunftsorientierten Kenngroesse MVA liegt die Annahme zugrunde, dass das Ziel eines jeden Unternehmens in der Wertschoepfung zugunsten der Anteilseigner liegt: also Dividendenausschuettung und der Erhoehung des Markt- beziehungsweise Boersenwertes. Basis einer solchen Betrachtung ist die Integration von moderner Finanztheorie und der jeweils verfolgten Betriebsstrategie.

Der Indikator MVA ist ein Fruehwarnsystem

Rechnerisch ergibt sich der MVA aus der Differenz zwischen dem in das Unternehmen investierten Kapital und dem gegenwaertigen Boersenwert. Gemeint sind die Investitionen der Anteilseigner, Kapitalerhoehungen sowie thesaurierte Gewinne auf der einen und der Boersenwert auf der anderen Seite. Ist der Marktwert groesser als das investierte Kapital, so die Botschaft, haben die Manager ihre Aufgabe erfuellt. Ist er negativ, muss die Unternehmensleitung ihre Existenzberechtigung ueberdenken - falls das nicht schon die Anteilseigner getan haben.

Der Marktwert der IBM (siehe Tabelle) liegt laut "Fortune" beispielsweise um fast 24 Milliarden Dollar unter dem Wert des Kapitals, das in den Riesen investiert wurde. In der MVA-Rangliste der amerikanischen Unternehmensberater landete die IBM fuer das Jahr 1993 dann auch auf dem letzten Platz. 1988 war Big Blue noch Nummer zwei. Bei einer solchen Rechnung ist nach Angaben von Stern Stewart & Co allerdings zu beruecksichtigen, dass der MVA sowohl von Kursschwankungen an der Boerse als auch von der Inflationsrate stark beeinflusst wird.

Dass es nicht immer einer dicken Kapitaldecke bedarf, um in dieser Hinsicht gut abzuschneiden, zeigen der Oelriese Exxon und die Softwareschmiede Microsoft, die in diesem Vergleich Platz elf und zwoelf belegen. Waehrend Exxon fuer einen MVA von 22,2 Milliarden Dollar 1993 ein Basiskapital von 78,6 Milliarden Dollar brauchte, schaffte Microsoft einen MVA von 21 Milliarden mit nur 2,1 Milliarden Dollar an aktiviertem Kapital. Vor fuenf Jahren noch musste sich Bill Gates' Unternehmen mit Rang 58 zufriedengeben. Entsprechend unterschiedlich sind die Werte des Return on Capital der Unternehmen: 6,2 Prozent bei Exxon und 53,5 Prozent bei Microsoft (siehe Tabelle).

Eindeutiger Gewinner unter den klassischen DV-Herstellern ist Hewlett-Packard auf Platz 45 der Liste. Der Unterschied zwischen eingesetztem Kapital und Boersenwert liegt bei positiven 6,3 Milliarden Dollar. Demgegenueber ist Digital Equipment mit einem negativen MVA von 6,43 Milliarden Dollar von Platz neun vor fuenf Jahren auf Rang 997 abgerutscht. Unisys rangiert mit einem MVA von minus 1,82 Milliarden Dollar inzwischen auf Nummer 988 und Sun mit einem positiven MVA von immerhin 500 Millionen Dollar auf Platz 965.

Ebenfalls positive Werte haben Intel auf Platz 23 mit 11,27 Millionen Dollar und Motorola auf Rang 46 mit 6,21 Milliarden Dollar erreicht. Beide repraesentieren die positive Marktentwicklung in der Halbleiterindustrie. AT&T als Vertreter der Kommunikationsbranche sprang zwischen 1988 und 1993 von Platz 953 auf Rang 7 mit einem rechnerischen MVA-Wert von 25,45 Milliarden Dollar.

Die Kennzahl EVA zeigt die aktuelle Entwicklung

Ein eng verwandter, im Gegensatz zum Market Value Added jedoch auf das vergangene Jahr bezogener Wert ist die Kenngroesse Economic Value Added (EVA). Laut "Fortune" drueckt sie die Differenz des im Geschaeftsjahr erwirtschafteten EBIT (Earnings Before Interest and Taxes) als Gewinn vor Fremdkapitalzinsen und Steuern sowie den angefallenen Kapitalkosten aus. Selbstverstaendlich umfassen diese auch die - oft unterschaetzten - Kosten des Eigenkapitals. Die in "Fortune" veroeffentlichte These von Stern Stewart & Co lautet nun: Manager, die das ihnen anvertraute Unternehmen im Sinne eines moeglichst hohen EVA fuehren, haben den Unternehmenswert nachhaltig gesteigert und die Investoren mit satten Gewinnen an der Boerse belohnt. Firmen, denen dies nicht gelungen ist, stehen mit bedenklichen EVA-Werten in der Kreide. Fuer die IBM haben die Berater fuer 1992 beispielsweise trotz staendig steigendem Cash Flow einen EVA-Wert von minus 5441 Dollar ausgerechnet - eine Zahl, die vor zehn Jahren noch ein umgekehrtes Vorzeichen aufwies (siehe Grafik).

AT&T dagegen richtete laut "Fortune" ihr Augenmerk in der Vergangenheit auf den EVA-Wert und ist damit gut gefahren. "Wenn man versucht, den Unternehmenswert zu steigern", sagt Jim Meenan als CFO der Communications Services Group des Telefonriesen, "kann die Frage nur lauten: Wann sind die Kosten fuer das investierte Kapital wieder eingespielt?"

Bei der Interpretation der Werte EVA und MVA ist folgendes zu beachten: Der EVA misst den Erfolg eines Betriebs im vergangenen Jahr, waehrend im MVA zum Ausdruck kommt, wie der Markt die kuenftigen Aussichten des jeweiligen Unternehmens einschaetzt. Nur so lassen sich auch scheinbare Widersprueche erklaeren. Wie beispielsweise kann AT&T im MVA-Ranking auf Platz 7 stehen, obwohl es mit einem negativen EVA-Wert leben muss? Antwort: Der Markt beruecksichtigt, dass sich der EVA in den vergangenen Jahren stetig verbessert hat, und baut auf bessere Betriebsergebnisse in der Zukunft.

Dieser Mechanismus greift auch immer dann, wenn Akquisitionen oder aggressive Expansionspolitik einem Unternehmen zunaechst negative EVA-Werte bescheren, sich langfristig aber in barer Muenze auszahlen. Diese Erwartungen spiegeln sich nicht im EVA, sondern im Boersenwert und damit im MVA wider.

Das in "Fortune" in diesem Zusammenhang vorgestellte Stern- Stewart-Patentrezept fuer einen steigenden EVA-Wert erinnert jedoch stark an das ebenso bekannte wie schwierig umzusetzende oekonomische Prinzip: "Mache mit dem gleichen Kapitalvolumen mehr Profit, oder setze fuer den gleichen Output weniger Kapital ein", raten die US-Strategen.

Eine dritte Maxime empfiehlt schliesslich, das teure Kapital ueberhaupt nur fuer profitable Projekte einzusetzen. Ueberlegungen zur Steigerung des Unternehmenswerts sind jedoch nicht so neu, wie es die amerikanische Fachpresse zur Zeit verkauft. Die klassischen betriebswirtschaftlichen Konzepte der strategischen Unternehmensplanung werden schon seit langem heftig kritisiert. Fast alle Grossbetriebe haben in den vergangenen Jahren, von kostspieligen Unternehmensberatern unterstuetzt, grosse Planungsstaebe aufgebaut, die in erster Linie Konzepte zur Optimierung des Firmenerfolgs entwickelt haben. Da die Erwartungen der Unternehmensleitungen jedoch regelmaessig nicht erfuellt wurden, trat Ernuechterung an die Stelle der Euphorie. Viele Planungsstaebe sind heute, wenn ueberhaupt, nur noch spaerlich besetzt.

In der aktuellen betriebswirtschaftlichen Literatur wird jedoch bezweifelt, dass dies der richtige Weg ist. Oft sind es naemlich nur veraenderte Rahmenbedingungen, die die Wirkung ehemals erfolgreicher Konzeptionen schmaelern und die Aussagekraft der damit einhergehenden Kenngroessen in Frage stellen. Herbert Henzler, Chairman der Unternehmensberatung McKinsey & Company, identifizierte in der "Zeitschrift fuer Betriebswirtschaft" (ZfB) bereits 1988 drei unterschiedliche Schwerpunkte strategischer Planungskonzeptionen in den vergangenen zwanzig Jahren.

Zu Beginn der betriebswirtschaftlichen Planungsueberlegungen hatten die Konzeptionen nach Henzler die Aufgabe, die Zuweisung knapper Ressourcen - vor allem von Finanzmitteln - zu verbessern. Mit zunehmender Verfuegbarkeit liquider Mittel und einem verschaerften Wettbewerb zielten die Loesungsvorschlaege anschliessend auf die Entwicklung von Wettbewerbsvorteilen ab. Das Zusammenwachsen von Kredit- und Kapitalmaerkten fuehrte schliesslich zu einem Markt fuer Verfuegungsrechte an Unternehmen, so dass Fragen zur Steigerung des Unternehmenswertes in den Vordergrund rueckten.

In der Vergangenheit, so Henzler, haette es immer haeufiger Beispiele dafuer gegeben, dass die Aggregation einzelner Geschaefte nicht zu einem insgesamt hoeheren Unternehmenswert in Form des an der Boerse notierten Marktwerts gefuehrt haette. Ganze Betriebe seien deshalb uebernommen und ertragbringend in einzelne Teile zerlegt worden.

Altes Lied: Mehr Geld verdienen als einsetzen

Die damit verbundene Restrukturierung habe haeufig gezeigt, dass die Unternehmensleitungen den moeglichen Wert des ihr anvertrauten Vermoegens gar nicht realisierten. Die Differenz zwischen Markt- und tatsaechlichem Wert eines Betriebs sei von Aufkaeufern dann auch gezielt genutzt worden.

Der Gedanke, mehr zu verdienen, als fuer das eingesetzte Kapital aufgewendet wird, ist so alt wie der Handel selbst. Trotzdem hilft eine Neuauflage der alten Diskussion dabei, den Blick der Firmenleitung auf Kosten zu richten, die in modernen Rechnungswesensystemen verschleiert werden.

Die amerikanischen Manager duerften sich im Umgang mit MVA und EVA jedoch leichter tun als ihre deutschen Kollegen. Sie profitieren von einer auf Wertsteigerung ausgerichteten Strategie, weil sie in der Regel ueber Aktienoptionen am Unternehmenswert beteiligt sind.

Die Orientierung an den Groessen MVA und EVA verdeutlicht eine Sichtweise, die eigentlich selbstverstaendlich sein sollte: naemlich darauf zu achten, ob das, was in einem Unternehmen den ganzen Tag getan wird, rentabel ist oder nicht. Es bedarf offenbar erst einer schmerzhaften Rezession, damit Manager den Mut finden, sich unangenehmen Realitaeten zu stellen. Dazu kommt die Tatsache, dass jeder die Kennzahl favorisiert, die seine Leistungen im besten Licht praesentiert - und die Fehlleistungen im dunkeln laesst.

Market Value Added(Rang) Unternehmen MVA EVA Kapital RO C1 COC2

19931988 in Millionen Dollar in Prozent

7 953 AT&T25453 - 891 64349 9,5 11,0

11 93 Exxon 22162 - 2640 78569 6,2 9,5

12 58 Microsoft21011 645 240553,513,8

23 56 Intel 11274 548 659425,415,0

40 237 Novell 7439217 890 51,415,3

45 13 Hewlett-Packard 6257- 501 13174 10,915,1

46 69 Motorola 6217- 191 982411,313,4

49 60 Automatic Data Proc. 5902162 222422,811,9

70 - Cisco Systems 449178 173 93,217,8

107 - First Data 2987- 116 31708,2 13,5

110 34 Apple Computer2923329 367222,813,8

136 77 Raytheon 2253220 554013,29,2

232 81 Texas Instruments 1258- 510 41863,1 14,5

376 960 Xerox 613 -1877 22120 2,1 10,9

965 983 Sun - 556 - 1174 5555- 6,4 12,3

988 151 Unisys - 1822 -69373395,4 14,1

997 9 Digital Equipment - 6430 - 2695 12570 - 6,5 14,4

10002 IBM -23722 -5441 75287 2,7 10,2

Stand: MVAs 31. Dezember 1992; EVAs und andere Kennzahlen vor 1992 1ROC = Return on Capital; 2COC = Cost of Capital; *Exxon- Daten nur zum Vergleich Quelle: "Fortune"